Kardinal Koch: Heilung des Ur-Risses zwischen Kirche und Synagoge
Kardinal Koch hielt einen Festvortrag und zwar an seiner alten Wirkungsstätte, der Uni Luzern. In der Diskussion wurde deutlich: Katholiken übersehen, wie sehr ihre Liturgie dem Judentum verpflichtet sei, so Stephan Leimgruber. Er ist emeritierter Professor für Religionspädagogik der Ludwig-Maximilians-Universität München und forschte auch zum interreligiösen Dialog. Leimgruber ist Priester des Bistums Basel und hat für das katholische Nachrichtenportal kath.ch. den Festvortrag von Kardinal Koch kommentiert.
So stand in Kardinal Kochs Rede am Dienstag an der Universität Luzern die Einführung von Judaistik-Vorlesungen vor 50 Jahren durch Professor Clemens Thoma (1932-2011) im Mittelpunkt. Lehrveranstaltungen zum Judentum, zur jüdischen Kultur und zum Jüdisch-Christlichen Dialog würden ein schweizweites Alleinstellungsmerkmal der Theologischen Fakultät und der Universität Luzern bilden.
Kochs Vortrag hätte mehr Anwesende verdient
Die Jubiläumsfeier fand unter einschränkenden Coronaschutzmassnahmen mit Überprüfung eines Impfzertifikats statt und führte frühere Dozierende, Studierende, Promovenden und Seniorinnen und Senioren in den Vorlesungssaal. Allerdings hätte der „exzellente Vortrag“ des Kardinals mehr Anwesende verdient, so Leimgruber.
Vom Nicht-Verstehen zum Dialog
Die Professorin Verena Lenzen, die seit 20 Jahren das Institut leitet, zeichnete zum Auftakt des Jubiläums eine präzise Kurzgeschichte der Lehreinrichtung: Gastprofessuren aus verschiedenen Richtungen des Judentums und von spezifischen Bereichen, begleitete Reisen nach und Studien in Israel sowie Prävention gegen Antijudaismus und Antisemitismus – auch in der Schweiz gibt es Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen – gehören zu den zentralen Aufgaben, dazu die Begleitung von Qualifikationsarbeiten und Seminarien. Die Werke von Amos Os und von Schalom Ben Chorin wurden von Verena Lenzen selbst erschlossen.
Das Referat von Kurienkardinal Kurt Koch gliederte sich in einen Rückblick auf den jüdisch-christlichen Dialogs seit Mitte des 20. Jahrhunderts und einen Ausblick in ein konstruktives Miteinander von Juden und Christen. Wie gewohnt in meisterhafter Sprache formuliert, erläuterte der Kardinal, dass der Titel des Vortrags auf ein Wort des Theologen Erich Przywara (1889-1972) zurückgehe, der die unselige Geschichte zwischen Juden und Christen auf den Punkt brachte, insbesondere das sich Nicht-Verstehen und der Kampf bis aufs Blut gegeneinander.
Erst unter dem Eindruck der Shoah kam der Dialog in Gang
Es mache die Tragik dieses Dialogs aus, dass er erst unter dem Eindruck der Shoah nach dem Zweiten Weltkrieg in Gang kam. Ein Umdenken auch christlicherseits sei erst nach dem millionenfachen Mord an Jüdinnen und Juden sowie an einer Million jüdischer Kinder durch die Schergen des Nationalsozialismus zum Durchbruch gekommen.
Die sogenannte „Erklärung von Seelisberg“ von 1947, bei der jüdische und christliche Denker zehn Thesen zum jüdischen und christlichen Glauben aufstellten, war ein wichtiger Meilenstein zur Formulierung einer theologischen Position aus christlicher Warte zum Judentum. Der jüdische Gelehrte Jules Isaak (1877-1963) aus Frankreich regte im Gespräch mit Papst Johannes XXIII. am 13. Juni 1960 an, dass am Konzil eine Erklärung zum Judentum erarbeitet werden sollte.
Kurt Koch war früher Professor für Dogmatik und Liturgiewissenschaften in Luzern und ist seit 2010 Präsident des Päpstlichen Rats für die Einheit der Christen und der Präsident der Kommission für die Beziehungen zum Judentum. Er benannte mehrere Dokumente von jüdischer und christlicher Seite, die den Dialog festigten: 1974, 1985 für die korrekte Darstellung der Juden in Religionsunterricht und Katechese, 1998 das Dokument „Wir erinnern“ (eine Erinnerungskultur) eine Reflexion über die Shoah, 2001 zur Auslegung der Bibel aus jüdischer und christlicher exegetischer Sicht und 2015 der unwiderrufliche Bund der Gnade Gottes.
Christliche Liturgie und das Vaterunser sind dem Judentum verpflichtet
Für den Ausblick betonte der Referent Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum, andererseits deutliche Differenzen. Für Juden ist Gottes Wort in der Thora und sie glauben an die Offenbarung Gottes in der Thora. Für Christinnen und Christen offenbart sich Gott definitiv in Jesus Christus und sie glauben an ihn. So bleibe Jesus Christus, der Sohn Gottes, der entscheidende Diskussionspunkt. Es braucht eine Christologie, die Jesu Stellung in Kontinuität und in der Neuheit gegenüber dem Judentum artikuliert.
In der Diskussion wurde erwähnt, dass noch zu wenig gesehen werde, wie sehr die christliche Liturgie und etwa das Vaterunser dem Judentum verpflichtet seien. Die Gabengebete seien jüdischer Herkunft, die alttestamentliche Lesung werde gelegentlich weggelassen, ebenso die Psalmen für den Zwischengesang, ferner seien die Einsetzungsworte und -gesten der jüdischen Liturgie entliehen.
Heilung des Ur-Risses
Jedenfalls kenne das Judentum keinen anderen Gott als das Christentum, was eine „Heimholung Christi in das Judentum“ erfordere. Dieses gemeinsame Bekenntnis ermögliche auch das gemeinsame Gebet von Juden und Christen. So begründe das gemeinsame Erbe von Judentum und Christentum die Heilung des Ur-Risses zwischen Angehörigen dieser beiden Religionen, erläutert Stephan Leimgruber.
(kath.ch – mg)
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