D/Afghanistan: Kolping fordert Übernahme der Verantwortung
DOMRADIO.DE: Sie fordern, Deutschland solle Verantwortung übernehmen. Was sollte denn Ihrer Meinung nach jetzt sofort passieren?
Ursula Groden-Kranich (Bundesvorsitzende Kolpingwerk Deutschland): Die Situation in Afghanistan ist für uns als Kolpingwerk Deutschland deswegen so bedrückend, weil wir gerade in unserem Netzwerk für Geflüchtete auch mit afghanischen Kräften zusammenarbeiten und dann natürlich deren Familien und deren Geschichten kennen.
Deswegen bangen wir mit ihnen und hoffen sehr, dass die Bundesregierung die Unterstützung für Menschen in Afghanistan, die unserer Hilfe bedürfen, auch schnell umsetzen kann.
DOMRADIO.DE: Wie könnte man das handhaben, dass man die Menschen aus Afghanistan rausbekommen könnte? Der Flughafen ist ja dicht.
Groden-Kranich: Der Flughafen ist dicht, es laufen noch Verhandlungen. Was mich sehr betrübt - weil ich ganz viel Post von Menschen aus Afghanistan oder von Freundinnen und Freunden, die hier in Deutschland leben, bekomme - ist, dass Menschen noch zu Beginn/Mitte Juli nach Afghanistan geflogen sind und ihre Familien besuchen wollten und jetzt dort stehen und nicht wissen, wie sie rauskommen.
Und es sind aber auch noch Ortskräfte dort, die bleiben wollen und andere beispielsweise, die die Bundeswehr unterstützt haben, die besonders gefährdet sind. Und hier gibt es in Absprache mit den Taliban und mit anderen eine aktive Arbeit. Eine Möglichkeit ist der Landweg, weil auch nicht alle nach Kabul kommen konnten. Hilfe mit den Nachbarländern zu geben, ist eine Option.
DOMRADIO.DE: Sie sind ja Kolping-Bundesvorsitzende und Sie sitzen auch für die CDU im Bundestag. Sie haben eben schon die Situation von vor einigen Monaten erwähnt. Die Grünen hatten im Juni beantragt, afghanische Helfer der Bundeswehr unbürokratisch und schnell in Sicherheit zu bringen. Das war ein Antrag, der von der CDU abgelehnt worden ist. Wie haben Sie denn da gestimmt, wenn ich Sie das fragen darf?
Groden-Kranich: Ich habe auch dagegen gestimmt, weil wir bereits zu diesem Zeitpunkt Ortskräfte aufgenommen haben. Es war ja nicht so, als hätten wir nichts gemacht. Und dieser Antrag suggeriert, dass man jetzt „schnipp“ hier alle Ortskräfte aus Afghanistan holen könne. Und das stimmt leider nicht. Aber das wissen die Grünen selbst.
Es wurden seit Jahren Ortskräfte aus Afghanistan ausgeflogen und in Deutschland aufgenommen. Eine Ortskraft entspricht in etwa fünf Personen – nur dass wir auch mal wissen, über welche Zahlen wir reden. Und das Problem war, dass zum Teil Ortskräfte keine Ausweisdokumente hatten.
Wir haben vorhin von überhastet gesprochen und wie konnte es passieren. Ein Präsident, der sein Land mit Geldkoffern verlässt, ist für mich auch das Symbol, wie die Situation von Afghanistan selbst sich in dem Land darstellt.
Die Amerikaner haben den Flughafen bis zu einem bestimmten Tag gesichert, weil sie auch gefragt haben, wie kommen sie raus? Und wir Deutschen und wir Europäer sind nicht in der Lage gewesen, allein diesen Flughafen zu sichern. Sie haben die Bilder gesehen, wie es da zugegangen ist. Und ich bin froh und dankbar, dass wir überhaupt so viele Menschen zu diesem Zeitpunkt haben ausfliegen können.
Nichtsdestotrotz sind noch mehrere hundert Menschen in Afghanistan. Um die kümmern wir uns auch. Es ist nicht so, dass keine Gespräche stattfinden. Aber tatsächlich war die widerstandslose Aufgabe des Landes durch das afghanische Militär und die Flucht des Präsidenten für uns befremdlich - will ich mal so sagen.
DOMRADIO.DE: Lassen wir das mal so stehen. Die Bundeskanzlerin sagt, dass in Afghanistan schätzungsweise noch rund 40.000 Menschen leben, die in Deutschland aufnahmeberechtigt sind. Wie würden Sie das sehen: Sollen diese Menschen alle zu uns kommen?
Groden-Kranich: Die Frage, wer von denen überhaupt nach Deutschland kommen möchte - es gibt auch Menschen, die sagen, sie bleiben dort - das kann ich im Moment noch nicht beurteilen. Wir haben eine Vielzahl von Menschen aus unterschiedlichen Gründen. Angefangen von jungen Mädchen und Frauen, die Bildung genießen durften und jetzt um ihre erworbene Bildung, um ihre Freiheit fürchten.
Wir haben Menschenrechtlerinnen, wir haben Journalistinnen und wir haben auch Menschen, die in unterschiedlichen Organisationen tätig waren, die nicht unbedingt von den Taliban besonders gelitten sind und deswegen eine Möglichkeit zur Ausreise suchen.
Diese Vielschichtigkeit ist losgelöst von der - wie Sie mich vorhin gefragt haben - Situation der Ortskräfte und der Deutschen, die noch in Afghanistan sind, zu sehen. Ja, wir werden uns der Verantwortung stellen und das machen wir schon seit Wochen. Und es kommen auch nach wie vor Menschen über die Landgrenze in Anrainerstaaten und mit denen arbeiten wir im Moment sehr, sehr eng zusammen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.
(domradio – mg)
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