Beten im Reichstag? Wir schaffen das
Das sagte der nordsächsische CDU-Abgeordnete Marian Wendt jetzt in einem Gespräch mit Radio Vatikan in Rom. „Wir haben im Reichstag einen Raum, wo alle Konfessionen zusammenkommen können, und an jedem Donnerstag und Freitag einer Sitzungswoche findet dort von 8.40 bis 8.55 Uhr jeweils eine christliche Morgenandacht statt. Christlich, weil die Mehrheit der Abgeordneten der christlichen Religion angehören.“
Der Raum im ersten Stock des Gebäudes liegt zwischen Aufzug und Toilette; immerhin, zum Plenarsaal ist’s nicht weit. Die Einrichtung ist spartanisch. Helle Wände, ein altarähnlicher Granit-Würfel, ein Fenster. Der Künstler Günther Uecker hat den (überkonfessionellen, ja überreligiösen) Besinnungsraum Ende der neunziger Jahre eingerichtet. Im Vorraum: eine Vitrine mit verschiedenen Gegenständen der einzelnen Religionen.
Auch Benedikt XVI. war schon da
„Hier findet man Abgeordnete bzw. Mitarbeiter, die einfach, bevor sie eine Plenartagung starten, eine kleine Andacht feiern“, erzählt Wendt, „meistens gehalten von einem Pfarrer der evangelischen oder der katholischen Seite… Hierhin kommen alle Fraktionen; vielleicht ein bisschen mehr Abgeordnete von CDU und CSU, aber es ist sehr offen.“
Viele Staats- und Kirchenchefs haben sich den Raum schon angesehen, darunter auch Papst Benedikt XVI. bei seinem historischen Besuch im Reichstag vom September 2011. Sein Geschenk - das Faksimile von zwei alten Papyri mit Paulusbriefen - ist in der Vitrine ausgestellt; daneben liegt übrigens ein tibetischer Gebetsschal, Geschenk des Dalai Lama.
Vor der Sterbehilfe-Abstimmung schnell noch in den Besinnungsraum
„Ich habe selber auch oft, wenn schwierige Entscheidungen anstehen, an der Morgenandacht teilgenommen, um mich zu festigen. Etwa, wenn es um die Frage von Sterbehilfe ging oder um das Thema Patientenverfügung. Das sind Themen, bei denen man sehr in sich gehen und sich fragen muss, ob man das mitmacht.“
Ähnlich verhalte es sich mit Militäreinsätzen, so der protestantische Abgeordnete aus Torgau, der seit 2013 im Bundestag sitzt. „Dort schicken wir mit unserer Stimme, mit unserer Stimmkarte Soldaten in einen Kriegseinsatz – auch das bedarf einer gewissen Überzeugung und des Nachdenkens. Das tun wir im Andachtsraum.“
Um große Koalitionen zu schließen, ist das Besinnungszimmer zu klein. Doch man trifft dort, wie Wendt versichert, Abgeordnete aus allen Fraktionen des Bundestags. Auch viele Grüne: „Die Vize Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ist ja auch Präses des Evangelischen Kirchentages… Und wir sehen dort auch ab und zu Angela Merkel.“
Am 27. Januar, dem Holocaust-Gedenktag, bot der Besinnungsraum den feierlichen Rahmen für einen Auftritt des Bundespräsidenten: Frank-Walter Steinmeier war hier dabei, als die Restaurierung einer Torarolle aus dem 18. Jahrhundert (Sulzbacher Torarolle) offiziell fertiggestellt wurde. „Das war ein sehr schöner Moment, wo wir einmal nicht nur die christliche Religion, sondern auch die jüdische Religion gefeiert haben!“
Muslime mit Gebetsteppich? Bisher nicht zu sehen
Eine Kante im Fußboden zeigt an, wo Osten ist. Das hilft jüdischen Gläubigen, in Richtung Jerusalem zu blicken. Oder muslimischen Gläubigen, den Gebetsteppich gen Mekka auszurollen. „Das habe ich aber leider noch nicht gesehen, und ich weiß auch, dass die Zahl der Muslime, die Abgeordnete sind, im Bundestag eher gering ist.“
Krypta-Feeling und Symbole
Der CDU/CSU-Fraktionssaal verfügt über ein Holzkreuz. Übrigens auch über eine Glasdecke, durch die man die deutsche Fahne flattern sieht. Mit dem Andachtsraum verhält sich das anders: Schon das Licht ist indirekt, eher schummrig. Der Künstler Uecker wollte das Feeling einer mittelalterlichen Krypta heraufbeschwören.
„Und im Andachtsraum sieht man direkt kein Kreuz, auch keine andere Symbolik, sondern er ist ein bisschen so gestaltet, dass man in Elementen ein Kreuz sehen kann, Symbole für das Judentum oder für den Islam. Es ist sehr, sehr interessant gestaltet und wirklich einzigartig in seiner Form.“
Nägel, Farbe, Sand, Asche
Wendt meint die sieben hohen Bildtafeln aus Holz, die an den Wänden des Besinnungsraumes lehnen, als hätte man sie hier nur mal gerade abgestellt. Nägel, Farbe, Sand, Asche und Steine lassen auf ihnen ungewisse, inspirierende Formen entstehen.
Kaum ein anderer Raum im Reichstag, auch nicht das Plenum, ist künstlerisch derart durchkomponiert wie dieser. „Und deswegen lohnt ein Besuch im Reichstag und im Andachtsraum des Deutschen Bundestags…“
(vatican news – sk)
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