Allerheiligen Allerheiligen  (BAV Vat.sir. 559, f. 93v)

Unser Sonntag: Heilige als Vorbilder

Pfarrer Stephan Rüssel stellt uns in der Betrachtung zur Bergpredigt das Leben der Heiligen als "Betriebsanleitung" auf dem Weg zu unserer persönlichen Heiligkeit vor. Katharina von Siena habe beispielsweise gesagt: Sei so, wie Gott dich gewollt hat und du wirst die Welt in Brand setzen. Dieses Feuer, so der Priester, ist der Heilige Geist.

Pfarrer Stephan Rüssel

Mt 5, 1-12A

Allerheiligen


„Die Menschen werden als Originale geboren, die meisten sterben als Kopien.“ Sicherlich kennen Sie diesen Spruch. Und tatsächlich drängt sich mir der Eindruck auf, dass zwar alle Menschen individuell leben wollen, tatsächlich aber immer mehr zu Kopien werden. Sie beugen sich dem Diktat der Mode, sie kaufen, was die Werbung anpreist und sie denken und meinen das, was die Medien ihnen zu Denken und Meinen vorgeben.

Zum Nachhören

Vor einiger Zeit, da stand ich vor einer Schulklasse der Oberstufe. Mein erster spontaner Eindruck war: die jungen Damen sehen irgendwie alle gleich aus. Fast alle trugen Jeans, ein T-Shirt, dass sich weitgehend nur in den Farben unterschied, und bei den Haaren herrschten 3 Frisuren vor. Vor allem fiel mir auf: alle Mädchen hatten im Grunde dasselbe Make-up und sahen sich dadurch sehr ähnlich. Ein Lehrer erklärte mir später, das hänge damit zusammen, daß die ganze Klasse denselben „Influenzern“ bei YouTube folge, auch was die Kosmetik angehe. All diese jungen Damen wollen sich mit Sicherheit originell und individuell geben: tatsächlich aber leben sie als Kopien.

„Wir sind nicht nur als Originale geboren: durch die Taufe sind wir auch gerufen in unserem Leben das zu werden, so zu werden, wie Gott uns gewollt hat.“

„Die Menschen werden als Originale geboren, die meisten sterben als Kopien“. Wir sind nicht nur als Originale geboren: durch die Taufe sind wir auch gerufen in unserem Leben das zu werden, so zu werden, wie Gott uns gewollt hat. Der heilige Ignatius von Loyola hat es auf den Punkt gebracht, als er schrieb: „die wenigsten Menschen ahnen, was Gott aus ihnen machen will, wenn sie nur wollten“. Und die heilige Katharina von Siena hat dazu geschrieben: “Sei so, wie Gott dich gewollt hat und du wirst die Welt in Brand setzen.” Mit dem "Welt in Brand setzen, meint sie das Wort unseres Herrn Jesus Christus: “Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!“ Dieses Feuer ist also der Heilige Geist.

Heilige sind Modelle des Christseins

So sein wie Gott uns gewollt hat, wie geht das? Gibt es da eine Betriebsanleitung? Ja, die gibt es. Allerdings nicht in der Form eines Faltblattes oder eines Heftes. Es gibt sie in der Form lebendiger Vorbilder. Nämlich unserer Heiligen, aller Heiligen, deren Fest wir heute begehen. Die Heiligen in der Kirche sind so etwas wie Modelle des Christseins, sind eine praktische Betriebsanleitung. Und zwar nicht in der grauen Theorie, sondern in der anschaulichen Praxis christlichen Lebens. Also Modelle des Christseins zum Anfassen.

Kein Heiliger gleicht dem anderen. Jeder Heilige hat ein ganz persönliches Gepräge. Ihr Lebensschicksal war zwar meist von ganz besonderen, nicht wiederholbaren Lebensumständen geprägt. Und doch leuchtet in jedem Heiligen Christus als die Mitte seines Lebens und Sterbens auf. Schaut man auf das Antlitz eines Heiligen, so erblickt man in jedem von ihnen auf dem Grunde ihres Lebens nämlich Christus selbst. Darum sind die Heiligen so etwas wie gelebtes Evangelium. Sie sind der wichtigste Kommentar zum Evangelium. Und der kann völlig verschieden aussehen.

Die Heilige Katherina als Beraterin von Päpsten

Nur zwei kleine, kurze Beispiele: die heilige Katharina von Siena, geboren 1347 und gestorben im Jahre 1380, war das 23. Kind eines armen Färbers. Sie mahnte die Päpste, die sich in der sogenannten babylonischen Gefangenschaft in Avignon befanden, nach Rom zurückzukehren,
Geld, Luxus und Pracht zu entsagen und wieder Diener und Hirten der Kirche zu sein. Und tatsächlich: die Päpste kehrten zurück nach Rom und versuchten, mit der Reform der Kirche ernst zu machen.

Der Heilige Konrad von Parzheim als Pförtner

Völlig anders dagegen verlief im Gegensatz dazu, das Leben des Heiligen Konrad von Parzheim. Geboren im Jahre 1818 und gestorben im Jahre 1894 im bayerischen Altötting, versah er 41 Jahre lang den Dienst an der Pforte des dortigen Kapuzinerklosters.
Er verband unermüdlichen Gebetseifer mit steter Dienstbereitschaft und aufopfernder Liebe für Wallfahrer, Wanderer und Arme.

So unterschiedlich das Leben der Heiligen Katharina von Siena und des Heiligen Konrad von Parzheim verlief: das eine im Rampenlicht der Öffentlichkeit, das andere in der Verborgenheit des Klosters – das Leben von beiden war gelebtes Evangelium, das Leben von beiden war ein Weg in der Nachfolge Christi. Sie waren so, wie Gott sie gewollt hat. Sie waren also keine Kopien, sondern Originale.

„Sie waren so, wie Gott sie gewollt hat.“

Wir verbinden mit den Heiligen oft die Vorstellung einer Ausnahme. Das neue Testament hingegen meint mit den Heiligen den Christen ganz allgemein. „Ihr seid von Gott geliebt, seid seine auserwählten Heiligen”, so schreibt uns der heilige Paulus. Dieser Anspruch Gottes gilt jedem Getauften. In der Taufe wurden wir Christus gleichgestaltet, wurden wir Kinder Gottes, wurden wir Söhne und Töchter Gottes. Das heißt, wir sollen dem göttlichen Ruf zur Heiligkeit mit unserem ganzen Leben antworten. „Ich ermahne euch, ein Leben zu führen, das des Rufes würdig ist, der an euch erging“, so mahnt uns der heilige Paulus.

Den Weg zu diesem Leben weist uns unser Herr Jesus Christus im heutigen Evangelium selbst. „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.“ „Selig die Frieden stiften; denn sie werden Kinder Gottes genannt werden.“ „Selig, die verfolgt werden um der Gerechtigkeit willen; denn ihnen gehört das Himmelreich.“

Selig sind die, die in die Fußstapfen Jesu treten

Zunächst aber ist klar: der Arme wird nicht deshalb selig gepriesen, weil er arm ist, und der Verfolgte nicht deshalb, weil er verfolgt wird. Nur derjenige Arme ist selig, der arm ist, weil Christus arm war. Nur derjenige Verfolgte ist selig, der um Christi willen verfolgt wird. Der sich verfolgen lässt, weil Christus verfolgt wurde. Selig sind also die, die in die Fußstapfen Christi treten, die Christus nachfolgen, die so leben wollen, wie Er gelebt hat.
Der heilige Franziskus lebte beispielsweise arm, weil auch Christus arm gelebt hat. Er hätte auch ein Leben in großen Wohlstand führen können.

Aber es ist wohl auch so: kein Mensch wird in allen Bereichen, die im heutigen Evangelium genannt werden, so leben können, wie Christus es getan hat. Und wenn wir uns die Lebensgeschichten der Heiligen ansehen, werden wir feststellen, dass dies wohl auch kein Heiliger getan hat. Wir werden eher feststellen, dass die Heiligen in der Regel Christus ganz besonders in einem Teilbereich nachgefolgt sind. Das aber dann bis zur äußersten Konsequenz. So haben wir heilige Märtyrer, die sich verfolgen ließen „um der Gerechtigkeit willen“, weil Christus ungerecht verfolgt wurde. Und so haben wir heilige Nothelfer, die barmherzig waren, weil auch Christus barmherzig war. So haben wir Heilige, die in Armut lebten, weil auch Christus arm gelebt hat und Besitzlosigkeit gefordert hat. Wir haben sogar heilige Könige und Kaiser, die gerecht waren, weil auch Christus gerecht war.

Pfarrer Stephan Rüssel
Pfarrer Stephan Rüssel


Wir können mit unseren menschlichen Möglichkeiten Christus nicht in allen Bereichen Seines Lebens nachfolgen. Aber wir können es mit den Gaben, die Gott uns gegeben hat, mindestens in einem, manchmal auch mehreren Bereichen, die in den Seligpreisungen der Bergpredigt genannt werden, Christus konsequent nachahmen. Jeder von uns ist gerufen, den Bereich zu suchen und zu finden, in dem er Christus mit ganzer Hingabe, d. h. mit äußerster und letzter Konsequenz nachfolgt. Die einen vielleicht mehr im karitativen Bereich, die anderen vielleicht mehr auf dem Weg der Glaubensverkündigung, die anderen vielleicht mehr im Gebet. Für jeden von uns gibt es einen Weg der Nachfolge Christi, sprich: einen Weg heilig zu werden.

Streben nach Heiligkeit ist ein Abenteuer

In die Nachfolge Christi treten, in die Fußstapfen Christi treten, dass ist eines der letzten großen Abenteuer in unserer Welt, die das Leben nach allen Seiten hin absichern will. Und das gilt nicht nur für Priester und Ordensleute, sondern für jeden Getauften. Ein konsequentes Leben in der Nachfolge Christi trifft heute schnell auf heftigen Widerstand. Sprich: als Original zu leben, so wie Gott einen gewollt hat, kostet etwas. Diese Kosten aber sind immer geradezu lächerlich im Vergleich zu dem, was wir erhalten: „Freut euch und jubelt: denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.“

„Die Menschen werden als Originale geboren, die meisten sterben als Kopien“. Das Leben in der Nachfolge Christi, das daraus folgende Streben nach Heiligkeit, - also sein zu wollen wie Gott uns gewollt hat, - es bewahrt uns davor, als Kopien zu sterben. Wenn wir die Seligpreisungen der Bergpredigt, die wir im heutigen Evangelium hörten, leben, dann bleiben wir immer ein Original.

(radio vatikan - claudia kaminski)

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31. Oktober 2020, 11:00