Jerusalem/Rom: Der Traum vom gemeinsamen Osterdatum
Mario Galgano und Stefan von Kempis – Vatikanstadt
Während der Fastenzeit hat sich der orthodoxe Erzbischof Job Getcha von Telmessos, Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK), dafür ausgesprochen, die Berechnung des Osterdatums zu ändern, damit die orthodoxen Christen die Auferstehung Jesu künftig am gleichen Tag wie die westlichen Christen feiern können. Das Moskauer Patriarchat, das sich derzeit auch aus anderen Gründen mit Konstantinopel überworfen hat, will dabei jedoch nicht mitmachen.
Der Benediktinermönch Nikodemus Schnabel ist Ostkirchenexperte und Direktor des Jerusalemer Instituts der Görres-Gesellschaft. Er war von 2016 bis 2018 Prior-Administrator der Abtei auf dem Zionsberg. Derzeit lebt er in Rom. Wir sprachen mit ihm.
Das Interview
Radio Vatikan: Die Christen feiern alle zu verschiedenen Zeiten Ostern. Hier in Europa bekommt man das meistens nicht so richtig mit, aber im Heiligen Land, wo die Pilgergruppen anreisen, ist es natürlich ein Politikum.
Nikodemus Schnabel OSB: Das ist ein Riesenthema! Wenn man im Westen über Konflikte rund um Ostern spricht, dann geht es meistens ums Tanzverbot an Karfreitag. Aber gerade in meiner Wahlheimat Jerusalem ist es ein Riesenthema: Ostern wird selten gemeinsam gefeiert. Wir haben zwei verschiedene Osterfeste, das östliche, orientalische und das westliche. Und das ist natürlich bei einer Minderheit von 1 bis 2 Prozent Christen im Heiligen Land schon tragisch, wenn die Christen nicht gemeinsam Ostern feiern können.
Es gibt, glaube ich, kein Land, in dem Ökumene so glaubwürdig und so gut funktioniert wie im Heiligen Land; die konfessionsverbindenden Ehen sind der Regelfall. Eine Familie ist unglaublich glücklich, wenn die Tochter oder wenn der Sohn eine Christin bzw. einen Christen heimbringt. Es ist vollkommen normal, dass die Tochter römisch-katholisch ist, der Mann armenisch-apostolisch, der Cousin ist griechisch-orthodox, eine andere Cousine ist Lutheranerin. Das ist alles normal, auch für unsere Angestellten - eine bunte Ökumene.
Wenn man Christen fragt, was genau sie denn sind, dann wollen sie nicht das Trennende wissen. Wir haben die eine gemeinsame Taufe, sagen sie - was theologisch wunderbar ist. Das ist ein Glaubenszeugnis! Da würde ich mir wünschen, dass alle Christen der Welt immer so antworten würden. Aber bei Ostern wird es halt wirklich heikel...
Die konkreten Streitfälle
Radio Vatikan: Und wie feiert man das, wenn jeder sein Ostern an einem anderen Datum hat?
Nikodemus Schnabel OSB: Jetzt hat man zum Beispiel eine Familie, bei der die Frau römisch-katholisch ist, der Mann griechisch-orthodoxe - wie macht man das jetzt? Das kann man schön getrennt machen, aber was bedeutet das? Bedeutet das, dass die Frau jetzt an ihrem westlichen Ostern schön die Lammkeule macht und dann selbst verzehrt, während der Mann mitten in der strengsten Fastenzeit steckt und sich streng vegan ernähren muss? Also, ich kann mir das nicht gut vorstellen.
Oft besteht dann eine Lösung darin, dass man sagt: Wir einigen uns in der Familie. Oft ist es dann so, dass man dem Vater folgt. Jetzt ist das in der Kleinfamilie geklärt, aber wie ist das denn jetzt, wenn sozusagen die Familie der Frau, die römisch-katholisch ist, sagt, liebe Tochter, willst du mit dem Enkel nicht vorbeikommen? Wir haben jetzt hier groß gekocht... und sie sagt, er muss fasten, weil er orthodox ist, und wir können erst in vier Wochen kommen! Das ist also schwierig... Oder man einigt sich auf eine pragmatische Lösung: In den Pfarreien feiert man östlich, wartet dann halt auf die orthodoxen und orientalisch-orthodoxen Geschwister - und feiert erst dann gemeinsam Ostern. Das hat aber zur Folge, dass in Jerusalem sich ein Pilgerort entwickelt, in dem der Bischof von Jerusalem und die ganzen Klöster sowie die Pilger Osterferien haben, wenn der Papst schon längst Ostern gefeiert hat!
Für dieses Jahr hat ja die katholische Bischofskonferenz vom Heiligen Land entschieden, dass eben die Verbindung mit der Weltkirche, mit dem Papst wichtiger und zentraler ist als die ökumenische Rücksichtnahme. Dieses Jahr ist ja vier Wochen Unterschied, was enorm ist... Es ist ein Riesenthema, und wir werden ja 2025 seit langem wieder ein Ostern haben, das wir gemeinsam feiern - und das eben auch gnadenhaft 1.700 Jahre nach der Beilegung des Osterfeststreits. Man muss immer sehen, dass diese Osterfest-Berechnung ein großes Thema ist.
Die Bedeutung der jüdischen Wurzeln
Radio Vatikan: Um was geht es eigentlich? Und welche Lösung kann es geben?
Nikodemus Schnabel OSB: Es geht genau um die Spannung, was wichtiger ist - also das Ernstnehmen der Naturphänomene oder das Ernstnehmen der Tradition. Jetzt könnte man sagen, dass sich doch der Osten dem Westen anschließen kann, indem die im Osten sagen, dass der Westkalender astronomisch richtiger ist. Aber da würde es wieder einen Sieger und einen Verlierer geben. Hält man sich an die Tradition, dann verliert man auf Kosten der Naturphänomene.
Radio Vatikan: Und was ist mit einem „neutralen“ Modell, bei dem man eine andere Berechnung festlegt?
Nikodemus Schnabel OSB: Ja, es gab noch ein ganz anderes Modell. Das findet man beim Zweiten Vatikanischen Konzil, und zwar im Anhang von „Sacrosanctum concilium“, der Liturgiekonstitution. Dort wird gesagt, dass die katholische Kirche sich nicht gegen einen neue Osterfestberechnung sperrt. Man könne auch gerne einen festen Sonntag im Jahr festlegen - und das war tatsächlich ein Vorschlag, zu sagen, dass der zweite oder dritte Sonntag im April immer Ostern ist. Die Wirtschaft würde sich darüber freuen. Man kann dann besser planen, weil man weiß, wann Ostern ist. Das wäre genauso planbar wie Weihnachten.
Radio Vatikan: Was spricht dagegen?
Nikodemus Schnabel OSB: Da würde weder die Frage nach dem Naturphänomen und der Naturbeobachtung des Frühlingsvollmondes noch die Frage nach der Tradition noch eine Rolle spielen! Das wäre also theologisch für mich das schwächste Modell. Man ist davon auch weggekommen.
Doch ich glaube, wir sollten auf jeden Fall zu einem gemeinsamen Osterfest hinkommen, denn es wäre natürlich ein ganz starkes Zeichen auch für die Einheit der Christenheit! Ostern verbindet uns, und das Oster-Mysterium, also der Glaube an die Auferstehung, ist doch die Grundlage aller Christinnen und Christen. Da wäre es egal, ob man reformiert, lutherisch, orientalisch-orthodox oder katholisch ist. Der Glaube an die Auferstehung ist doch das wichtige Fundament des gemeinsamen Glaubens! Ich finde es unglaublich wichtig, wenn wir Ostern auch gemeinsam feiern würden.
Für mich stellt sich die Frage, ob wir vielleicht eine Lösung finden, indem wir uns als Gesamtchristenheit irgendwie lossagen vom Sieger-Verlierer-Denken. Vielleicht sollen wir gemeinsam auf das Judentum zugehen und wieder an eine ganz urkirchliche Haltung anknüpfen, indem wir sagen: Wie wäre es denn, wenn wir wieder klar machen, dass das christliche Pessach ganz eng mit dem jüdischen Pessach in Verbindung steht? Und indem wir wirklich sagen, wir feiern das auch so! Das wäre mein konkreter Vorschlag. Da müssten sich alle Christen bewegen! Wir feiern am Pessach-Sonntag, am Sonntag nach dem 14. Nisan - und die Juden sollen astronomisch nach ihrem jüdischen Kalender berechnen, wann Pessach ist; wir schließen uns als Christen an und feiern dann am entsprechenden Sonntag Ostern.
Das wäre ein starkes Zeichen, nicht nur ökumenisch. Es wäre irgendwie auch ein Verneigen der gesamten Christenheit vor unserem gemeinsamen Fundament, dem Judentum... Für mich ein starkes Zeichen.
(vatican news)
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