D: Missbrauch an erwachsenen Frauen wurde unterschätzt
Gudrun Sailer - Vatikanstadt
„Erzählen als Widerstand. Berichte über spirituellen und sexuellen Missbrauch an erwachsenen Frauen in der katholischen Kirche” bündelt die Aussagen von 23 Frauen aus unterschiedlichen Bereichen: Ordensfrauen ebenso wie Kirchenmitarbeiterinnen, Engagierte, Studentinnen und Pfarreiangehörige. „An erwachsene Frauen denken die wenigsten, wenn sie von Missbrauch hören. Genau deshalb war es unser Anliegen, das Buch zu machen, weil wir wussten, dass es diese Frauen gibt”, erklärte einer der Herausgeberinnen, die Theologin Regina Heyder, bei der online-Vorstellung des Buches an diesem Donnerstag.
Ins Leben gerufen hat das Buchprojekt der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB). Wie häufig das Phänomen des Missbrauchs an erwachsenen Frauen in der Kirche ist, lässt sich nach Angaben der Mitherausgeberin Dorothee Sandherr-Klemp schwer nachvollziehen, „weil Missbrauch an erwachsenen Frauen selten erzählt worden ist. Es taucht nicht in Akten auf, weil es oft nicht als Verbrechen oder Problem identifiziert worden ist.” Nach Einschätzung des KDFB gibt es eine hohe Dunkelziffer an in der Kirche missbrauchten Frauen.
Als eine Haupterkenntnis aus dem Band resümiert eine weitere Mitherausgeberin, Barbara Haslbeck: „Spiritueller und sexueller Missbrauch sind eng miteinander verbunden. Und es ist erschütternd wahrzunehmen, wie das Spirituelle hier ein dämonisches Gesicht bekommt. Täter benutzen Spirituelles, um die Übergriffe anzubahnen und zu rechtfertigen.” Aus diesem Grund empfänden Frauen sich bei Übergriffen oft als zusätzlich wehrlos.
Dass ein Machtgefälle zwischen Opfern und Tätern vorliegt, ehe es zu Übergriffen kommt, ist ein bekannter Grundmechanismus von Missbrauch in der Kirche, präzisierte die Regensburger Pastoraltheologin Ute Leimgruber. „Wenn zum Beispiel der Täter gleichzeitig der Exerzitienleiter der Betroffenen ist, kann man nicht von Begegnung auf Augenhöhe zwischen den beiden Personen sprechen. Das Buch zeigt: Missbrauch ist alltäglich, weil Machtverhältnisse alltäglich sind.” Dabei sehen sich Frauen in der Kirche grundsätzlich einer „doppelten Assymmetrie” ausgesetzt, so Leimgruber weiter: „Frauen gegenüber Priestern – Klerikalismus ist in der MGH-Studie ja als wichtiger Risikofaktor genannt worden - und Frauen gegen Männer.” Die patriarchalische Ordnung der Gesellschaft, die Männer über Frauen stellt, sorge dafür, „dass Frauen sich weiblich kodierten Stereotypen gegenübersehen, die sie auch selber verinnerlicht haben.”
Die Erzählungen der 23 Frauen, die in dem Buch alle zum ersten Mal über die von ihnen erlittenen Übergriffe sprachen, ergäben ein erhellendes Gesamtbild, das in der Praxis zeige, worum es bei Missbrauch geht, so Heyder. „Es zeigt, welche Faktoren Missbrauch begünstigen: Klerikalismus und ein bestimmtes Geschlechterbild. Die braven, gehorsamen Mädchen haben es dann auch schwerer, sich gegen Missbrauch zu wehren. Durch die Erzählungen wird klar, wie spiritueller und sexueller Missbrauch zusammenhängen. Das macht es jetzt in Zukunft schwerer, wegzuschauen, wenn Frauen ihre Geschichte erzählen.”
(vatican news)
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