Erzbischof Heße: Menschenhandel ist auch eine Tatsache in Europa
In Köln endet diesen Mittwoch die 1. Europäische Konferenz der Santa Marta Gruppe zum Thema: „Sklaverei heute abschaffen – wie kann es uns gelingen?“ Es geht um Menschenhandel und Arbeitsausbeutung in Europa. An der zweitägigen Online-Konferenz hat auch der Hamburger Erzbischof, Stefan Heße teilgenommen. Er ist Vorsitzender der Migrationskommission der deutschen Bischofskonferenz und berichtet im Interview mit Radio Vatikan.
Radio Vatikan: Die Santa Marta Gruppe ist ja nach der Casa Santa Marta im Vatikan benannt, wo Papst Franziskus wohnt. Wie kam es zu diesem Namen und worum geht es der Gruppe?
Erzbischof Stefan Heße, Vorsitzender der Migrationskommission der deutschen Bischofskonferenz: Weil Papst Franziskus ganz eindeutig der Kampf gegen den Menschenhandel ein großes Anliegen ist, hat er Gesinnungsgenossen in die Casa Santa Marta eingeladen. Und die Gruppe hat sich dann nach dem Ort benannt und trifft sich seitdem in regelmäßigen Abständen. Man hat sich vor einigen Jahren dann entschlossen, zu dezentralisieren und das war jetzt zum ersten Mal eine europäische Tagung. Es gibt aber auch Tagungen in Asien oder Afrika. Die verschiedenen Regionalgruppen sind alle sind miteinander vernetzt und alle geeint im Kampf gegen Menschenhandel.
Radio Vatikan: Es war jetzt die erste europäische Konferenz der Gruppe. Wie steht's denn um Europa mit Blick auf Ausbeutung und Menschenhandel?
Erzbischof Stefan Heße: Manchmal denkt man, das Thema Ausbeutung und Menschenhandel ist nur ein Thema in der weiten Welt. Aber das trügt: Menschenhandel ist auch eine Tatsache in Europa, sozusagen vor unserer eigenen Haustüre, auch in Deutschland. Weltweit sind nach Schätzungen etwa 40 Millionen Menschen weltweit Opfer von Menschenhandel. Und man schätzt, dass das ein sehr, sehr lukratives Geschäft ist, was jedes Jahr 150 Millionen Dollar ausmacht. Also wir reden nicht über ein kleines Problem, sondern über ein großes. Und das gibt es nicht nur irgendwo in der Welt, sondern auch in Europa, auch in Deutschland: Wir haben es zum Beispiel gesehen, etwa jetzt im Rahmen der Corona-Pandemie. Sie können sich vielleicht erinnern an die Zustände der Menschen, die in der Fleischindustrie arbeiten und unter welchen Umständen die dort arbeiten müssen. Mitten in Deutschland. Das ist die moderne Form von Arbeitssklaven.
Moderne Arbeitssklaverei, überall in Europa
Radio Vatikan: Wie sieht es aus in den benachbarten Ländern?
Erzbischof Stefan Heße: Es ist eine internationale Tagung, also quer durch Europa. Die Lage ist natürlich zwischen West- und Osteuropa schon ein bisschen unterschiedlich, zwischen Nord und Süd auch. Um andere Beispiele zu nennen: Nehmen Sie das Baugewerbe. Wie viele Menschen müssen dort zu unsäglichen Bedingungen arbeiten? Nehmen Sie Menschen, die sozusagen moderne Haussklaven sind und in der Hausarbeit tätig werden. Denken wir an Kindersoldaten - das ist dann vielleicht nicht in Europa, aber weltweit doch präsent. Denken wir an den Bergbau, wo Menschen in irgendwelchen Minen unter ganz waghalsigen Bedingungen leben und arbeiten müssen. Oder wo der Körper verkauft wird; die Prostitution ist ein anderes wichtiges Feld, ebenso wie der Verkauf von Organen. Das sind so einige klassische Felder, in denen wir es mit moderner Form der Ausbeutung zu tun haben, wo besondere Gruppen, vulnerable Menschen sehr getroffen sind. Und nochmal: Das spielt nicht irgendwo auf der Welt, sondern mitten unter uns. Daher ist eine der ganz wesentlichen Forderungen, dass wir den Blick öffnen, damit wir diese Strukturen, diese Phänomene, die wir gar nicht bei uns in der Nähe hier für möglich halten, wahrnehmen und wach werden.
Strukturen wahrnehmen - und ändern
Radio Vatikan: Diesen Mittwoch ging es auch um das Thema Selbstverpflichtung, Aktionen und Maßnahmen. Was kann jetzt konkret passieren?
Erzbischof Stefan Heße: Die allerwichtigste Maßnahme, ganz zentral, ist die Nachfrage nach billigen Diensten durch Menschenhandel einfach zu beenden. Es müssen gerechte Löhne her. Den Menschen müssen gerechte und würdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden. Man muss sozusagen das Phänomen an der Wurzel ausmerzen und damit die Nachfrage beenden. Und: Jeder, der dagegen handelt, muss die Strafe des Gesetzes zu spüren bekommen, das darf keine Petitesse sein, sondern es muss verfolgt werden, so dass es gar nicht mehr lukrativ ist. Das Ganze muss international vernetzt sein. Es braucht Koalitionen zwischen Kirche und Polizei, wie wir das ja hier ein bisschen einüben. Auch sicher ökumenische Partnerschaften. Und die Opfer von Menschenhandel müssen leichter identifiziert werden. Man muss sie ausmachen, man muss ihnen Exit-Strategien geben und wenn sie dann raus sind, müssen sie eine gewisse Form der Kompensation erfahren - sie haben ja sozusagen Jahre ihres Lebens irgendwie vergeudet. Sie wurden ausgebeutet und haben nichts. Es braucht also Kompensation für das, was ihnen vorenthalten wurde, eine Form der Rehabilitierung. Sicher auch ein Zugang zu gesetzlichen Möglichkeiten, zur Justiz, damit sie auch für ihre Rechte eintreten und kämpfen können. Das wären so ein paar ganz zentrale Maßnahmen, um dieses umfassende Thema des Menschenhandels zu bekämpfen.
Was kann jeder von uns tun?
Radio Vatikan: Gibt es etwas, was jeder von uns persönlich tun kann?
Erzbischof Stefan Heße: Wie gesagt, ist diese Wachsamkeit wichtig: Wo könnte was mit im Spiel sein? Vielleicht hängen wir in solchen Abhängigkeiten drin, ohne es zu ahnen. Ich denke zum Beispiel einfach mal schlicht an die Frage: Welche Kleidungsstücke tragen wir? Wer macht sich Gedanken, wie die produziert worden sind oder wer unter welchen Umständen die hat produzieren müssen? Deswegen ist zum Beispiel der Blick auf die Lieferkette ein ganz, ganz wichtiger. Und die Frage: Wo kommen die Produkte her, die ich trage, esse, kaufe? Hänge ich da vielleicht nicht schon schneller in dem Ganzen drin, als mir lieb ist? Da wachsam sein, sich informieren und wenn möglich, dann auch Konsequenzen ziehen, um dagegen vorzugehen.
Die Fragen stellte Stefanie Stahlhofen.
(vatican news)
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