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Archivbild: Kardinal Marx (links) im Gespräch mit P. Hagenkord Archivbild: Kardinal Marx (links) im Gespräch mit P. Hagenkord 

Kardinal Marx: „Ein Christ ist kein unfreier Mensch“

Freiheit ist ein Grundstein des modernen Menschen. Wir wollen alle frei sein, autonom, selbstbestimmt. Da will Kirche nicht so recht dazu passen: Viele nehmen Kirche über Vorschriften wahr, über Einschränkungen, über Festlegungen. Und Kirche hat auch eine schwierige Geschichte mit der Freiheit der Einzelnen. Oft genug wurde sie als Gefahr wahrgenommen, nicht als Chance. Um dieser Wahrnehmung von Kirche etwas entgegen zu setzen, hat sich Kardinal Reinhard Marx als Fachmann für katholische Soziallehre an das Schreiben eines Buches gemacht.

„Freiheit“ heißt es schlicht, und es fragt danach, was Glaube und Freiheit, was Kirche und Freiheit miteinander zu tun haben. 

P. Bernd Hagenkord - München

„Ein Christ ist kein unfreier Mensch“, so Kardinal Marx im Gespräch mit Radio Vatikan. „Wenn du im Glauben mitgehst, wirst du nicht unfreier, sondern dann findest du neue Möglichkeiten, neue Hoffnung, Lebenserweiterungen, die deinen Horizont größer machen. Und das ist für mich ein wesentliches Element der Freiheit.“

Aber weil die Geschichte der Kirche ist, wie sie ist, muss auch der Vertreter der Freiheit im Glauben immer wieder defensiv werden. Das Image der Kirche sei leider oft das der Rückwärtsgewandtheit und der Lebensferne.

Zum Nachhören

Dagegen setzt der Kardinal seine persönliche Überzeugung. Ihn habe es oft irritiert, dass in der Freiheitsgeschichte der Menschen die Kirche immer wieder abseits gestanden habe und den Eindruck vermittle, Freiheit verhindern zu wollen. Aber neben der Angst vor der modernen Freiheit habe es auch in der Kirche immer wieder Freiheitsbewegungen gegeben. zum Beispiel das Zweite Vatikanische Konzil. „Es gibt immer wieder diese beiden Bewegungen: die Ängstlichkeit, dass das zu Beliebigkeit führen kann und dass die Kirche so an Profil verliert. Eine Ängstlichkeit, die defensiv ist und sich zurückzieht. Aber das ist nicht mein Bild, mein Bild ist das einer Gemeinschaft, die mit allen unterwegs ist, ihnen etwas zu sagen hat, aber von den Menschen und der Geschichte viel lernt.“

„Freiheit kann nie Beliebigkeit bedeuten oder ‚anything goes‘“

Kirche habe etwas beizutragen, wenn es um Freiheit gehe, so Reinhard Marx. Und der Glaube habe durchaus eine eigene Vorstellung davon, was es bedeute, frei zu sein. „Freiheit kann nie Beliebigkeit bedeuten oder ‚anything goes‘. Das ist auch nicht, was Autonomie im Grunde bedeutet. Auch wenn man von der modernen Vorstellung her kommt bedeutet Freiheit, sich einbinden in die Gemeinschaft, ‚Handle so‘, sagt der Philosoph Immanuel Kant, ‚dass dein Handeln eingebunden ist in die Verantwortung für alle‘. Ich verstehe die christliche Freiheit so: Gott will uns helfen, das was in uns möglich ist und von Gott her geschenkt ist, in der Gemeinschaft mit anderen und im Geist des Evangeliums zu verwirklichen. Das Christentum ist keine einengende, verfremdende Botschaft, sondern es will eigentlich die Möglichkeiten, die Gott uns schenkt, entfalten.“

Gegenargument gegen eine freiheitliche Kirche: die Rolle der Frau

Das Gegenargument gegen eine freiheitliche Kirche war und ist die Rolle der Frau, gerade auch jetzt im synodalen Weg der Kirche, für dessen Start der Kardinal mit verantwortlich war. Da gibt es sehr starke Grenzen der Freiheit. „Zu meinen, Freiheit bedeutet erst dann Freiheit, wenn alle alles tun können, das ist schwierig. Es gibt die Tradition. Es gibt das Kirchenrecht. Daran stoßen sich manche, und das wird auch so bleiben. Das ist aber auch nicht unveränderlich, wie die Kirchengeschichte zeigt. Man darf aber nicht ängstlich an etwas festhalten, ohne dass man diese Dinge bespricht, das war mein Anliegen. Ich habe dafür bis jetzt keine endgültige Antwort, aber wir dürfen dieses Gespräch nicht stoppen.“

„Wir dürfen dieses Gespräch nicht stoppen“

Es gehe aber auf keinen Fall darum, das Evangelium allein in der Vergangenheit zu suchen und sich dort festzumachen, so Marx. Es gehe um ein tieferes Verständnis und darum, in die Zukunft zu gehen, auch und gerade, was das Verstehen der Frohen Botschaft angehe. „Da sind noch Möglichkeiten, die wir vielleicht noch gar nicht ahnen, die uns aber geschenkt werden, wenn wir mutig und ohne Angst in die Zukunft gehen.“

Er glaube an eine Kirche, die langsam zum Vorschein kommen wird, mit diesem Gedanken schließt Kardinal Marx sein Buch. Vielleicht sei es ein wenig wie das Singen im Walde, um sich selber Mut zu machen, gibt er zu. Aber da sei eben auch die Kraft des Evangeliums, die ihn zuversichtlich mache. „Eine bestimmte Epoche einer ‚Kirche der Selbstverständlichkeit‘ vergeht“, so Kardinal Marx. „Und damit vergeht auch eine Sozialgestalt, aber das dauert lange. Und es entsteht eine neue Epoche, die den einzelnen Menschen noch tiefer zeigt, was es bedeutet, Christ zu sein. Und daraus entstehen neue Sozialformen. Aber unsere Epoche ist eine Epoche des Übergangs, und wahrscheinlich ist diese Transformation noch nicht zu Ende, wenn ich im Grab liege.“

Und dann werde man vielleicht auch überzeugend sagen können: „Wenn du einem Christen begegnest, dann begegnest du einem freien Menschen.“

Reinhard Marx: Freiheit. Erschienen im Verlag Kösel.

(vatican news - ord)

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06. Juli 2020, 09:06