D: Kölner Missbrauchs-Gutachten vorgestellt
Das Gutachten zum Umgang mit Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln stellte allerdings in 24 der insgesamt 236 ausgewerteten Aktenvorgänge Pflichtverletzungen von Amtsträgern fest. In 104 Vorgängen gebe es darüber hinaus Hinweise auf mögliche Pflichtverletzungen. Das sagte die Rechtsanwältin und Co-Autorin der Studie, Kerstin Stirner, vor Journalisten in Köln.
Das Handeln der Verantwortlichen im Erzbistum sei über viele Jahre „von Chaos, subjektiv empfundener Unzuständigkeit und Missverständnissen“ geprägt gewesen. Geändert habe sich dies erst mit Einrichtung einer Interventionsstelle im Jahr 2015. In den Jahren zuvor sei es aufgrund widersprüchlicher Aussagen der Betroffenen schlicht nicht möglich gewesen, die Verhältnisse im Erzbistum zu rekonstruieren.
Gutachten belastet Kardinal Meisner
Das Gutachten zum Umgang der Kölner Bistumsleitung mit Missbrauchsfällen belastet den verstorbenen Kardinal Meisner. Meisner soll in seiner Zeit als Erzbischof von Köln 24 Mal gegen Kirchenrecht verstoßen haben, wie der Kölner Anwalt Björn Gercke mitteilte. Die Pflichtverletzungen beziehen sich nach seinen Erkenntnissen auf 14 in den Akten des Erzbistums dokumentierte Missbrauchsfälle.
Meisner soll gegen die Aufklärungs-, Meldungs-, Sanktions-, Verhinderungspflicht und die Pflicht zur Opferfürsorge verstoßen haben. Der derzeitige Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki hingegen habe seine Pflichten im Umgang mit Missbrauchsfällen in keinem Fall verletzt.
Heße soll Pflichtverletzungen begangen haben
Auch der amtierende Hamburger Erzbischof Stefan Heße soll in seiner Zeit als Leiter der Abteilung Seelsorge und Personal im Erzbistum Köln sieben Mal seine Pflichten verletzt haben, darunter zählten die Gutachter fünf Verstöße gegen die Aufklärungspflicht.
Insgesamt stellten die Gutachter 78 Pflichtverletzungen fest, die von acht Personen begangen wurden. Diese beziehen sich auch auf den Kölner Weihbischof und früheren Generalvikar Dominikus Schwaderlapp sowie den früheren Kölner Generalvikar Norbert Feldhoff.
Schwaderlapp bietet Amtsverzicht an
Ihnen sowie den bereits verstorbenen Erzbischöfen Joseph Höffner (1906-1987) und Joachim Meisner (1933-2017) attestiert die Anwaltskanzlei Gercke & Wollschläger jeweils zahlreiche Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen - gemessen am staatlichen und kirchlichen Recht sowie am kirchlichen Selbstverständnis. Belastet wird auch der Leiter des Kölner Kirchengerichts, Günter Assenmacher, der in zwei Fällen unzutreffende Rechtsauskünfte gegeben haben soll.
In einer ersten Reaktion hat Kardinal Woelki Schwaderlapp und Assenmacher vorläufig von ihren Aufgaben entbunden. Schwaderlapp teilte daraufhin mit, er werde Papst Franziskus seinen Amtsverzicht anbieten.
Sein Team habe insgesamt die Geschehnisse der Vergangenheit nicht lückenlos rekonstruieren können, sagte Strafrechtler Björn Gercke. „Wir haben erhebliche Mängel im Hinblick auf die Organisation des Aktenbestands sowie der Aktenführung im Erzbistum festgestellt.“ Zudem habe sein Team den Eindruck gewonnen, dass einige Aktenbestandteile fehlten. Vor allem einige ältere Akten seien handschriftlich geführt und zum Teil unleserlich. Im Laufe der Begutachtung seien auch mehrfach Unterlagen nachgereicht worden.
Eigener Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“
Der Strafrechtler erklärte, dass der frühere Kölner Erzbischof Joachim Meisner (1933-2017) zusätzlich zu den Beständen des Erzbistums einen eigenen Ordner mit Akten über „Brüder im Nebel“ geführt habe, „in dem er geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufbewahrt“ habe. Mindestens zweimal habe es Aktenvernichtungen gegeben, wie sie das kirchliche Recht jedoch vorschreibe. Die Gutachter hätten in diesen Fällen weitere Nachfragen bei verschiedenen Stellen des Erzbistums unternommen.
254 Verdachtsfälle ausgewertet
Das Team um Gercke wertete 254 Verdachtsfälle zwischen 1975 und 2018 aus. Sie zählten 314 Betroffene von sexuellen Übergriffen durch 202 beschuldigte Kleriker und andere Kirchenvertreter, wobei die Geistlichen mit 127 die größte Gruppe bildeten. 178 der Betroffenen waren männlich und 119 weiblich. Das Geschlecht der restlichen Opfer habe nicht zugeordnet werden können. Bis auf einen Betroffenen waren alle unter 18 Jahre alt.
In den meisten der 254 Fälle, nämlich in 117, wurde der Verdacht nicht aufgeklärt, wie es hieß. In 45 habe sich der Verdacht bestätig, in 15 ließ er sich entkräften, hieß es. In 68 Fällen war der Beschuldigte bereits verstorben. Die meisten der Opfer (112 von 314) berichten von Übergriffen im Zeitraum vor 1975. 100 Opfer erlebten einen sexuellen Missbrauch, 48 weitere einen schweren sexuellen Missbrauch.
Wenig Zeit für Auswertung
Für ihre Auswertung hatten die Rechtsexperten nur wenige Monate Zeit. Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki gab das Gutachten vergangenen Oktober in Auftrag. Es handelt sich um die zweite Ausarbeitung für das Erzbistum - ein erstes Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wurde zunächst nicht wie vorgesehen veröffentlicht, weil Woelki es für mangelhaft hält. In einer teils hart geführten Debatte warfen ihm Kritiker immer wieder fehlenden Aufklärungswillen vor.
Woelki nahm an der Präsentation teil. Laut Erzbistum kannte er den Inhalt des Gutachtens zuvor nicht. Der Kardinal will sich kommenden Dienstag zu möglichen personellen Konsequenzen äußern. Ab dem 25. März sollen dann Betroffene, Journalisten und weitere Interessierte das unveröffentlichte WSW-Gutachten einsehen dürfen. Beide Untersuchungen liegen bereits der Staatsanwaltschaft vor.
(kna/domradio – sk)
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