Besser aus der Krise? Über Glaube und Resilienz
Anne Preckel – Vatikanstadt
Resilienz, auch Anpassungsfähigkeit, ist der Prozess, in dem Personen auf Probleme und Veränderungen mit Anpassung ihres Verhaltens reagieren. Dass Resilienz im christlichen Sinne nichts mit Unbesiegbarkeit oder Selbstoptimierung zu tun hat, stellt der Theologe und Resilienzforscher Martin Schneider direkt klar: „Zu unserem Verständnis von Auferstehung gehört, dass wir den Prozess des Kreuzes auf uns nehmen, des Leid-Durchlebens, dass wir auch die Tatsache eines nicht-perfekten Menschseins ernstnehmen und uns keiner Illusion hingeben dürfen, dass wir alle Krisen von vornherein meistern.“
Glaube, Liebe, Hoffnung
Verletzlichkeit und Fehlerhaftigkeit anzunehmen sei der erste Schritt, um Krisen oder auch Krankheiten besser zu bewältigen „und doch nicht daran zu verzweifeln, sondern Hoffnung zu haben und im Grunde einen Ausweg aus diesen Ereignissen zu sehen – das macht Resilienz aus“, sagt Schneider, der aktuell an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Moraltheologie und christliche Sozialethik lehrt.
Bezieht sich Resilienz also letztlich auf die christlichen Grundtugenden Glaube, Liebe und Hoffnung? Sie können die Fähigkeit, mit Widrigkeiten und existenziellen Notlagen fruchtbar umzugehen, jedenfalls tatsächlich fördern, antwortet Schneider.
„Der Glaube ist in diesem Sinne resilienzförderlich, weil er uns unser Leben in einen größeren Zusammenhang stellen hilft. Auch etwas, was wir uns nicht erwünscht haben, was über uns hereinbricht wie die Diagnose einer schweren Krankheit. Zunächst dann natürlich einmal erschüttert zu sein. Und dann in diesem Prozess zu merken: im Letzten fühle ich mich angenommen in dieser Situation, vielleicht von einer größeren Wirklichkeit. In der psychologischen Forschung nennt man das ein Kohärenzgefühl, ein Grundvertrauen zu haben, dass am Ende doch alles seinen Sinn hat.“
Sich erschüttern lassen
Erschütterungen überhaupt zuzulassen sei hier ein wesentlicher Punkt. Sich erschüttern lassen, mitgehen, durchlässig sein. Hier liege der Schlüssel auch zu Empathie und Mitgefühl, so Schneider. Letztendlich gehe es um Liebe:
„Wo die Liebe uns zeigt, es ist nicht entscheidend, dass ich resilient bin, sondern dass ich resilient werde, mich also in einem Prozess befinde, wo ich mich auf andere, auf anderes, auf Wirklichkeit einlasse. Mich in dem Sinne auch verletztlich zeige, affiziert werde durch das Leid auch, das ich wahrnehme. Um es mit Papst Franziskus zu sagen: Mich nicht gleichgültig über dem verhalte, was außen herum um mich passiert, sondern mich ansprechen lasse von der Wirklichkeit draußen und in dem Sinne auch darauf antworte in einer Form der Empathie, der Anteilnahme, der Liebe.“
Nicht nur Aushalten, auch Auffangen
Wenn es aber mit der inneren Stärke und Hoffnung doch nicht klappen will? Wie umgehen mit Verzweiflung, mit Angst, Gefühlen der Leere und Sinnlosigkeit - etwa im Falle schwerer Krankheit? „Auch wenn es nicht möglich ist zu heilen, ist es immer möglich zu pflegen“, schreibt Papst Franziskus in seiner diesjährigen Botschaft zum 30. Welttag der Kranken, der an diesem 11. Februar 2022 begangen wird. Aus christlicher Sicht ist Krise immer gemeinschaftlich zu tragen. Es geht nie nur ums Aushalten, sondern immer auch ums Auffangen, Mittragen, gemeinsame Hindurchgehen. Dazu Schneider:
„Das interessanteste Ergebnis ist, dass der Glaube sich vor allem deswegen als resilient erweist, weil im Großen und Ganzen gläubige Menschen diesen Glauben in einer Gemeinschaft leben. (…) Ein entscheidender Faktor ist, aufgehoben zu sein und sozial Unterstützung zu kriegen. Und das meint ja das Wort Pflege, wo wir sagen, die Palliativpflegenden, die verschiedenen Menschen, Ehrenamtlichen, die da sind, spielen eine entscheidende Rolle, um Menschen dann auch das Gefühl zu geben, aufgehoben zu sein: die Zuversicht, mit dieser nicht abwendbaren Situation umzugehen.“
Ungesunde Strukturen erkennen und verändern
Während dieser Aspekt in Lebenshilfe-Ratgeberbüchern zu Resilienz oft unterbelichtet werde, habe die Resilienzforschung selbst gezeigt, wie wesentlich soziale Gemeinschaften und Unterstützungssysteme für die Widerstandsfähigkeit und seelische Gesundheit des Einzelnen sind, referiert Schneider. Im Blick der katholischen Soziallehre gehe es bei der Resilienz nicht um Selbstoptimierung, sondern um die gemeinschaftliche Bewältigung von Krisen. Auch um die Veränderung ungesunder oder ungerechter Strukturen:
„Ich kann natürlich in einem Betrieb sagen: die Arbeitnehmer sollen resilienter werden in diesen ganzen Krisen und Strukturwandel-Prozessen, um damit von systemischen Problemen abzulenken... Das ist natürlich eine Gefahr. Und da findet man in der katholischen Soziallehre viele Vorstellungsmodelle, die uns etwas an die Hand geben, um nicht unterstützenswerte Momente des Resilienzdiskurses zu kritisieren.“
Das Resilienz-Prinzip ist heute nicht allein ein Schlüssel, um sich die psychische Gesundheit und Handlungsfähigkeit von Menschen anzusehen, sondern spielt längst auch im Blick auf Systeme eine Rolle – etwa Ökosysteme, aber auch Gesellschaften und Institutionen. Was macht diese Gefüge in Krisen zukunftsfähig und resilient? Ein Verkennen des Realen jedenfalls nicht, so Resilienzforscher Schneider, das sei sogar brandgefährlich.
Verdrängung führt zum Kollaps
„Die Kollapsforschung zeigt: Immer wenn Kulturen und Gesellschaften die um sie herum geschehenden Transformationen, etwa Klimaveränderungen, nicht wahrgenommen haben und so weiterlebten wir bisher- immer dann waren sie sehr stark vom Kollaps bedroht und haben einen Zusammenbruch erlitten. Zur Resilienz gehört ein Problem- und Realitätsbewusstsein. Von daher ist jegliche Verdrängung von Wirklichkeit resilienzhinderlich, weil sie letztlich zu einem Kollaps führt.“
Das gelte im Übrigen auch für religiöse Systeme, schlägt der Theologe eine Brücke zur aktuellen Kirchenkrise: „Wenn man das jetzt in der aktuellen Missbrauchskrise anwendet, wäre die Krise natürlich viel besser zu bewältigen gewesen, wenn die Alarmsignale und Rückmeldungen über Kindesmissbrauch ernstgenommen worden wären. Wenn das System und die Verantwortungsträger das als Infragestellung bisheriger Verhaltensmuster ernst genommen hätten und dann eine Transformation in Gang gebracht hätten.“
Keine „palliative Politik“
Die Kirche könne nur gestärkt aus dieser Krise hervorgehen, wenn sie dem Schmerz, der damit verbunden sei, auch ungefiltert ins Gesicht sehe, so Schneider. Palliativkuren sind für unheilbar Kranke ein guter Ansatz, für die Kirche aber sei aktuell eine „palliative Politik“ nicht ratsam, so Schneider. Um die Krise zu überwinden, gehöre wesentlich dazu, dem Schmerz zuzuhören und jenen, die diesen am stärksten empfanden und empfinden: „Eine Veränderung hat zur Voraussetzung, diesen Schmerz ernst zu nehmen, diesen Schmerz der Opfer (von Missbrauch, Anm.) zu hören, ihm nicht auszuweichen - und in diesem Prozess, in dem Durchmachen dieses Prozesses dann tatsächlich gestärkt als Institution herauszugehen, weil man sich in diesem Prozess transformiert.“
(vatican news)
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