D: „Im Wahlkampf fehlte das Friedensthema“
Christine Seuss - Vatikanstadt
Bis vor kurzem leitete Overbeck die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz; derzeit hält er sich als Vertreter des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, für die Jubiläums-Vollversammlung des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen CCEE in Rom auf. Wir baten ihn zum Interview.
Radio Vatikan: Bischof Overbeck, haben Sie den Eindruck, dass im Wahlkampf in Deutschland die wirklichen Herausforderungen thematisiert worden sind?
Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen sowie deutscher Militärbischof und Vize-Präsident der Europäischen Bischofskonferenz COMECE: „Ich glaube, dass wir einen Wahlkampf erleben, der sich sehr auf Personen konzentriert und in dem von daher die Sachthemen eine nicht so große Rolle gespielt haben - und auch jetzt in den Tagen des Endspurts spielen. Wobei natürlich die europäischen Fragen, darunter auch der sogenannte Great Green Deal, also die sozial-ökologischen Fragen, auf Dauer eine überlebenswichtige Rolle spielen werden. Diese Fragen sind zwar von den Parteien mit unterschiedlichen Gewichtungen gestellt worden, aber in der Öffentlichkeit nicht so stark rezipiert worden wie gewisse Persönlichkeiten...“
Radio Vatikan: Welche Themen haben denn Ihrer Meinung nach einfach auch komplett gefehlt?
Franz-Josef Overbeck: „Komplett gefehlt hat eine wirkliche kritische Auseinandersetzung mit Themen, die die globale Welt betreffen, wie beispielsweise das Friedensthema. Nicht nur, weil ich Militärbischof bin, sehe ich mit großer Besorgnis, wie viele Gewaltexzesse es wieder überall gibt, und was das gerade mit Blick auf den Frieden der Menschen macht. Denn es geht um Zugänge zu Ressourcen wie Wasser und Land, damit Menschen ruhig leben können. Das ist eigentlich nicht wirklich zum Thema gemacht worden.
Es bewegt mich auch zunehmend, dass auch das Migrationsthema so politisiert worden ist, dass die dahinter liegende Herausforderung, vor denen wir im globalen Zusammenhang stehen - und ich brauche nur an Europa und dann Afrika zu erinnern - nicht wirklich deutlich genug geworden ist. Das sind zwei Themen, die mich lange umtreiben.
Drängende Bildungsfrage
Im Alltag sehe ich, dass die Bildungsfrage eine Frage wird, wie sehr sich Menschen emanzipieren und Erfolg haben können. Das ist für viele Bevölkerungsschichten gerade mit weniger Chancen ein echtes und riesiges Problem. Nach deutschem Muster ist das ja Ländersache, aber meiner Meinung nach sollten wir das nicht mehr nur alleine auf Länderebene organisieren und auch weiter nach vorne bringen. Hier wären ganz andere Notwendigkeiten politischer Art in Gesamtdeutschland nötig.“
Radio Vatikan: Ja, nun haben wir ja mit dem SPD-Spitzenkandidaten Scholz einen Kandidaten, der bereits angekündigt hat, sollte er Kanzler werden, auf den Zusatz beim Amtseid „So wahr mir Gott helfe“ verzichten zu wollen. Bekommen Sie als Bischof da nicht Bauchschmerzen?
Franz-Josef Overbeck: „Ich bin um jeden froh, der sein Gewissen so bildet, dass er sich in der letzten Instanz verpflichtet weiß, wie wir Christen und andere gläubige Menschen sie in Gott finden. Soweit ich Herrn Scholz kenne und alle, die Verantwortung tragen, setze ich darauf, dass sie auch in ihrem Gewissen so gebildet sind - auch wenn sie sich nicht auf Gott beziehen -, dass sie diese Letztverantwortung auch so tragen können. Das gehört auch zu einem demokratischen Konsens, in dem wir zunehmend davon ausgehen müssen, dass es viele Menschen gibt, die nicht mit Gott leben, ihn auch für nicht existent halten, aber trotzdem eine gewissensgebildete Haltung einnehmen.
Dass ich persönlich darüber sehr nachdenklich bin, brauche ich nicht zu sagen, das ergibt sich von alleine. Aber in einer Verantwortung, die weit darüber hinausgeht, weil es um ein politisches Amt für Gesamtdeutschland und eben auch für Europa geht, setze ich genau auf diese Perspektive des Guten im Menschen, das weiter reicht als einen solchen Zusatz zu einer Eidesformel zu sprechen.“
Junge Generationen und Frieden im Fokus
Radio Vatikan: Was erwarten und was erhoffen Sie sich denn von der Politik nach der Bundestagswahl?
Franz-Josef Overbeck: „Wichtig sind auf der einen Seite Themen, die sozialökologische Fragen bewusster nach vorne treiben im Blick auf den Verkehr, im Blick auf Wohnungsbau, aber auch im Blick auf eine Generationengerechtigkeit. Gerade, was die junge Generation angeht, sind das die wichtigsten Themen. Außenpolitisch bewegt mich weiterhin die Frage nach einem dauerhaften Frieden, der sich nicht einfach nur durch ein Neutralisieren von Blöcken ergibt, sondern gemeinsame Herausforderung annimmt. Und ein weiter Punkt ist auch – und so spreche ich auch als Bischof –, dass wir wachsam sein müssen, dass nicht Religionen und Lebenshaltung zu Gründen von Auseinandersetzungen kriegerischer Art werden. Wir können momentan im Blick auf den Mittleren Osten ja nicht wenige solcher Konflikte sehen, die nicht nur politische und militärische Gründe haben, sollen auch kulturelle und religiöse. Und auch das ist eines der wichtigen Themen, von den ich hoffe, dass eine neue Bundesregierung sich ihnen stellt und damit einhergehend natürlich den Fragen, wie die NATO weiterzuentwickeln ist, was das für die UNO bedeutet und so weiter.“
Eine visionäre Entscheidung
Radio Vatikan: Sie sind derzeit hier in Rom bei CCEE-Vollversammlung zum 50. Jubiläum. Was haben Sie besprochen, worum geht es und warum ist die CCEE nach 50 Jahren immer noch relevant?
Franz-Josef Overbeck: „Die CCEE ist 1971 von Papst Paul VI. gegründet worden, weil es darum ging, die europäischen Staaten und ihre Bischofskonferenzen zusammenzubringen, da der europäische Kontinent eine Rolle bekäme – und das war damals quasi schon visionär - die sich damals erst in einem ersten Entwicklungsstadium befand. Und wir können das jetzt schon sehen. Eigentlich bin ich von Seiten der Deutschen Bischofskonferenz Abgesandter in der COMECE, also zuständig für die Beziehungen mit der Europäischen Union. Hier können wir gerade in Brüssel und in Straßburg viele konkrete politische Felder betrachten, die aber auch Auswirkungen für uns als Kirchen haben, beispielsweise in der Frage der Ethik, des Lebensschutzes oder der Frage der Ökologie.
Bei der CCEE, bei der ich jetzt in diesem Jahr unseren Präsidenten der Bischofskonferenz, Bischof Bätzing vertrete, geht es darum, die Fragen der Kirche und der kirchlichen Bezüge für Europa zu thematisieren. In diesem Jahr heißt das, auf 50 Jahre CCEE zurückzublicken und sich zu fragen, was bedeutet das eigentlich für ein Europa, das – so hat der Papst das gestern gesagt in seiner Predigt im Petersdom - müde geworden ist und neue Visionen braucht, die aus dem Glauben kommen, um so eben einen religiös kulturellen Beitrag mit vielen sozialethischen und anderen Folgen für Europa zu leisten, der in der Welt natürlich auch seine Konsequenzen hat. Das wird uns in diesen Tagen wesentlich beschäftigen.
Ansonsten haben wir heute manches Grußwort gehört, wie zum Beispiel aus Lateinamerika aber auch aus Afrika, welches uns auch darauf hinweist, wie wichtig es ist, dass wir in kulturellen Zusammenhängen leben, die weit über unsere Landesgrenzen hinaus gehen, und dass wir es gerade für die katholische Kirche als Chance sehen, dass wir eine Weltkirche sind.“
Weltkirche als Chance
Radio Vatikan: Nun kommen Sie ja gerade frisch von der Vollversammlung in Deutschland, wie haben Sie denn da das Untereinander unter den Mitbrüdern erlebt?
Franz-Josef Overbeck: „Wir haben im Blick auf den Synodalen Weg eine, wie ich finde, sehr ehrliche, aber auch eine an Auseinandersetzungen reiche Diskussionen geführt, die deutlich macht, dass wir hier vor großen Schritten stehen, die wir hoffentlich gemeinsam tun können. Das gilt auch für die nächste Synodal-Versammlung am kommenden Wochenende, von Donnerstag bis Samstag in Frankfurt, um auf die wesentlichen auch kulturell bestimmten Fragen, die es heute in unserem Land gibt, Perspektiven zu haben. Das gilt eben auch für die Frage, wie gehen wir mit Macht und Gewaltenteilung in einem Land um, in dem Freiheit und Gleichheit eine ganz andere Rolle spielt als anderen Ländern, und damit eben auch die Frage von Gewaltenteilung, auch von Gewaltenkontrolle und so weiter. Wir haben als Kirche schon eine Kultur entwickelt, aber die können wir weiterentwickeln.
Dasselbe gilt auch für viele Fragen, die uns eher intern beschäftigen. Das sind die drängenden Fragen der Rolle des Priesters, weil auch die Anzahl derer, die sich auf diesem Weg machen und Priester werden wollen, so klein wird, dass das wirkliche Fragen sind, die an unser Fundament gehen.
Die Frage mit Blick auf die Rolle der Frau ist und bleibt eine Weltfrage, das ist nicht nur eine Kulturfrage Deutschlands, und sie ist, wie ich finde, aufgrund der erstmalig möglichen Form von Emanzipation von allen früher begrenzenden Perspektiven eine riesige Herausforderung für uns alle. Wir haben noch keine Lösung dafür, aber es gibt ja sehr viele sehr deutliche Stimmen darüber, was wir tun müssen und wieder andere Stimmen, die gerade wieder anderes wollen.
Und die letzte Perspektive, die wir beim Synodalen Weg mit Blick auf Beziehung, Partnerschaft und Liebe erörtern, zeigt glaube ich, dass wir bei diesen Lebensthemen in einem unendlichen Wandlungsprozess sind, der sich uns in einer solchen Dichte und Heftigkeit, was die unterschiedlichen Antworten der Generationen bedeutet, für die meisten kaum vorstellbar waren.
Also es zeigt sich, dass wir nach innen gesehen einen Reformbedarf haben, den zu artikulieren, aber den es auch weiterzuentwickeln richtig schwierig ist, weil die Perspektiven der Beteiligten so unterschiedlich sind. Gleichzeitig sind wir ja auch in der Weltkirche, also viele Antworten können wir alleine nicht geben und müssen auch das noch in den Blick nehmen. Das ist nicht die Quadratur des Kreises, aber es braucht viel Heiligen Geist…“
Radio Vatikan: Wie gehen Sie damit um, dass jetzt auch neueste Umfragen wieder besagen, dass die Kirche, dass der Glaube immer weniger relevant für die Gesellschaft wird?
Franz-Josef Overbeck: „Wir leben erstmalig in einer Welt, in einer Kultur von absoluter Freiheit im Blick auf Religion. Das ist ein völliges Novum, in einer solchen Form hat es das jedenfalls in unserem Land noch nie gegeben, so dass wir ja diese Entwicklungen im Blick auf die katholische, die evangelische Kirche und alle anderen in diesem Sinne durch die Kultur der Aufklärung geprägten Menschen erkennen können. Wo das nicht der Fall ist, ist Religiosität noch ein anderer Faktor.
Das birgt die Chance in sich, von Überzeugungen auszugehen; das hat aber auch den Nachteil, dass vieles, was an Traditionen und Gewohnheiten tragend, helfend, und auch tröstend ist, wenig beachtet wird und manchmal wahrscheinlich auch verloren gehen wird.
Also, wir erleben den ersten Schritt in eine wirklich neue Welt der Religiosität des dritten Jahrtausends. Und das hat natürlich auch Folgen nicht nur für den Menschen persönlich, sondern auch für alles, was wir institutionell dazu sagen können, wie Familien gehen und funktionieren, wie Gemeinden und Pfarreien funktionieren, wie die Kirche vor Ort sich zeigt mit Blick auf Bildung, mit Blick auf ursprüngliche Aufgaben der Christen, sich den Armen zuzuwenden, für die Kranken da zu sein… Ich empfinde das als ausnehmend spannend, aber auch als megagroße Herausforderung und anstrengend.“
Radio Vatikan: Was sehen sie in dieser Gemengelage denn als ihren persönlichen Beitrag?
Franz-Josef Overbeck: „Ich als Bischof versuche mit unserem Bistum Essen, wo wir ja mit sehr vielen Menschen zusammenleben, auch solchen, die anderen Glaubens sind oder gar nicht glauben - und als Militärbischof kann ich das genauso sagen -, solche Schritte darauf zu tun, was es heißt, gemeinsam an Gott zu glauben, weit über alle Grenzen der Ökumene und des Interreligiösen hinaus, damit wir in dieser Welt, in der viele gar nicht an Gott glauben, ein Zeugnis des Gottglaubens geben. Aber auch, dass unser Christsein, unser Kirche sein, einfach glaubwürdig macht, dass wir die Essentials des Christseins leben. Also das Gebet, die Zuwendung zu den Armen und Menschen in Not, gleichzeitig aber auch ein inneres Ethos zu entwickeln, das uns zeigen lässt, wer wir sind. Und das heißt besonders, die Würde des Menschen und seine Freiheit zu achten.“
Radio Vatikan: Vielen Dank.
(vatican news - cs)
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