Detail-Aufnahme vom ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz Detail-Aufnahme vom ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz 

Experte: Antisemitismus „schockierender und viel direkter“

Der stellvertretende Direktor der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Matthias Haß, sieht neben der Zunahme auch eine neue Qualität von antisemitischen Vorfällen in der Gesellschaft: „Ja, es gibt mehr Vorfälle, und diese sind schockierender und viel direkter.“

Dies sagte Haß in einem am Montag verbreiteten Interview der deutschen Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). „Das zeigt sich bei uns in der Gedenkstätte etwa durch antisemitische Einträge in unser Gästebuch, die meist verschwurbelt, teilweise aber auch offen sind.“ Im Haus der heutigen Gedenkstätte am Berliner Wannsee wurde vor 80 Jahren die Deportation und Vernichtung der europäischen Juden geplant.

Sprachkonsens durchbrochen

„Da sind welche im Hintergrund, die uns was wollen' - das ist ein klassisches antisemitisches Stereotyp von unsichtbaren Mächten. Das hängt im Moment vor allem mit der Kritik an den Pandemiemaßnahmen zusammen.“

Antisemitismus habe es nach 1945 zwar immer gegeben. „Bis vor etwa fünf Jahren gab es aber einen bestimmten Konsens, wie wir uns in der Gesellschaft über das Thema Nationalsozialismus oder Antisemitismus unterhalten. Das, was wir an Wiederaufleben von Vorurteilen, von Antisemitismus und von Verschwörungstheorien seitdem erleben, ist enorm, das hätte ich damals nicht für möglich gehalten“, so Haß. „,Da sind welche im Hintergrund, die uns was wollen' - das ist ein klassisches antisemitisches Stereotyp von unsichtbaren Mächten. Das hängt im Moment vor allem mit der Kritik an den Pandemiemaßnahmen zusammen.“

Abnahme an Faktenwissen

Zugleich stellt Haß bei jungen Besuchern im Vergleich zu früher eine Abnahme des Faktenwissens fest. „In meiner Generation - ich bin rund 20 Jahre nach dem Krieg geboren - waren die Rahmendaten 1933 bis 1945 selbstverständlich. Und das sind sie auch noch für diejenigen, die in den 80er-Jahren geboren wurden. Man wusste zumindest in Grundzügen, wovon man sprach. Das ist heute anders.“

Dennoch sei das Interesse junger Besucher an der Geschichte der Ausgrenzung jüdischer Menschen nach wie vor groß. Auch sei „die Bereitschaft, genau hinzugucken auch in die eigene Familiengeschichte, im Gegensatz zu früher stärker vorhanden“. Die Besuchszahlen in Gedenkstätten gingen nach wie vor bundesweit nach oben. Das Haus der Wannseekonferenz besuchen jährlich rund 120.000 Menschen aus dem In- und Ausland.

Weiter sagte Haß, über die historische Wissensvermittlung hinaus gehe es darum, den Besuchergruppen ein Bewusstsein für die eigene Rolle zu vermitteln. „Zu sagen, ,wir sind ja nur ein Rädchen im Getriebe‘, reicht auch heute nicht. Wir sind alle verantwortlich für das, was wir tun.“

(kna - pr)
 

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17. Januar 2022, 15:26