D: Hilfswerke fordern sofortigen Abschiebestopp nach Afghanistan
Demnach wird zurückkehrenden Afghanen wegen der Flucht nach Europa Verrat, Verwestlichung, unmoralisches Verhalten oder die Abkehr vom Islam vorgeworfen. Auch die Familien von Europa-Rückkehrern sind der Studie zufolge gefährdet. Bis auf einen Betroffenen hätten alle bekannten Abgeschobenen das Land wieder verlassen oder geplant; zwei von ihnen begingen Suizid, berichten die Hilfswerke.
Mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar
Menschen weiterhin nach Afghanistan abzuschieben, sei vor diesem Hintergrund mit der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar, sagte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Viele Betroffene befänden sich erneut in verzweifelter Lage, etwa im Iran, in Pakistan, der Türkei oder Indien, sagte die Präsidentin von Brot für die Welt, Dagmar Pruin. Durch die Corona-Pandemie habe sich die Lage im kriegsgebeutelten Afghanistan weiter verschlechtert. Der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Hessen, Carsten Tag, mahnte, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) müsse seine Entscheidungspraxis zu Afghanistan überdenken.
Die Studie
Die Studie „Erfahrungen und Perspektiven abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans“ leitete die Sozialwissenschaftlerin und Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann. Die Untersuchung basiert auf einer mehrjährigen Forschung und dokumentiert die Erfahrungen von 113 der 908 zwischen Dezember 2016 und März 2020 aus Deutschland abgeschobenen Afghanen.
Weitere Abschiebungen geplant
Kommenden Dienstag ist laut Diakonie ein neuer Abschiebeflug nach Afghanistan geplant; insgesamt sind 30.000 Afghanen in Deutschland ausreisepflichtig. Mit dem laufenden Abzug der internationalen Truppen aus dem Land hat sich die Sicherheitslage nach Einschätzung von Beobachtern noch einmal massiv verschlechtert. Elf Millionen Afghanen und damit jeder dritte Einwohner leiden Hunger.
Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl schloss sich der Forderung nach einem Abschiebestopp an. Darüber hinaus müsse das Auswärtige Amt einen neuen Lagebericht erstellen, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Auch liefere die neue Studie „immer mehr Gründe", die Richtigkeit der bisherigen Ablehnungs- und Abschiebungsentscheidungen anzuzweifeln und beim BAMF Folgeanträge zu stellen, um den Vollzug von negativen Entscheidungen der vergangenen Jahre zu stoppen. Das Bundesinnenministerium teilte laut tagesschau.de mit, die Bundesregierung beobachte „die Entwicklung in Afghanistan sorgfältig. Wie sich der Abzug der internationalen Truppen auf die Lage im Einzelnen auswirken wird, kann allerdings derzeit noch nicht abgeschätzt werden."
(pm/kna – sst)
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