Spionage gegen Vatikan und Kirche? Gespräch mit einem Buchautor
Radio Vatikan: Herr Nersinger, Kirche und Spionage, wie geht das zusammen?
Ulrich Nersinger: Ganz einfach. Kirche, Religion lebt in der Welt und in der Geschichte - und Spionage kann man als das zweitälteste Gewerbe der Welt bezeichnen. Spionage ist immer da gewesen, Religion auch immer. Da ist es natürlich, dass es Berührungspunkte gibt.
Radio Vatikan: Wo fängt das an?
Ulrich Nersinger: Wenn wir auf das Altn und Neue Testament schauen, sind wir überrascht, wie stark die Beziehungen sind und wie sehr Spionage auch in diesen religiösen Schriften vorkommt. Denken wir daran, wie Mose und Josua Kundschafter aussenden im Auftrag Gottes, um das Gelobte Land zu erkunden. Oder die Geschichte, die Josua dann erzählt, wie er Kundschafter ausschickt und die bei einer Prostituierten landen und mit ihr einen Deal ausmachen, der sie und ihre Familie schützt bei diesem Spionage-Auftrag – das ist eine Geschichte, die könnte auch von John Le Carré verfasst sein.
Im Neuen Testament haben wir ganz am Anfang die Magier, die im Auftrag Herodes ausforschen sollen, wo der Sohn Gottes, der König der Juden geboren ist. Judas spioniert im Auftrag der damaligen Autorität. Und wenn wir sehen, dass in Frankreich und England der Türspion, der dort in vielen Häusern vorhanden ist, den Namen Judas trägt, dann verstehen wir, wie stark auch diese religiösen Elemente sich im Alltagsleben gezeigt haben.
Radio Vatikan: Benutzten nicht schon die ersten Christen „geheimdienstliche Methoden"?
Ulrich Nersinger: Ja, das kann man sagen. Denken wir an das Zeichen des Fisches. Die christliche Gemeinde musste im Römischen Reich vorsichtig sein. Sie konnte sich auch nicht offen in der Öffentlichkeit zeigen, und daher gab es ein Erkennungszeichen. Man malte, wenn man glaubte, man habe jemanden aus der Gemeinde der Christen gesehen, in den Boden, in den Staub oder den Sand einen Fisch. Der Fisch ist eines der kompaktesten und einfachsten Glaubensbekenntnisse: Ichtys, der Fisch, die Anfangsbuchstaben ergeben dieses Bekenntnis zum Glauben: Jesus Christus, Gottes Sohn, Erlöser. So konnte man sich untereinander zu erkennen geben.
[ Daran sieht man, dass die Kirche durchaus in diesem Metier sogar prägend war ]
Radio Vatikan: Inwiefern nutzte später auch die Römische Kurie geheimdienstliche Methoden?
Ulrich Nersinger: Die Kirche war in der ganzen Welt präsent und ist es immer noch, man musste eine Korrespondenz mit den Bischöfen führen und später mit den Delegaten, den Nuntien. Und man wusste natürlich, dass manche Staaten, auch solche, die sich christlich nannten, doch nicht immer ganz auf der Seite der Kirche waren, und so musste man die Korrespondenz verschlüsseln. Wir haben einen berühmtem Verschlüsselungskünstler Leon Battista Alberti im 15. Jahrhundert, ein päpstlicher Schreiber – er ist der Begründer der kirchlichen Kryptografie, also der Kunst der Verschlüsselung. Er hat eine eigene Scheibe entwickelt, die Alberti-Scheibe, in der verschiedene Alphabete ineinander verschoben werden.
Und diese Alberti-Scheibe ist auch in der Welt präsent geworden, sie wurde von den staatlichen Geheimdiensten genutzt. Der amerikanische Geheimdienst führte eine Zeitlang in seinem Wappen, seinem Siegel, diese Alberti-Schreibe. Daran sieht man, dass die Kirche durchaus in diesem Metier sogar prägend war.
Radio Vatikan: Eine besondere Rolle spielte die Spionage gegen Katholiken im reformatorischen England, wie lässt sich das zusammenfassen?
Ulrich Nersinger: Ich habe versucht, in meinem Buch aufzuzeigen, gerade was das reformatorische England betrifft, wie stark hier Spionagevorwürfe auftraten gegen die Kirche, gegen Katholiken, und welche Drangsale Katholiken erlebten: Folter, Tortur, Mord. Es gibt Aufzeichnungen von Ordensleuten, Jesuiten, die in diese Lebenswelt eingetreten sind und genau berichten, was geschehen ist. Manche dieser Berichte sind nicht jugendfrei… weil sie auf die brutalste Weise zeigen, wie Spionage sich auswirken kann. Gerade in England kennen wir die heute noch existierenden Geheimdienste, MI5 und MI6. Diese Geheimdienste haben ihre Gründung dem Konflikt mit der Kirche zu verdanken. Die ersten Geheimdienstorganisationen sind in diesen Konflikt mit Rom mit der Kirche entstanden. Die Geheimdienste, wie sie aus James Bond bekannt sind, können ihre Existenz auf diese Auseinandersetzung zurückführen.
Radio Vatikan: Vatikan und Spionage im 20. Jahrhundert, was lässt sich dazu anmerken?
Ulrich Nersinger: Denken wir an die Bedrohungen durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts, den Nationalsozialismus, den Kommunismus, den Faschismus. Hier haben wir eine breite Palette, die uns zeigt, wie Kirche ausspioniert worden ist, die Kirche aber auch versucht hat, da Wälle aufzubauen. Das geht bis in die Neuzeit und in berühmte Kriminalfälle hinein...
Auch Wirtschaftsspionage im Vatikan
Radio Vatikan: Der Heilige Stuhl als Objekt von Spionage – was genau interessiert eigentlich Geheimdienste am Heiligen Stuhl?
Ulrich Nersinger: Ich würde sagen, es ist ein Mix: politische Gründe, ideologische Gründe, auch wirtschaftliche Gründe. Wir haben im Bereich des Heiligen Stuhls auch schon früh Wirtschaftsspionage. Ich denke an die Mosaikwerkstätten des Vatikans, da hat man schon im 17. Jahrhundert versucht, Geheimrezepte, wie man Farben mischt, auszuforschen. Im alten Kirchenstaat gab es eine Waffenfabrik, die die päpstliche Polizei ausstattete, und da hat man versucht, die Innovationen zu entdecken. Oder man hat versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse des Vatikans, etwa in der Astronomie, auszuspähen. Aber da hat der Vatikan sogar gesagt, wir legen alles offen, man braucht uns nicht auszuspionieren, wir geben unsere Erkenntnisse frei weiter. Man sieht: Die Palette ist riesig, in der sich Spionage auch gegen die Kirche zeigt.
Ulrich Nersinger: Schattenkrieg im Haus des Herrn. Katholische Kirche und Spionage. Petra Kehl, 2021. 17 Euro.
(vatican news – gs)
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