D: Debatte über Suizid-Beihilfe schädlich für die Ökumene?
Der Augsburger Weihbischof Losinger war lange Mitglied im deutschen Ethikrat, sitzt nun im neu gegründeten Bayerischen Ethikrat und ist Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik in seinem Bistum. Er zeigt sich angesichts der Äußerungen aus den Reihen der evangelischen Kirche im Gespräch mit Radio Vatikan gelassen. Es sei die evangelische Kirche selbst, die in den eigenen Reihen zu einer Klärung kommen müsse - schließlich hätten sich sowohl der EKD-Ratsvorsitzende als auch die Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates, Bischöfin Breit-Keßler, entschieden gegen die Möglichkeit der Unterstützung einer Selbsttötung in evangelisch geführten Einrichtungen ausgesprochen.
Überraschende Äußerung
„Ich war persönlich überrascht von diesem Artikel vom 11.01. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, in der der Vorsitzende der Kammer für die öffentliche Verantwortung der EKD als auch der Präsident des Wohlfahrtsverbandes der Diakonie sich dahingehend äußern, ein abgesichertes System von Möglichkeiten des assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten, wie es dort heißt“, meint Weihbischof Losinger. „Das war glaube ich nicht nur für mich, sondern für die evangelische Kirche selbst ein Überraschungsmoment, da daraufhin deutlich wurde, dass eine Reihe von evangelischen Theologen und auch der Landesbischof anders denken.“
Herausforderung liegt bei der EKD
Die große Herausforderung liege im Moment also keineswegs im Dialog zwischen katholischer und evangelischer Kirche zur Problematik der Sterbebeihilfe - „sondern die evangelische Kirche muss selbst zunächst einmal zu einem einigungsfähigen Modell und zu einer tragfähigen Meinung kommen“, konstatiert Losinger.
Der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Bedford-Strohm, habe sich seiner Auffassung nach „in der Lebensrechts-Frage eindeutig“ geäußert, zeigt sich der Augsburger Weihbischof überzeugt. „Auch wenn ich an meine Kollegin, die Vorsitzende des Bayerischen Ethikrates Bischöfin Breit-Keßler, denke, dann sehe ich hier eine hochgradige Übereinstimmung in den Grundsätzen von Lebensrechts- und Menschenrechtsperspektive. Allerdings muss man sehr nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass die Streuung in der evangelischen Theologie und auch im evangelischen Kirchenamt größer ist als in der katholischen Kirche, was auch mit der besonderen Begründungslage der einzelnen Ethiksysteme zusammenhängt“, erläutert der katholische Ethikexperte.
Doch die jahrelange fruchtbare Debatte mit der EKD habe letztlich gezeigt, dass die Übereinstimmung in Lebensrechtsfragen immer stärker war als das Trennende, so Losinger. Das wirkliche Problem stelle aktuell die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes dar, das Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe aufzuheben. „Die Frage des Lebensrechts vor dem Gesetz ist in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen in eine prekäre Lage gekommen“, meint dazu Losinger. Denn mit dem Urteil sei eine Situation erzeugt worden, die für Menschen im Alter enorme Probleme mit sich bringe und letztlich dafür sorgen könne, „dass assistierter Suizid als der Normalfall des menschlichen Sterbens im Alter oder in Krankheit gewertet werden“ kann, warnt Losinger.
Suizid ist Hilferuf an die Gesellschaft
In seinem Urteil habe das BVG nicht nur das Verbot der professionellen Suizidbeihilfe in Paragraph 217 StGB gekippt, sondern auch aus der Verfassung ein autonomes Selbstbestimmungsrecht des Menschen - selbst über das eigene Sterben - abgeleitet. „Das ist eine andere Perspektive auf das Leben des Menschen, die sehr stark von einem autonomen Verständnis über Selbstbestimmung in allen Lebenslagen ausgeht. Wir dagegen sagen, nein, Menschen, die in einer prekären Lebenssituationen sind, also in Pflegebedürftigkeit, in Krankheit, sind angewiesen auf Hilfe von außen. Und deswegen wird hier ganz klar deutlich, dass etwa die allermeisten Fälle der vollendeten Suizide in der Bundesrepublik Deutschland nicht ein Akt der freiheitlichen Selbstbestimmung sind, sondern ein Hilferuf an die Gesellschaft, weil in den allermeisten Fällen tiefe psychische Notlagen ausschlaggebend sind. Deswegen muss unsere Antwort sehr deutlich lauten, was wir bieten müssen, ist nicht Organisation von Sterbebeihilfe, sondern Hilfe in schwierigen Lebenslagen.“
Angehörigen nicht zur Last fallen wollen
Die Instrumente, die dafür zur Verfügung stünden, seien letztlich „offensichtlich“, betont Losinger, der nicht nur Trost, Hilfe und Beistand in der Seelsorge aufzählt, sondern auch die Entwicklung der Palliativversorgung. „Solche Instrumente erscheinen mir wichtiger als hier diesen emanzipatorischen autonomen Akt der Freiheit zu sehen“. Dies werde sehr deutlich, wenn man sich näher mit dem Phänomen des Suizids beschäftige... „Und ich beziehe mich nicht nur von wissenschaftlicher Seite auf das bekannte nationale Suizidpräventionsprogramm der Bundesregierung, die bei den allermeisten der zehntausend in der Bundesrepublik vollzogenen Suizidfälle diese psychische Notlage sieht, sondern gleichzeitig auch auf diese prekären Situationen von Pflege und Krankheit, in denen Drang von außen herrscht, so dass Menschen sich von ihrem eigenen Angehörigen im Grunde oft nicht mehr gestützt sehen und ihnen - wie man heute so sagt - halt nicht zur Last fallen wollen.“
Selbstbestimmungsrecht auch über den eigenen Tod
Anlass der Debatte ist eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Karlsruher Richter hatten im Februar 2020 das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben. Die Richter betonten, es gebe ein umfassendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Darin sei die Freiheit eingeschlossen, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Die EKD und die katholische Deutsche Bischofskonferenz hatten sich bereits ablehnend zu dem Ansinnen geäußert, Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zuzulassen.
(vatican news/kna - cs)
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