D: „Wenn harter Lockdown, dann bitte wirklich harter Lockdown“
Im Gespräch mit Michelle Olion vom Kölner Domradio warnt der Präsident des Familienbundes der Katholiken, die Jugend könne zur „Lost Generation" - einer verlorenen Generation - werden.
Domradio: Was meinen Sie genau mit der „Lost Generation"?
Ulrich Hoffmann (Präsident des Familienbundes der Katholiken): Ich meine damit, dass die Anliegen der jungen Generation in dieser Pandemie zu wenig gesehen werden. Wir sind jetzt seit fast einem Jahr mit dieser Situation der Lockdowns immer wieder konfrontiert. Und mir geht ab, dass in dieser Zeit im Grunde keine kreativen Modelle entstanden sind, wie in dieser Zeit auch die Anliegen junger Menschen, etwa in der Schule, in der Kita durch andere auch pädagogische Konzepte, auch durch räumliche Veränderungen, wie hier darauf eingegangen worden wäre.
Übrigens auch für Studentinnen und Studenten. Mir hat gestern ein Student erzählt, der jetzt im zweiten Semester ist und eine Uni noch nie von innen sehen konnte. Das sind einfach Situationen, ich glaube, dass wir darüber zu leichtfertig hinweggehen. Und darauf haben wir oder darauf habe ich hinweisen wollen mit dieser starken Formulierung.
Domradio: Man könnte das natürlich auch kritisch kommentieren und sagen: „Lost Generation" ist das nicht ein bisschen übertrieben? Immerhin sterben in Deutschland gerade Hunderte von Menschen jeden Tag wegen Corona. Da müssen wir doch alle einen Beitrag leisten, diese Pandemie in den Griff zu kriegen.
Hoffmann: Absolut. Da stimme ich Ihnen in jeder Hinsicht zu, dass wir hier alle zusammenstehen müssen, aber dann tatsächlich alle. Es ist etwa nicht verständlich, warum Betriebe nach wie vor offen bleiben können, wo Menschen eng miteinander zusammenarbeiten und gleichzeitig Schulen geschlossen werden. Diese Logik erschließt sich immer weniger Menschen. Oder dass Menschen dann in Betrieben eng zusammenarbeiten, auch Leute aus vielen anderen Haushalten treffen, zu Hause aber dann nur noch eine Person treffen sollen.
Diese Logik erschließt sich nicht .Wenn harter Lockdown, dann bitte wirklich harter Lockdown. Und dann müssen wir eben in allen Dingen runterfahren und nicht nur zulasten der jüngeren Generation, weil hier dann einfach auch die Solidarität, die eingefordert wird, immer weniger erbracht wird, weil man das Gefühl hat als junger Mensch, die Solidarität mit mir wird aber nicht aufgewiesen.
Entscheidungen zulasten der jüngeren Generation
Domradio: Das heißt, Ihrer Meinung nach hätten Schulen und Kitas jetzt einfach wieder ganz normal öffnen sollen?
Hoffmann: Meiner Meinung nach hätten die letzten Monate dringend genutzt werden müssen, um an den Schulen und auch für die Schulen andere infrastrukturelle Maßnahmen zu überlegen. Wie kann Unterricht in diesen Zeiten in kleineren Gruppen auch mit räumlichen Veränderungen organisiert werden? Das digitale Thema, dass wir hier hinten dran sind, ist, glaube ich, nach wie vor immer noch zu bejammern. So rasend viel passiert ist auch hier nicht. Wir haben im Grunde diese Monate für Kinder und Jugendliche schlicht verschlafen. Und das beklage ich, beklagen wir als Familienbund.
Ich bin Jugendbeauftragter meiner Heimatstadt und habe hier auch mit vielen Jugendlichen zu tun. Und das ist das, was beklagt wird und was auch frustriert. Junge Menschen bekommen warme Worte, aber keine spürbaren politischen Entscheidungen, die auch ihre Bedürfnisse irgendwie im Blick haben.
Domradio: Sie haben es eben schon mal kurz angerissen, dass ein bisschen verschlafen wurde und man andere Maßnahmen hätte ergreifen können. Ein besseres Konzept als Lüften und Maske tragen ist Politik und Schulen bislang tatsächlich nicht eingefallen. Was hätte man konkret in den letzten Monaten besser machen müssen, was schlagen Sie da konkret vor?
Hoffmann: Also etwa Wechselunterricht-Modelle in kleinen Gruppen sind besser als reine digitale Formate, die vor allem auch Kinder und Jugendliche erreichen, die etwa zu Hause nicht über die entsprechende Infrastruktur verfügen sich digital in der erforderlichen Weise zu beteiligen. Dann würde man auch die Anfangszeiten im Unterricht damit etwas regulieren können, dass die Kinder und Jugendlichen nicht im überfüllten öffentlichen Nahverkehr sitzen müssen zum Beispiel. Das man hier praktisch andere Modelle entwickelt.
Dazu kommt, die Corona-Krise macht natürlich etwas deutlich, was zuvor schon verschlafen wurde, dass auch die bauliche Situation vieler Schulen in unserem Land in einem beklagenswerten Zustand ist, dass wir hier im Grunde oft gar keine Möglichkeiten haben in kleineren Gruppen zu unterrichten. Aber auch da ist in den letzten Monaten im Grunde viel zu wenig bis gar nichts passiert.
Das Interview führte Michelle Olion.
(domradio - sst)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.