Österreich: Kirchen warnen vor zunehmendem Antisemitismus
Der ÖRKÖ warnte vor Wegschauen oder Verharmlosen: „Politik, Exekutive, Justiz und Zivilgesellschaft - dazu gehören auch die Kirchen - sind aufgefordert, vehement gegen Antisemitismus aufzutreten und einzuschreiten", heißt es wörtlich in der Pressemitteilung. Man sei alarmiert, „weil sich Jüdinnen und Juden in Österreich und ganz Europa zunehmend wieder unsicher fühlen. Und wir rufen zugleich zur Wachsamkeit gegenüber jeglicher Form von Politik auf, die auf Abwertung und Ausgrenzung von Minderheiten setzt."
Der Einsatz gegen Antisemitismus beinhalte für die Kirchen zudem „die bleibende Verantwortung, dass wir uns mit dem eigenen Versagen in der Vergangenheit auseinandersetzen und gegen das Vergessen wirken. Wir verpflichten uns dazu, das Gedenken an die Opfer der Shoah wachzuhalten und uns auch für das noch stärkere Sichtbarmachen von Gedenkorten einzusetzen." Der Vorstand des ÖRKÖ bittet in seiner Erklärung die jüdischen Gemeinden, „diese unsere Haltung als Baustein unseres ernsthaften Bemühens zu sehen, die christlich-jüdischen Beziehungen bleibend auf eine tragfähige Basis zu stellen."
Der Ökumenische Rat hält zudem fest, dass christliche Identität „unlösbar mit dem jüdischen Volk und seinen Traditionen verbunden ist". Das Christentum habe seine Wurzeln im Judentum. Weiter heißt es in der Erklärung: „Wir verpflichten uns zugleich dazu, unseren christlichen Glauben so zu verstehen, zu lehren und zu leben, dass dies nicht in Abwertung der jüdischen Religion geschieht, sondern in stetiger Erinnerung an Gottes Treue zu seinem erwählten Volk. Wir bekennen, dass jegliche Mission gegenüber dem jüdischen Volk verletzend und unangebracht ist, denn der Bund Gottes mit Abraham wurde nie aufgehoben und durch den Bund des Neuen Testaments auch nicht relativiert."
Zugleich wird eingeräumt, dass es zwischen Christentum und Judentum bei aller Verwandtschaft auch Differenzen gibt, die bei allen Dialogbemühungen und Weggemeinschaften nicht von einer Seite allein her überwunden werden könnten. Das dürfe aber kein Hindernis dafür sein, füreinander und auch gemeinsam „für die Achtung der Menschenwürde und Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit in unserem Land und weltweit einzutreten".
Dankbar verweist der ÖRKÖ auch auf die vielen Impulse, die vom Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit ausgingen und ausgehen. Der Ausschuss begeht heuer sein 65-jähriges Bestehen. Er habe nach der Shoa wesentlich dazu beigetragen, „dass ein neues Verhältnis zwischen Judentum und Christentum in Österreich möglich wurde".
Die Novemberpogrome in Wien
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Die Nationalsozialisten gaben diesem Tag den euphemistischen Ausdruck „Reichskristallnacht". Mit dem Novemberpogrom radikalisierten sie die Vertreibung und Enteignung der jüdischen Bevölkerung.
Der ÖRKÖ hält dazu in seiner Erklärung fest: „Für unser Land gilt: Was sich schon in den erbärmlichen Szenen auf Österreichs Straßen nach dem sogenannten 'Anschluss' im März 1938 abgezeichnet hatte, wurde in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 nur allzu deutlich: Die Absage einer fanatischen Ideologie an die Ehrfurcht vor Gott und an den Respekt vor der Würde des Menschen. Trotzdem haben viele Mitglieder der christlichen Kirchen damals geschwiegen, ja manche haben sich an den Verbrechen beteiligt."
Keine christliche Kirche könne im Rückblick auf die Geschichte von sich behaupten, sich nicht gegenüber dem Judentum schuldig gemacht zu haben, so der ÖRKÖ. Die Geschichte von Judentum und Christentum sei über weite Strecken eine Unheilsgeschichte gewesen, geprägt von einem jahrhundertelangen christlichen Antijudaismus mit oftmals gewalttätigen Auswüchsen. Für die Jüdinnen und Juden habe dies immer wieder Verfolgung und Tod bedeutet; gipfelnd in der Shoah. Erst die Tragödie der Shoa habe für die Kirchen bzw. die christliche Theologie schließlich den entscheidenden Wendepunkt in der Definition ihrer Haltung zum Judentum markiert.
(kap -sst)
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