D: Lebensschutz am Lebensende - „dramatisch wachsende Bedeutung“
Wir sprachen mit dem Augsburger Weihbischof Anton Losinger. Nicht nur ist Losinger als Bischofsvikar für Bioethik und Sozialpolitik sowie Mitglied des Bayerischen Ethikrats ausgewiesener Experte für das Thema, sondern in seiner Diözese wird mit dem großen Ökumenischen Gottesdienst am Samstag die bundesweite Initiative auch eröffnet.
Das Thema „Leben im Sterben“
Radio Vatikan: Herr Weihbischof, die Ökumenische Woche für das Leben 2021 hat in diesem Jahr das Thema „Leben im Sterben“. Das Thema war eigentlich schon für 2020 gewählt worden, damals musste die Woche für das Leben aber ja wegen des Lockdowns ausfallen. Warum wurde dieses Thema gewählt und beibehalten?
Weihbischof Losinger: Das Thema „Leben im Sterben“ betrifft in einer Gesellschaft ein prominentes Thema des Lebensschutzes schlechthin, weil gerade in älter werdenden Generationen die Frage des Sterbens in den Mittelpunkt tritt. In Deutschland ist das vor allem derzeit virulent, weil mit der neu entstehenden Gesetzgebung im Deutschen Bundestag, die durch das Bundesverfassungsgericht ausgelöst wurde, die Frage der Neuregelung der Schutzbedürftigkeit des Lebens und vor allem des selbstbestimmten Sterbens ansteht.
Die Voraussetzung und der Anstoßpunkt war ja das ominöse Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020, als das Gericht das damals bestehende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe kippte und ein autonomes Recht der Selbstbestimmung jedes Menschen über seinen eigenen Todeszeitpunkt bestimmte. Darüber hinaus, und das betrifft auch Ärzte und Sterbehelfer, die Notwendigkeit, dass jeder Mensch Hilfe in Anspruch nehmen könnte bei seinem absichtlichen und selbstbestimmten Sterben. Und deswegen ist das Thema „Leben am Lebensende“ und die Frage des Lebensschutzes ein ganz entscheidendes für Deutschland.
Corona-Pandemie bringt Versorgungsnotlage mit sich
Radio Vatikan: Nun ist auch die Pandemie dazugekommen. Da bekommt dieses Thema ja noch einmal eine ganz andere Dynamik und Aktualität. Inwiefern wird das auch bei der Woche für das Leben thematisiert?
Weihbischof Losinger: Das Thema Pandemie und die COVID-19 Situation hat ja international eine bedeutende Notlage in der Versorgung von Menschen mit sich gebracht. Und vor allem die Sorge um schwerkranke und sterbende Menschen ist dort in den Mittelpunkt getreten, wo in der Pandemie Menschen schwer krank wurden. Allein das Stichwort Triage, also die Zuteilung von lebensrettenden Maßnahmen und Instrumenten unter absoluter Knappheit, hat ja die Runde gemacht und selbst bei Medizinern große Bedenken ausgelöst. Deswegen ist unter COVID-19-Bedingungen selbstverständlich auch dieses Thema ,Leben im Sterben' und seelsorgliche medizinische Betreuung von Menschen in einer menschenwürdigen Sterbebegleitung wichtig.
Radio Vatikan: Blicken wir genauer aufs Programm - die bundesweite Eröffnung am Samstag, 17. April 2021, findet ja bei Ihnen in Augsburg statt. Was erwarten Sie sich vom Auftaktgottesdienst und was sind weitere Höhepunkte der ökumenischen Woche für das Leben?
Weihbischof Losinger: Nicht nur für Augsburg ist das eine besondere Gelegenheit, die Woche für das Leben zu Gast zu haben. Es ist ja eine prominente Initiative der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland, die sich um die Anerkennung der Schutzwürdigkeit und der Schutzbedürftigkeit des Lebens kümmert. Und wenn nun festzustellen ist, dass die Woche für das Leben schon zum 25. Mal stattfindet, dann ist es eine ehrwürdige wichtige Tradition, die auch die Wichtigkeit des Themas Lebensrecht und Lebensschutz zeigt. Naturgemäß ist jetzt für uns in Augsburg der Gottesdienst im Dom - prominent besetzt mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Bätzing, und dem Ratsvorsitzenden der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, flankiert von unserem Augsburger Bischof Bertram Meier und vom evangelischen Regionalbischof Axel Pieper - ein Gottesdienst, der natürlich Lebensrecht und Lebensschutz beim Urheber des Lebens verankert, der letztendlich in Gott besteht.
Konferenz mit Experten aus Politik, Kirche und Wissenschaft
Daraufhin wird dann ab 12 Uhr eine digitale Zoom-Konferenz mit Experten aus Politik und Wissenschaft und auch der Kirche stattfinden, die sich dieser Lebensfrage im Blick auf die Pandemie und auf den Lebensschutz im Alter annehmen. Dazu können wir uns besonders freuen über Claudia Bausewein, sie ist ja die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, und über den Chef des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery. Darüber hinaus ist Traugott Roser von der evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Münster zu Gast, und ich darf als theologischer Part und als Augsburger in dieser fachlichen Runde am Nachmittag dabei sein. Es ist eine virtuelle Konferenz, die wir COVID-19 und der Pandemie schulden.
Radio Vatikan: Zum Eröffnungsgottesdienst (Sie haben es eben erwähnt) werden der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, erwartet. Welche Rolle spielt die Ökumene bei der Woche für das Leben?
Weihbischof Losinger: Gott sei Dank ist die Woche für das Leben seit 1994 immer eine ökumenische Veranstaltung. Die katholische und evangelische Kirche gehören in diesen substanziellen Lebensrechtsfragen selbstverständlich zusammen und ich meine, dass die Woche für das Leben immer wieder auch eine Vergewisserung der gemeinsamen ethischen Basis ist. Dieses Mal bei den Fragen am Lebensende, also Leben im Sterben, Palliativversorgung, ist es ein Thema, das mehr und mehr Menschen in einer älter werdenden Gesellschaft betrifft. Und ich bin froh darum, dass gerade in einer Zeit, in der die Frage des selbstbestimmten organisierten Sterbens im Bundestag bald diskutiert werden wird, nun diejenigen Themen zum Vorschein kommen, die wir als Kirche präsentieren wollen.
Gemeinsame Position der Kirchen gegenüber der Politik
Wir sehen Menschen als vulnerable Gruppen, wenn sie selber in eine solche Sterbenssituation kommen. Wir sehen älter werdende Menschen mit all den Fragen, die auf sie zukommen, wenn sie plötzlich nicht mehr für sich selber sorgen können. Und deswegen stehen wir als Kirche bereit, nicht für eine schiefe Ebene, bei das Sterbenwollen und -sollen gefördert wird, sondern für Hilfe, für palliative Versorgung und für das Hospiz. Das Anliegen ist, Menschen in dieser Phase des Älterwerdens und des Sterbens eine lebenswürdige begleitete Umgebung anzubieten, in der sie diese letzte - vielleicht entscheidendste - Phase ihres Lebens behütet erleben dürfen.
Radio Vatikan: Sie sprachen eben von einer Selbstvergewisserung der gemeinsamen Linie der beiden Kirchen, die in diesen Tagen spürbar wird. Insbesondere nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes gab es ja durchaus auch voneinander divergierende Meinungen in den beiden Kirchen…
Weihbischof Losinger: In der Tat war nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes in der Frage der Sterbehilfe ein Dissens der beiden Kirchen zu spüren. Ich meine, dass diese grundsätzlichen positiven Möglichkeiten, die wir Menschen am Lebensende eröffnen wollen, eine gemeinsame Basis ökumenischer Natur zwischen den beiden Kirchen ist und dass wir etwa gerade bei Palliativversorgung und Hospiz nicht nur mit dem ökumenischen Partner im Gleichschritt gehen, sondern vor allem auch bei den Ärzten im Krankenhaus, denen natürlich all diese Menschen in besonderer Weise medizinisch anvertraut sind, vielfach eine offene Tür vorfinden.
Ein Brief der Glaubenskongregation
Radio Vatikan: Vor einem Jahr hat der Vatikan sich mit dem Brief der Glaubenskongregation „Samaritanus bonus“ auch noch einmal zum Thema Lebensende geäußert und darin die Ablehnung jeder Form von Euthanasie und Beihilfe zum Selbstmord noch einmal unterstrichen. Wie wurde dieses Schreiben in Deutschland ihrer Erfahrung nach aufgenommen und spielt es bei der Woche für das Leben evtl. auch noch einmal eine Rolle?
Weihbischof Losinger: Im Bereich der Ethik und vor allem im gesamten kirchlichen Umfeld von Hospiz und Palliativ-Idee war die Frage einer aktiven Sterbehilfe niemals Thema, weil der Grundgedanke, dass Menschen durch die Hand eines anderen aktiv zum Tode gebracht werden können, eine ethisch und theologisch indiskutable Vorstellung ist. Deswegen sind Samaritanus bonus und vor allem die notwendige heilende Zuwendung zu Menschen in einem Krankheits- oder Sterbeprozess ein ganz entscheidender Punkt. Gerade auch im Bereich der Seelsorge und der medizinisch-ethischen Umgangsfragen mit sterbenden Menschen war uns immer klar: die Herausforderung einer Gesellschaft mit humanem Antlitz ist es, Hilfen zum Leben bereit zu stellen, anstatt Sterbehilfeorganisationen zu organisieren und Sterbehilfe zu leisten. Das gilt auch etwa für das Selbstbewusstsein und die Rolle des Mediziners.
Frank Ulrich Montgomery, der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, ist der Ansicht, dass ärztlich assistierter Suizid unter keinen Umständen in den Instrumentenkoffer des Arztes gehört. Der Arzt ist Heiler, seinem hippokratischen Eid verpflichtet, und kann nicht zum Vollstrecker gewandelt werden. Insofern ist gerade medizinische Zuwendung und medizinische Leistung etwa auch im Bereich der Palliativversorgung, also der Schmerzlinderung, ein ganz entscheidender Beitrag, der meines Erachtens tief in das Ethos des Arztes hinein reicht. Frank Ulrich Montgomery berichtet selbst, dass er viele Fälle erlebt hat, bei denen Patienten, denen eine glaubwürdige schmerzlindernde Behandlung versichert werden konnte, von ihrem Sterbewunsch zurückgetreten sind.
Radio Vatikan: Vielen Dank für dieses Gespräch!
Weihbischof Losinger: Ich danke Ihnen, zumal dieses Thema Lebensrecht und Lebensschutz in einer älter werdenden Generation eine dramatisch wachsende Bedeutung haben wird.
(radio vatikan - cs)
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