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Erzbischof Heiner Koch von Berlin Erzbischof Heiner Koch von Berlin 

D: Maßnahmenkatalog gegen Missbrauch im Erzbistum Berlin vorgestellt

Noch lebende Personalverantwortliche, die sich im Erzbistum Berlin zwar nicht kirchen- oder strafrechtlich relevante, aber dennoch mangelhafte Behandlung von Missbrauchsanzeigen vorwerfen lassen müssen, werden aus Rücksicht auf Betroffene künftig nicht mehr bei der Bearbeitung derartiger Fälle eingesetzt.

Das kündigten Verantwortliche im Erzbistum an diesem Dienstag bei der Vorstellung des Maßnahmenkatalogs an, den die Gutachten-Kommission im Nachgang zum Bericht über sexuellen Missbrauch durch Kleriker im Erzbistum in den vergangenen Monaten erarbeitet hat.

„Es geht nicht um Image-Verbesserung oder das Zurückgewinnen von Vertrauen in die Institution. Es geht um die Menschen, die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, und darum, alles zu tun, dass Missbrauch in unserer Kirche keinen Platz findet“, betonte Erzbischof Heiner Koch bei der via Live-Stream übertragenen Pressekonferenz.

„Die Zeit drängt, und wir wollen handeln“

Grundlage für den Maßnahmenkatalog war ein Gutachten über Missbrauchsfälle im Erzbistum Berlin seit 1946, das eine Anwaltskanzlei im vergangenen Jahr erstellt hatte. Das Gutachten ist, teilweise geschwärzt, im Internet einsehbar. In Reaktion darauf hatte sich aus drei Mitgliedern des Diözesanrats und des Priesterrats eine sogenannte „Gutachten-Kommission“ gebildet. Diese hat zur Fortführung der innerkirchlichen Aufklärungs- und Aufarbeitungsbemühungen einen Maßnahmenplan erstellt.

Eine Empfehlung ist der Kommission besonders wichtig

Kristin Wedekind vom Diözesanrat der Katholiken stellte bei der öffentlichen Pressekonferenz in Berlin an diesem Dienstag den Abschlussbericht und den Maßnahmenplan dieser „Gutachten-Kommission“ vor. Es handele sich dabei um ein „Lernfeld der Kirche“, ähnlich wie bei dem derzeit laufenden Synodalen Weg, betonte Wedekind bei der Vorstellung des Plans, der in drei Abschnitte unterteilt ist: „Die Zeit drängt, und wir wollen handeln, und dies ist ein erster Aufschlag“, so die Promovendin, die wie die anderen Mitglieder der Kommission im vergangenen Jahr je etwa 8 bis 10 Wochenstunden ehrenamtlich für die Arbeit in dem Gremium aufgewandt hatte.

Insbesondere eine Empfehlung aus dem Maßnahmenkatalog griff die Sprecherin bei der Vorstellung heraus: „Eine Kernforderung aus den Erkenntnissen des Gutachtens und auch in Gesprächen und Perspektiven von Betroffenen ist es, einen Fachbereich Aufarbeitung einzuführen, der sich weiter um die Belange kümmert.“ Mit einem solchen könnten weitere Maßnahmen entsprechend kontrolliert und gesteuert werden, zeigte sich die Kommissionsvertreterin überzeugt. „Wir denken, dass Professionalität gerade in diesem Bereich oberstes Gebot ist und diese Aufgabe kann auch nicht nebenbei erfüllt werden“. Insofern appelliere die Kommission dafür, dass eine solche Fachstelle als „notwendige Ergänzung zur interdiözesanen Kommission zur Aufarbeitung“ eingerichtet werden könne. Wie  Generalvikar der Erzdiözese, Pater Manfred Kollig SSCC, anschließend betonte, werde die Einrichtung einer solchen Fachstelle derzeit geprüft, allerdings müsse die Unabhängigkeit des neuen Arbeitsbereiches gesichert sein. Die Ordnung für die interdiözesane Kommission wurde ebenfalls an diesem Dienstag verabschiedet.

Insgesamt gehe es bei den Anstrengungen des Erzbistums darum, einen „Haltungswandel“ mit Blick auf das Thema Missbrauch zu erreichen, betonte Erzbischof Koch. „Wir werden lernfähig, wenn wir das Sprechen fordern und fördern. Das Sprechen von Kindern, von Eltern, von beobachtenden Menschen. Das Thema darf nicht wieder zu einem verschwiegenen Thema werden. Das Thema muss im Gespräch bleiben“,  so Koch, der seine Bereitschaft zeigte, in dieser Hinsicht auch von gesellschaftlichen und staatlichen Stellen zu lernen.

Trennung der Kompetenzen

Man habe festgestellt, dass es nicht zielführend sei, wenn Ansprechpersonen für Betroffene auch für deren Fallmanagement zuständig seien, erläuterte Generalvikar Kollig. Insofern sei das Fallmanagement bereits vor einiger Zeit ausgelagert worden. Die digitale Sprechstunde, die in Coronazeiten aus der Not geboren wurde, habe sich als „gutes und niederschwelliges Gesprächsangebot“ erwiesen.

Auch Kollig betonte, dass es darum gehe, „Einstellungen zu ändern“, um „im Zweifel zu einer Grundhaltung für den Kinderschutz“ zu kommen: „Wir müssen auch als Leitung stärker sicherstellen, was geschieht, wenn jemand die Haltung nicht entsprechend verändert. Wir müssen Regelungen haben, die wir dann auch genau beachten und im Fall von Zuwiderhandlungen Konsequenzen ziehen können.“

Insbesondere fünf Fälle aus dem Missbrauchsgutachten der Anwälte wurden nochmals gesondert kirchenrechtlich untersucht, da dort genannte Verantwortungsträger in die weitere Aufarbeitung von Missbrauchsfällen einbezogen werden könnten und von der Kommission somit als „besonders dringlich“ eingestuft wurden. Die Untersuchung erfolgte durch die Kirchenrechtler Astrid Kaptijn (Fribourg/Schweiz) und Wilhelm Rees (Innsbruck). Diese kamen zu dem Ergebnis, dass den damaligen Verantwortungsträgern zwar kirchenrechtlich kein Fehlverhalten nachweisbar sei, doch sei eine „nicht optimale Arbeitsmoral und unzureichendes Verantwortungsbewusstsein" festzustellen.

Kollig: „Auch wenn es keine rechtlich zu begründenden Maßnahmen gibt, nehmen wir die Wahrnehmung der Betroffenen ernst. Wir können verstehen, dass sie aufgrund des Gutachtens, der Ergebnisse der Gutachten-Kommission und der Stellungnahme der Kirchenrechtler/in denen misstrauen, die bisher als Personalverantwortliche tätig waren. Deshalb hat der Erzbischof entschieden, dass Personen, die in diesem Sinn ihrer Verantwortung nicht immer umfassend gerecht wurden, gegenwärtig und zukünftig weder in Voruntersuchungsverfahren bei Anzeigen von Missbrauch, noch in die Bearbeitung von Missbrauchsfällen überhaupt einbezogen werden.“

Stärkere Kontrolle

Auch weitere Schritte seien in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen. Selbst wenn die erneute kirchenrechtliche Prüfung keine Grundlage für „weitergehende disziplinarische Maßnahmen“ ergeben habe, nähmen die Verantwortlichen im Erzbistum die Erkenntnis „sehr ernst“, dass die diesbezüglichen Versäumnisse und Fehler „nur durch entsprechende Leitung und Führung, die dem Bischof und dem Generalvikar obliegen, bearbeitet und befördert werden“ könnten: „Dazu gehört auch, dass Erzbischof und Generalvikar stärker als in der Vergangenheit dafür sorgen müssen, die Personen, die im Rahmen der Fälle von sexuellem Missbrauch tätig werden, für diese Aufgabe ausbilden zu lassen und ihre Arbeit stärker zu beaufsichtigen. Wo wir zu sehr denen, die Verantwortung hatten, vertraut haben, ohne ihre Arbeit zu kontrollieren oder deren Ergebnisse von Gesprächen und Untersuchungen nochmals kritisch zu hinterfragen, erkennen wir dies als Fehler an. Wir werden in Zukunft engmaschiger beaufsichtigen.”

Die Einrichtung einer Ethikkommission werde in diesem Zusammenhang auch mit Blick auf Fragen zu Fragen von „Macht und Beziehung“ derzeit geprüft, kündigte Generalvikar Kollig an. Ebenso sollte künftig im Rahmen eines „Beschwerdemanagements“ mehr Gewicht auf Rückmeldungen seitens der Gläubigen gelegt werden. Die Eltern von Kindern, die sich beispielsweise auf die Erstkommunion vorbereiteten, sollten in den kommenden Wochen eine Checkliste darüber beantworten, ob die geltenden Sicherheitsregeln beim Umgang mit Kindern eingehalten würden und gegebenenfalls Kontakt mit den Interventionsbeauftragten aufnehmen. Die Führungsebene im Erzbischöflichen Ordinariat unterhalb des Generalvikars sei vollständig mit Laien besetzt, während die Dienstaufsicht für die Seelsorgenden ebenfalls bei einem Laien liege, der keiner der pastoralen Berufsgruppen angehört, erläuterte der Generalvikar mit Blick auf eine diesbezügliche Empfehlung aus dem Gutachten.

„Eine Schublade, in die er verschwinden könnte, gibt es nicht!“

Der Maßnahmenplan, den die ehrenamtliche Gruppe in dessen Folge erarbeitet hatte, habe ihm schon „viele wichtige Perspektiven und blinde Flecken“ deutlich gemacht, so Kollig, der versprach: „Er wird uns in den nächsten Jahren ein guter Begleiter, Ratgeber und Korrektiv sein. Eine Schublade, in die er verschwinden könnte, gibt es nicht!“

Nach den Erkenntnissen des Gutachtens, auf dessen Grundlage der Maßnahmenkatalog erarbeitet wurde, wurden seit 1946 auf dem heutigen Gebiet des Erzbistums Berlin 61 Geistliche der sexualisierten Gewalt an mindestens 121 Kindern und Jugendlichen beschuldigt oder überführt.

(pm - cs)

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01. März 2022, 14:48