Annette Schavan Annette Schavan 

D: Was Neugierde mit der Erneuerung der Kirche zu tun hat

„Schlüssel zur Erneuerung der Kirche sind vor allem Neugierde auf die Zukunft, Professionalität und Wahrhaftigkeit.“ Das sagte Annette Schavan am Mittwoch bei einem Vortrag im Paulus-Dom in Münster .

Das Christentum sei eine Perspektive, keine Retrospektive, so die frühere Bundesministerin und ehemalige deutsche Botschafterin beim Vatikan. „Vom Christentum in Europa wird häufig geredet, als gehe eine lange und ehemals wichtige Geschichte dem Ende zu“, stellte sie fest und fuhr fort: „Anzunehmen, dass im Christentum alles gesagt und entdeckt ist, dass es nichts Neues geben wird und geben kann, ist der sicherste Weg in den Niedergang der Tradition. Karl Rahner hat erkannt: ‚Tradition wird brechen, wenn Neues keinen Platz findet.‘“

Wer immer zurückblicke, verliere die Bodenhaftung in der Gegenwart und die Neugierde auf die Zukunft. Sie appellierte: „Geistesgegenwart ist gefragt. Es braucht eine Quelle des Willens und der Kraft zu einer neuen Präsenz. Dann sind neue Erfahrungen möglich. Lassen wir uns provozieren von Gegenwart und Zukunft. Verwalten wir nicht Antworten, die vielleicht nicht mehr gültig sind, sondern finden wir Fragen, die wichtig für unsere Zeit sind.“

Dom von Münster
Dom von Münster

„In kleinen Einheiten geschieht der Prozess der Wiedergewinnung verspielten Vertrauens“

Eine wichtige Quelle für neue Erfahrungen, die zu einer erneuerten Kirche führen könnten, sei das System der Subsidiarität: „Die Formel muss lauten ‚kleine Einheit vor großer Einheit‘. Es braucht die Revitalisierung und eine Wertschätzung kleiner Einheiten, wie zum Beispiel der freien Träger“, machte Schavan deutlich. Dieses Subsidiaritätsprinzip sei heute mehr denn je ein Schlüssel für die Ordnung moderner und vielfältiger Gesellschaften, denn es stärke deren Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige Situationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen. „In kleinen Einheiten geschieht der Prozess der Wiedergewinnung verspielten Vertrauens. Da geht es nicht um Neues um des Neuen willen, sondern um Beziehung.“

In der globalen Welt könne die Kirche außerdem zum Modell dafür werden, wie der Respekt vor kultureller Vielfalt gelebt werden kann. Der Synodale Weg – sowohl der in Deutschland als auch der weltweite von Papst Franziskus ins Leben gerufene – zeigt aus Schavans Sicht genau diese große Vielfalt.

Schavan mit Papst Franziskus
Schavan mit Papst Franziskus

 

„Die Kirche in Deutschland wurde immer skeptisch betrachtet“

„Natürlich lautet die Frage dann oft ‚Was machen die Römer?‘. Die Kirche in Deutschland wurde immer skeptisch betrachtet, spätestens seit Luther. Im Übrigen ist diese Skepsis am größten unter den deutschen Klerikern, die in Rom sind. Aber auch die Kraft der Skepsis kann eine treibende Kraft für neue Erfahrungen und damit Erneuerung sein. Wir dürfen den Synodalen Weg als konstruktive Provokation sehen“, erklärte Schavan und fügte hinzu: „Wenn Papst Franziskus keine Erneuerung wollte, hätte er den Weltweiten Synodalen Weg nicht angestoßen.“

„Es kann ganz viel vor Ort angestoßen und verändert werden“

Sicher gebe es zwei, drei große Fragen, die ohne Rom nicht gelöst werden könnten, zum Beispiel die des Weiheamtes und die der damit verbundenen Lebensform, aber: „Es kann ganz viel vor Ort angestoßen und verändert werden. Erneuerung entsteht vor Ort.“

Viele aus der Institution Kirche Ausgetretene seien übrigens nach wie vor überzeugte Christen. „Suchen wir auch da die Begegnung, um neue Erfahrungen zu machen. Die Taufe wird man nicht los, und ein zentrierter Klerikalismus ist nicht die Zukunft.“

(bistum münster – sk)
 

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10. März 2022, 12:52