Klimagipfel: Wirklich alles nur Blabla? Unser Interview
Christine Seuss - Vatikanstadt
Radio Vatikan: Insbesondere Hilfswerke sind enttäuscht darüber, was letztlich bei den Verhandlungen von COP26 herausgekommen ist. War wirklich alles nur Blabla, wie Greta Thunberg formulieren würde?
Ottmar Edenhofer (Direktor und Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)): „Also, es ist sicherlich kein Blabla gewesen. Es ist aber auch nicht der ganz große klimapolitische Durchbruch. Man hat von Anfang an diese COP in Glasgow mit Erwartungen überfrachtet, die sie gar nicht erfüllen konnte.
Ich glaube, wir müssen realistisch sein und uns zugestehen, dass wir neben der COP andere Verhandlungsformate benötigen. Und wir dürfen jetzt nicht nur auf die Abschlusserklärung schauen, die in vielerlei Hinsicht enttäuschend ist, sondern wir müssen auch sehen, was in Glasgow jetzt alles an zukunftsweisenden Initiativen entstanden ist. Da würde ich vor allem eine erwähnen, nämlich die Vereinbarung zwischen den USA und China.
Das könnte man sehr gut ausbauen zu einem trilateralen Dialog zwischen der Europäischen Union, USA und China. Man könnte dort verhandeln über CO2-Mindestpreise und dann wäre schon mal einem erheblichen Teil der globalen Emissionen ein Preisschild angeheftet: Das wäre ein großer Schritt nach vorne.“
Radio Vatikan: Welche Hausaufgaben ergeben sich aus Glasgow denn für die Europäische Union? Sollte sie geschlossener auftreten, um gegenüber den Weltmächten mehr auf die Waage zu bringen?
Edenhofer: „Genau – das wäre wichtig. Es gab aber nicht nur die Ankündigung zwischen den Vereinigten Staaten und China. Es hat auch die Ankündigung gegeben, dass China keine Kohlekraftwerke mehr im Ausland finanzieren will. Da haben einige gesagt, das bedeutet nichts. Es bedeutet aber doch eine ganze Menge, weil China einer der größten Finanziers von Kohlekraftwerken ist, auch im Ausland. Wenn die das jetzt zurückfahren, dann hat es einen signifikanten Effekt.
Die Asiatische Entwicklungsbank denkt darüber nach, Kohlekraftwerke aufzukaufen und stillzulegen. Also, alles das sind Initiativen, die für den globalen Kohleausstieg sprechen und damit die Tür zum 1,5-Grad-Ziel offenhalten… wenngleich man zugestehen muss, dass die Weltgemeinschaft durch diese geöffnete Tür nicht gegangen ist.“
Radio Vatikan: Es sind also einige konkrete Schritte angekündigt worden – aber welche weiteren wären denn jetzt konkret nötig, damit dann auch die anderen, vielleicht relativ vagen Zusagen doch noch umgesetzt werden?
Edenhofer: „Wir stehen ja in einer sehr schwierigen globalen Situation. Die Emissionen steigen seit Paris (Klima-Abkommen von 2015); auch nach der Pandemie sind die Emissionen wieder verstärkt angestiegen, weil sich die Wirtschaft erholt hat. Und selbst wenn man die freiwilligen Ankündigungen der Staaten zusammenzählt, dann reichen die natürlich nicht aus, um den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf unter zwei Grad zu begrenzen.
Es gibt außerdem das große Problem, dass die Staaten bislang ihre Zusagen nicht eingehalten haben. Und das hat sehr viel damit zu tun, dass man ihre Zusagen nicht richtig vergleichen kann – dass man nicht genau weiß, wie man die messen soll. Das sind alles große Schwierigkeiten bei den internationalen Vereinbarungen.
Deswegen wäre es auch gut, wenn man eine Metrik hätte, mit der man einfach feststellen kann, ob Staaten ihre Verpflichtungen erreichen. Und dafür gibt es eine Metrik: wenn sich nämlich die Staaten verpflichten würden, ihren Emissionen ein Preisschild in Form eines CO2-Preises anzuheften. Dann hätte man mehr Klarheit darüber. Dann könnte man auch sehr viel klarer und deutlicher sehen, ob sie tatsächlich die Versprechungen umsetzen.“
Radio Vatikan: Ist denn über diese Möglichkeit auch gesprochen worden, oder haben Sie den Eindruck, das wäre ein Weg, der jetzt gangbar wäre für die Staaten?
Edenhofer: „Also, die Staaten haben nur sehr indirekt über die Frage der Bepreisung von CO2 gesprochen. Sie haben darüber gesprochen, dass man sogenannte ineffiziente Subventionen für fossile Energieträger auslaufen lässt. Das ist natürlich ein Euphemismus, denn Subventionen für fossile Energieträger sind allesamt ineffizient! Das können wir uns angesichts der Klimakrise gar nicht mehr erlauben. Und wir subventionieren ja in etwa eine Tonne CO2 jährlich mit 150 US-Dollar: Das ist eine ganze Menge.
Wir haben also negative CO2-Preise, und wenn wir die jetzt alle abschaffen würden, hätten wir einen großen Schritt nach vorne getan. Dann könnten so sukzessive die CO2-Preise in den positiven Bereich wachsen. Diese Debatte hat jetzt angefangen, und wer ein bisschen die internationalen Klimaverhandlungen kennt, weiß, dass das Thema Subventionierung fossiler Energieträger eines der kritischsten Themen überhaupt ist. Aber für mich ist es auch der Gradmesser dafür, wie ernst es die Staaten mit der Klimapolitik tatsächlich meinen.“
Radio Vatikan: Könnte man also sagen, dass der Paradigmenwechsel zumindest angestoßen ist, dass die Staaten Eigeninteressen und Allgemeininteressen auch in gewisser Weise gleichsetzen?
Edenhofer: „Also, sagen wir mal so: Es ist ein Schritt in diese Richtung gegangen worden. Es ist vielleicht die Tür geöffnet worden, aber wir sind noch immer nicht durch diese Tür gegangen. Und wir sollten der Ehrlichkeit halber eines festhalten: Die globalen Emissionen steigen immer noch, und was wir jetzt dringend erreichen müssen, und zwar ziemlich schnell, ist, dass wir diese Kurve der Emissionen nach unten biegen. Dazu bleibt uns nicht mehr viel Zeit.
Ob das schon jetzt ein Paradigmenwechsel ist, weiß ich nicht, aber es sind zumindest Schritte in diese Richtung.“
Radio Vatikan: Inwieweit fügt sich da Papst Franziskus ein, mit seiner Aufforderung einerseits an die Politiker, rasch zu handeln, andererseits aber auch mit seinem Appell an das Gewissen jedes Einzelnen, das Seine dazu zu tun, um sich diesem Klimawandel entgegenzustemmen?
Edenhofer: „Na ja, der Papst hat mit seinen Appellen an die Staatenlenker sicherlich recht. Ich würde da noch mal gern betonen, dass es aus meiner Sicht unverzichtbar ist, dass es hier einen politischen Rahmen gibt. Denn wenn es diesen politischen Rahmen nicht gibt, dann laufen auch die Bemühungen der Einzelnen ins Leere. Das muss man mal sagen.
Denn wenn jeder Einzelne zwar versucht, die Emissionen zu reduzieren und weniger Fleisch zu essen, aber die Menschen merken, wenn ich die Emissionen reduziere, dann erhöhen die anderen die Emissionen, dann wird es zu nichts führen. Und deswegen ist es sehr, sehr wichtig, dass wir einen solchen politischen Rahmen haben. Erst in diesem politischen Rahmen, zum Beispiel durch eine CO2-Bepreisung, wird es uns dann auch gelingen, dass sich diese individuellen Anstrengungen, die jeder von uns unternimmt, dann tatsächlich auch aufaddieren und jeder von uns dann einen Beitrag dazu leistet, diese Klimakrise zu begrenzen.
Es gehört zur bitteren Wahrheit, dass ohne den politischen Rahmen, ohne die Politik eben der Einzelne nur sehr, sehr wenig tun kann. Und mit dieser Spannung müssen wir jetzt fertigwerden. Deswegen ist es wichtig, dass auch die katholische Kirche dieses Bewusstsein wachhält. Jetzt kommt es ganz entscheidend darauf an, was die Staatenlenker in den nächsten Jahren tun.“
(vatican news)
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