Kerzen an der Neuen Synagoge in Berlin nach dem Anschlag von Halle im Oktober letzten Jahres Kerzen an der Neuen Synagoge in Berlin nach dem Anschlag von Halle im Oktober letzten Jahres 

Rabbiner kritisiert soziale Medien

Der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner (CER), Moskaus Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt, kritisiert angesichts des wachsenden Antisemitismus in Zeiten von Corona die Rolle sozialer Medien.

Facebook, Twitter & Co. seien verantwortlich für den Ausstoß ungeahnter Mengen an Falschinformationen, an Hassbotschaften und sogar an direkten oder verklausulierten Aufrufen zur Gewalt, so Goldschmidt in einem Gastbeitrag für den „Hauptstadtbrief“. Er warnt vor „digitalen Echokammern“ und „Fake News“ in den sozialen Medien, in denen wenige Hetzer ausreichen würden, um zu übelsten Gewalttaten anzustiften.

Die besonders Leidtragenden dieser Hetze seien meist religiöse und ethnische Minderheiten, Geflüchtete oder Menschen, die anders aussehen oder denken würden als die Mehrheit. Auch Staat und Gesellschaft seien in Gefahr: „Stetige Fake News in sozialen Medien können Populisten an die Macht spülen und unsere angegriffenen Demokratien gefährden, die infolge der Coronavirus-Pandemie von drohender Arbeitslosigkeit, Rezession und öffentlicher Unzufriedenheit erschüttert sind“, warnt der Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner.

Kritik an Zuckerberg, Lob für Merkel

Goldschmidt kritisiert, dass sich die Betreiber vieler soziale Netzwerke standhaft wehrten, „Fake News“ und Hassbotschaften zu löschen. Vor allem zeigt er sich darüber enttäuscht, wie wenig Facebook und sein Gründer und Chef Mark Zuckerberg aus den Skandalen der letzten Jahre und auch den vielen Hassverbrechen, die es zu beklagen galt, gelernt hätten. Dass ausgerechnet ein jüdischer Unternehmer wie Zuckerberg nicht erkennen wolle oder könne, wohin ungebremster Hass und propagandistische Verleumdung von Gruppen führen könne, sei traurig und geschichtsblind, so Goldschmidt.

Indes lobt Goldschmidt in seinem Gastbeitrag für den „Hauptstadtbrief“ die deutsche Bundesregierung. Sie habe mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz versucht, gegen den grassierenden Hass auf Facebook, YouTube und Twitter vorzugehen und sich bemüht, die Regeln gegen Hass im Netz zu verschärfen. Der Willen großer Teile der deutschen Politik, sich des Problems anzunehmen, sei lobenswert. Nun sei es Zeit für ein international koordiniertes Vorgehen, schreibt Goldschmidt.

„Wenn sie mit uns Geld verdienen wollen, kann man verlangen, dass sie Hass und Hetze einen Riegel vorschieben“

Genauso hätten Facebook, Twitter, Google und all die anderen eine Verpflichtung. „Wenn sie bei uns und mit uns Geld verdienen wollen, kann man verlangen, dass sie Hass und Hetze einen Riegel vorschieben. Antisemitismus, Rassismus und Verleumdung sind eben keine Meinungen. Sie sind Vorstufen zu Verbrechen.“ Antisemitische Hassbotschaften gehörten gelöscht, und das nicht erst nach Tagen oder Wochen staatsanwaltlicher Ermittlungen, sondern mit sofortiger Entschlossenheit, fordert Goldschmidt.

Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie, in der sich populistische Stimmungen schnell hochschaukelten und in der etwa Antisemiten, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker eine gefährliche Melange bildeten, müssten die Betreiber sozialer Netzwerke endlich dazu gezwungen werden, auch in ihrem Geschäftsbereich geltendes Recht anzuwenden, so Goldschmidt.

(hauptstadtbrief – sk)
 

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07. Juni 2020, 11:29