Unser Sonntag: Frucht bringen
Sr. Christine Rod
5. Ostersonntag: Joh 15, 1 – 8
Lesejahr B
Jesus war ein echter Orientale. Er hat gerne Geschichten erzählt, und ich sehe ihn manchmal vor mir, wie er mit seinen Freunden zusammensitzt und „palavert“ (wie man derartige angeregte Gespräche bei uns in Wien auch gerne nennt). Jesus war auch ein guter Pädagoge. In seinen vielen Geschichten und Gleichnissen verwendet er reichlich Bilder und Vergleiche aus dem ganz konkreten Leben.
Er wusste offenbar, mit welchen Bildern und Themen seine Zuhörer und Zuhörerinnen etwas anfangen konnten. Welche „anschlussfähig“ waren, würden wir heute sagen. Jesus muss wohl auch bodenständig, verwurzelt, handfest gewesen sein. Er gebraucht viele Vergleiche aus dem ländlich-landwirtschaftlichen Bereich. Er spricht vom Brot, vom Unkraut, vom Weizenkorn. Letzten Sonntag haben wir vom guten Hirten gehört. Und heute vom Weinstock.
Weinstock ist Gleichnis für Wachstum
Bei mir persönlich klingt da gleich vieles an. Ich komme zwar nicht aus einer Landwirtschaft, aber aus einer fruchtbaren Gegend mit Weinbau. Ein Weinstock ist ein Gleichnis für Wachstum. Er braucht gute Bedingungen, viel Sonne und viel Pflege. Er muss kultiviert werden, muss gut ver-wurzelt sein und braucht einen nahrhaften Boden, eine gute Umgebung.
Einmal waren Freunde von mir von den Philippinen zu Besuch. Sie kennen dort den Weinbau nicht, und es war eine Attraktion für sie als Ordensleute, die regelmäßig mit Brot und Wein Eucharistie feiern, in den Weinberg zu gehen und die Weinstöcke zu sehen. Es war noch früh im Jahr, und so konnte man vor allem die dicken Stämme sehen, die sich mit ihren knorrigen Ästen und schon mit ihren kleinen Augen nach der Sonne ausstreckten. Meine Freunde konnten sich gar nicht recht vorstellen, was da alles noch heraussprießen wird – und was dann allerdings in seiner üppigen Länge und Fülle zurückgeschnitten werden muss, um ein kraftvolles Wachstum zu ermöglichen. Ein Gleichnis für unser Leben, so haben wir damals sinnierend festgestellt.
Das Johannesevangelium greift nun im Rahmen der so genannten Abschiedsreden das Bild vom Weinstock auf. Gleich zu Beginn dieses „Durchkauens“ wird einmal etwas deutlich gemacht: Jesus ist der ganze Weinstock, Gott Vater ist der Winzer, der gleichsam Zugriff hat, und die Zuhörenden – also wir – sind die Reben. Da gibt es anscheinend so etwas wie eine Hierarchie, wie eine heilige Ordnung. Klar, zum Weinstock gehören auch die Reben, sonst bleibt er ein karges, knorriges Gewächs, so eines, wie ich es mit meinen Freunden im Spätwinter gesehen habe. Das ruft bei mir so etwas wie ein ehrfürchtiges, dankbares Staunen hervor: Jesus ist sozusagen nur ganz, wenn wir bei ihm und mit ihm sind. Jesus braucht in gewisser Weise auch uns, sonst kann er selbst nicht zur Entfaltung kommen. Nur mit uns ist er der ganze Weinstock, der auch Früchte bringen kann.
Wichtig ist, dass die Reben an ihrem Weinstock dran sind, dass sie mit ihm in Verbindung bleiben, sonst sterben sie ab. Das Johannesevangelium nennt dieses In-Verbindung-sein „bleiben“.
Bleiben ist insgesamt im Johannesevangelium ein bedeutsames Wort. Offenbar spiegelt dieses In-Gott- und Bei-Gott-Bleiben eine zentrale Erfahrung und ein wesentliches Anliegen der jungen Johannesgemeinde, mehrere Jahrzehnte nach dem Tod Jesu, in einer für sie schwierigen Umge-bung. Achtmal kommt im heutigen Evangelium das Wort „bleiben“ vor, wie ein Refrain. Achtmal wird es Jesus, gleichsam das Bild vom Weinstock umrankend, in den Mund gelegt.
Was hat es mit diesem eindringlichen Wort vom Bleiben auf sich? Ist es eine Anweisung, ist es ein Wunsch, eine Bitte, eine Sehnsucht?
'Bleiben' lässt sich nicht einfordern
Bleiben, wirkliches Bleiben im Sinn von „verbunden bleiben“ lässt sich nicht anordnen und nicht einfordern, und so konnte Jesus es uns wohl auch nicht einfach auferlegen. Ich vermute (und ich glaube daran), dass es eher auf eine Sehnsuchtsspur hinweist: Dass es hier um die Sehnsucht Gottes geht, mit uns Menschen verbunden zu bleiben. Oder – im Blick auf den Weinstock - noch mehr: Um die Sehnsucht, mit uns innigst verbunden zu bleiben, in einem lebendigen Fluss und Austausch, in gegenseitiger Nahrung und Bestärkung, mit uns beinahe zusammengewachsen zu sein.
Dankbares Staunen
Für mich ist das eine wunderbare Mitteilung, ein Angebot Gottes, das mich dankbar staunen lässt, und zugleich ist es eine Verheißung an mich, an uns: Gott will uns nicht nur nahe sein, sondern er will auch ein enges, fast intimes Miteinandersein und Ineinandersein. Und dann kann mein Leben das werden, was auch ich mir ersehne: genährt aus der Verbindung mit Gott, fruchtbar, in reichem Maß fruchtbar und somit ein Segen für viele.
Auch für mich heute ist das „Bleiben“ ein zentrales Wort. Es hat den Geschmack von Dranbleiben und Dableiben, von Treue und Präsenz. Wenn wir in unserer kleinen Hausgemeinschaft jeden Morgen in der stillen Meditation einfach da sind, dann hat das etwas von diesem „Bleiben“ an sich. Die eine ist noch müde, weil sie gestern spät heimgekommen ist; die andere hat schon den Kopf voll mit allem, was sie an diesem bevorstehenden Tag zu bewältigen haben wird. Die dritte hat gerade persönlich eine schwierige Zeit. Aber doch: Wir sind da, wir versammeln uns jeden Morgen. Wir sind da, unspektakulär, wir kommen wieder, wir bleiben. Dieses Bleiben, diese Treue und diese Präsenz bei dem, der bleibt, der treu und präsent ist, lässt leben und wandelt langsam und zunächst unmerklich mein und unser Leben.
Der letzte Satz im heutigen Evangelium lautet. „Mein Vater“, sagt Jesus, „wird dadurch verherrlicht, dass ihr Frucht bringt und meine Jüngerinnen und Jünger seid.“ Das Fruchtbringen rührt an eine der Grundfragen von Menschen, die sich wohl jeder und jede früher oder später stellt: Wie wird mein Leben fruchtbar? Für wen oder was dient es? Wozu ist es letztlich da? Oder, wie die Philosophen und die Theologen sagen: Was ist der Sinn des Lebens, der Sinn meines Lebens? Jeder Mensch stellt sich diese Frage auf irgendeine, auf seine Weise. Das ändert sich wohl mit jedem Lebensalter und mit verschiedenen Lebensphasen und Lebensumständen. Diese Frage lautet anders in einer Zeit, in der große, zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen sind, oder in einer Zeit, in der es Einbrüche gibt, in der man zurückschaut und man sich fragt: War das alles? Was ist geblieben, was wird bleiben von meinem Leben?
Geheimnis des Glaubens
Wir haben erst vor wenigen Wochen Ostern und Auferstehung gefeiert. Dass wir dieses Evangelium nun in der Osterzeit hören, ist auch kein Zufall. Das Evangelium vom Weinstock weist auf das Geheimnis des Glaubens hin, das zugleich ein Paradoxon ist: Ohne etwas beschönigen oder spiritualisieren zu wollen, kann man sagen, dass uns Frucht versprochen ist. Frucht, auch wenn etwas misslingt oder scheitert oder in Vergeblichkeit hinein verpufft. Nicht nur einem Leben, das offensichtlich glückt und gelingt, ist Frucht versprochen, sondern auch einem Leben, in dem es Brüche und Mittelmäßigkeiten gibt. In meinem Schatten und meinen Widersprüchen, in meinem ungestillten und unstillbaren Lebenshunger kann Frucht wachsen.
Jesus hat uns Fruchtbringen versprochen, nicht Erfolg, so sehr Erfolg, Würdigung und Anerkennung des Engagements ziemlich verständliche und auf jeden Fall legitime Wünsche sind. Ein Winzer, der über´s Jahr hinweg viele Arbeitsschritte gesetzt hat und der schließlich – mit Hilfe des richtigen Wetters - wunderbare Trauben erntet und edlen Wien herstellt, der kann wohl tatsächlich sagen, dass er Erfolg hatte und dass er und viele andere sich über die Mühen seiner Arbeit freuen können. Ich selber bin auch ein Mensch, der sich gerne einbringt und Erfolg haben will, weil ich gerne Sinnvolles und Gutes bewirken will. Aber da ist noch einmal eine andere Lebensdimension, jenseits allen Erfolges und jenseits aller erkennbaren Wirkkraft.
Auftrag und Einladung Gottes
Jesus hat uns nicht Erfolg, sondern Frucht versprochen. Das ist Chance und Herausforderung, Auftrag und Einladung Gottes an uns zugleich. Da liegen Hoffnung und Zukunft für uns drinnen, oder auch – nicht gleich in so ganz großen Worten gefasst: Da liegen Gelassenheit und Vertrauen drin. Gott geht mit, Gott schaut gleichsam mit, und es wird am Ende gut werden.
Wichtig ist dabei, dass es offensichtlich nicht allein geht. Allein und ohne andere Menschen komme ich schnell an meine Grenzen. Aber mehr noch: Als glaubender Mensch glaube ich daran, dass es auch ohne Gott nicht geht. „Bleibt in mir“, sagt Jesus. Ich höre es als seine immer neue, immer treue Einladung, und ich wachse mehr und mehr in das Vertrauen hinein, dass Jesus für mich und für uns das volle, reife, bewusste, wirklich lebendige Menschsein will. Ein früher Heiliger unserer Kirchengeschichte hat das nicht nur begriffen, sondern in ein wunderbares Wort gebracht: „Die Ehre Gottes“, sagt Irenäus von Lyon, „ist der lebendige Mensch.“
(radio vatikan - claudia kaminski)
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