Bei einer Pressekonferenz zum Thema Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche Bei einer Pressekonferenz zum Thema Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche  

D: Erzbischof Heße sagt in Missbrauchsprozess aus

Mit Hamburgs Erzbischof Stefan Heße hat am Dienstag erstmals in Deutschland ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess vor Gericht ausgesagt. Heße räumte Fehler im Umgang mit dem Fall des angeklagten Priesters ein.

Während der gut dreistündigen Vernehmung vor dem Landgericht Köln wirkte Hamburgs Erzbischof Stefan Heße (55) Berichten nach stellenweise zermürbt. In einfacher Priesterkleidung kam er am Dienstag zum Prozess gegen den heute 70 Jahre alten ehemaligen Pfarrer U., um als Zeuge auszusagen. In seiner Zeit als Personalchef im Erzbistum Köln hatte Heße mit ersten Missbrauchsvorwürfen gegen U. zu tun. Das war in den Jahren 2010 und 2011. Nun muss sich der Angeklagte vor Gericht erklären, weil er in den 1990er-Jahren seine drei minderjährigen Nichten zum Teil schwer missbraucht haben soll. Zudem soll er sich 2011 an einem elfjährigen Mädchen vergangen haben. Die bisherigen Zeugenaussagen deuten daraufhin, dass es weitere Opfer auch nach dieser Zeit gegeben haben könnte.

„Ich hätte dem ein Ende bereiten müssen“

Mit Heße sagt erstmals in Deutschland ein katholischer Bischof in einem Missbrauchsprozess vor Gericht aus. Er räumt in der Verhandlung ein, als Personalchef Fehler in dem Fall gemacht zu haben. Die 2010 bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den Geistlichen hätten an den Vatikan gemeldet werden müssen. Damals habe er sich aber auf die Einschätzung der juristischen und kirchenrechtlichen Fachleute im Erzbistum Köln verlassen, erklärt Heße. Demzufolge hätten sich die Nichten des Geistlichen an einem kirchlichen Verfahren nicht beteiligen wollen. Der damalige Kirchenrichter des Erzbistums, Günter Assenmacher, habe erklärt, dass es somit nichts gebe, was nach Rom geschickt werden könne:„ Das leuchtete mir ein", so Heße.

2010 zeigte eine Nichte des Angeklagten U. erstmals wegen Missbrauchs an. Das Erzbistum beurlaubte den Geistlichen und befragte ihn zu den Vorwürfen. Dieses Verhör soll Heße pflichtwidrig nicht protokolliert haben lassen. Nachdem später die Anzeige zurückgenommen wurde, stellte die Staatsanwaltschaft ihr Verfahren ein, und das Erzbistum setzte U. wieder als Krankenhauspfarrer ein. Eine Meldung nach Rom und weitere kirchenrechtliche Schritte unterblieben.

Protokoll belastet Heße

Vor Gericht wird ein Protokoll eines Gesprächs zwischen Heße und dem nun angeklagten Ex-Pfarrer U. aus dem Jahr 2011 verlesen. Darin berichtete U. offen, er sei trotz seiner Beurlaubung weiterhin seelsorgerlich tätig und feiere Gottesdienste. Heße habe mit ihm lediglich vereinbart, dass er nicht mehr als Hauptzelebrant, sondern nur noch zusammen mit anderen Priestern als Konzelebrant auftreten dürfe. Doch selbst damit habe U. gegen seine Suspendierung verstoßen, räumt Heße ein.

„Ich hätte dem ein Ende bereiten müssen", sagt der Erzbischof heute. Er sehe, dass Fehler gemacht worden seien. Er habe seine „Verantwortung artikuliert", als er Papst Franziskus im März 2021 seinen Rücktritt anbot. Zuvor war im Erzbistum Köln ein Aufarbeitungsgutachten vorgestellt worden, das Heße elf Pflichtverletzungen im Umgang mit Missbrauchsfällen vorhält - darunter der Fall U. Franziskus hat das Rücktrittsgesuch im September abgelehnt. „Die Entscheidung des Papsts macht das alles nicht leichter", erklärt Heße vor dem Landgericht.

Hintergrund

Heikel ist der Fall U. für den Erzbischof auch wegen einer Aktennotiz vom November 2010. Erstellt hat sie Heßes damalige Sekretärin. U. habe im Generalvikariat „alles erzählt", steht darin - und weiter: „Es wird von uns auch kein Protokoll hierüber gefertigt, da dieses beschlagnahmefähig wäre." Die Notiz trägt Heßes Kürzel.

„Ich kriege keinen Reim auf diese Aktennotiz", sagt der Bischof vor dem Landgericht. Er betont, der Geistliche habe die Vorwürfe ihm gegenüber stets von sich gewiesen: „Da bin ich mir hundertprozentig sicher."

Dem Gericht zufolge telefonierte Heße im November 2010 mit U., um sich nach seiner Verfassung zu erkunden. Wenige Wochen später soll der Angeklagte ein Mädchen schwer missbraucht haben, so Richter Christoph Kaufmann.

Heße reagiert zerknirscht auf diese Information. Einerseits habe er eine klare Linie fahren und andererseits „als Mitbruder auch ein bisschen Nähe zeigen" müssen, sagt er. Das sei ein kaum leistbarer Spagat gewesen. Nachdem das Verfahren eingestellt wurde, beteiligte sich die Erzdiözese laut Gericht mit 3.000 Euro an U.s Anwaltskosten - unter dem Vorbehalt, dass es keine weiteren Ermittlungen mehr gegen ihn gibt.

Dann rollte das Erzbistum 2018 den Fall im Zuge seiner Missbrauchsaufarbeitung erneut auf. Es wandte sich an die Behörden und untersagte U. die Ausübung priesterlicher Dienste. Der Prozess soll am 25. Februar enden.

Vertrauen zu christlichen Kirchen in Deutschland auf Tiefpunkt

Derweil hat das Vertrauen der Menschen in Deutschland nach Angaben des forsa-Instituts einen Tiefpunkt erreicht. Lediglich 12 Prozent hätten großes Vertrauen zur katholischen Kirche, wie das Institut am Mittwoch unter Berufung auf eine neue Befragung mitteilte. Dem Papst bringen demnach 26 Prozent großes Vertrauen entgegen, der evangelischen Kirche 33 Prozent. Das Vertrauen zu den christlichen Kirchen und zum Papst ging 2021 demnach um je 3 Prozentpunkte zurück.

„Ein geringeres Vertrauen als die katholische Kirche haben von den insgesamt 36 im forsa-Institutionen-Ranking untersuchten Institutionen nur noch die Manager, der Islam und die Werbeagenturen“, bilanzierte Geschäftsführer Manfred Güllner. „Damit verlieren nicht nur viele politische Institutionen, sondern auch die beiden Kirchen ihre für den Zusammenhalt der Gesellschaft wichtige Bindekraft“.

(kna - sst) 

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19. Januar 2022, 10:36