Deutschland: Wie steht es um das Beichtgeheimnis?
Recht auf private Lebensgestaltung
Das Zeugnisverweigerungsrecht leite sich aus dem Recht auf private Lebensgestaltung sowie aus dem Recht auf freie Religionsausübung ab, argumentierte der Priester im Bistum Münster weiter. Ein Eingriff in diese Grundrechte sei unverhältnismäßig - außer wenn nachgewiesen würde, dass ein lockereres Beichtsiegel Kindesmissbrauch verhindern würde. Wenn Priester jedoch das in der Beichte erlangte Wissen weitergeben müssten, dann würden weder Täter noch Opfer das Beichtgespräch suchen.
Auch die Kirche sollte ihre Vorschriften zum Beichtgeheimnis nicht ändern, sagte Rothe. Hilfebedürftigen Menschen würde sonst ein wertvoller Schutzraum genommen. Zudem „entfiele dadurch die einzigartige Möglichkeit des Priesters, sich in einem Beichtgespräch dafür einzusetzen, dass der Täter sich den Ermittlungsbehörden stellt." Statt das Beichtsiegel auszuhöhlen müsse die Kirche effektive Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt durch Priester ergreifen.
Auch der Bonner Rechtswissenschaftler Gregor Thüsing gibt zu Bedenken, ob Täter ihre Straftaten noch dem Seelsorger anvertrauen würden, wenn keine Vertraulichkeit gegeben wäre - „und ob dann nicht Chancen vergeben würden, dass ein Seelsorger auf die Verhaltensänderung oder die Selbstanzeige hinwirkt". Angehörige, Rechtsanwälte und Therapeuten müssten einige Straftaten nicht anzeigen, wenn sie sich ernsthaft bemühten, den möglichen Täter von der Tat abzuhalten, so Thüsing weiter: „Das wird man sicherlich auch vom Geistlichen erwarten dürfen, und er wird es wohl hoffentlich ohnehin auch aus eigenem Antrieb tun. Vielleicht läge hier ein Kompromiss gesetzlicher Reform."
Ein Fremdkörper im säkularen Staat
Das Beichtgeheimnis sei im säkularen Staat ein Fremdkörper, ergänzte der Experte: „Es gilt nach katholischem Kirchenrecht für alle Informationen, die der Priester im Rahmen einer sakramentalen Beichte erfahren hat. Es gilt unbedingt und ohne Ausnahme. Daher kann ein Beichtvater hierüber nach kirchlichem Recht kein Zeugnis ablegen, ein Verstoß hat die automatische Exkommunikation zur Folge - die schwerste Strafe des Kirchenrechts." Exkommunikation bedeutet in der katholischen Kirche Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft.
Im deutschen Recht werde das Beichtgeheimnis durch prozessuale und materielle Vorschriften geschützt; selbst schlimmste Straftaten und deren Planung müsse der Beichtvater nicht zur Anzeige bringen. Dies gelte für Seelsorger jeglicher Religion - nicht nur für Priester.
Hintergrund
Nachdem in Frankreich vor Kurzem das Ausmaß des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche bekannt wurde, fordern Kritiker dort eine Änderung des Beichtgeheimnisses. Es gilt seit dem 13. Jahrhundert für die gesamte römisch-katholische Kirche und verpflichtet den
Beichtvater zum unbedingten Stillschweigen über das, was er durch eine Beichte erfahren hat. Nur die Beichtenden selbst können ihn davon entbinden. Rechtlich ist das Beichtgeheimnis sowohl im völkerrechtlich bindenden Konkordat zwischen Deutschland und dem Vatikan als auch in staatlichen Gesetzen abgesichert.
(kna - sst)
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