Katholikentag: Ex-Caritas-Präsident der Ukraine dankt für Solidarität
DOMRADIO.DE: Der Katholikentag hat ein Schwerpunktthema: Ukraine und den Krieg dort. Was bedeutet Ihnen das? Oder was kann das für die Menschen in der Ukraine bedeuten, dass der Katholikentag diesen Schwerpunkt gewählt hat?
Andrij Waskowycz (Ehemaliger Caritas-Präsident der Ukraine und Leiter des Büros für die Koordinierung humanitärer Initiativen des Weltkongresses): Zum einen sehe ich hier die Möglichkeit, auch auf dem Katholikentag den Dank der Ukrainer zu übermitteln für die Solidarität auch aus Deutschland und aus der deutschen katholischen Kirche. Denn die Kirche hat durch ihre Institutionen wie Caritas International und Renovabis sehr viele Projekte unterstützt in der Vergangenheit, die heute die kirchlichen Institutionen in der Ukraine befähigt haben, sehr aktiv tätig zu sein bei der Bewältigung der humanitären Krise in der Ukraine.
Eigentlich waren die beiden Caritas-Strukturen in Ukraine, die der römisch-katholischen Kirche und der griechisch-katholischen Kirche sofort befähigt, helfend einzuschreiten als der Krieg begonnen hat, weil sie über Jahre lang Programme realisiert haben, die sie fähig gemacht haben, auf große humanitäre Krisen zu reagieren. Das geschah mithilfe von Caritas International und mit Hilfe von Renovabis. Und es gab auch Programme, dass man die Pfarreien aktiviert hat, im sozialen Bereich tätig zu werden.
DOMRADIO.DE: Wir haben das gestern auch erlebt hier auf dem Katholikentag. Es wurden blau-gelbe Schals verteilt. Sie haben das sicher auch gesehen. Die Schals wurden geschwenkt, „Dona nobis pacem“ – alle haben gesungen. Aber reicht das?
Waskowycz: Es ist ganz wichtig, dass das Bewusstsein da ist in der Bevölkerung und in der Politik, dass die Ukraine heute unterstützt werden muss. Die Ukraine muss unterstützt werden, übrigens auch aus eigenem Interesse der westlichen Welt. Die Ukraine steht an vorderster Linie in einem Kampf gegen totalitäre Staaten, die sich heute imperial gebärden und gegen das Völkerrecht verstoßen, indem sie andere Territorien einnehmen wollen, indem sie Angriffskriege vorbereiten und durchführen.
Die Ukraine muss unterstützt werden im politischen Bereich. Sie muss unterstützt werden im wirtschaftlichen Bereich, im humanitären Bereich, aber auch im militärischen Bereich. Die Ukraine braucht heute Waffen, um sich verteidigen zu können. Sie braucht heute Hilfe für die Millionen von Flüchtlingen. Wir haben 6,6 Millionen Flüchtlinge, die ins Ausland gegangen sind und 8 Millionen Binnenflüchtlinge. Auch in diesem Bereich ist Unterstützung weiterhin notwendig. Und es ist natürlich schwierig. Wir sind in einer Zeit der Schnelllebigkeit. Das gilt auch für die Aufmerksamkeit, die auch oft schnelllebig ist. Da besteht die Gefahr, dass man die Aufmerksamkeit von der Ukraine abwendet und das Land allein lässt.
DOMRADIO.DE: Nun gehen der Papst und der Vatikan ja sehr diplomatisch vor. Würden Sie sich wünschen, dass er auch gerade in Richtung der russisch-orthodoxen Kirche, auch in Richtung Kyrill stärkere Worte wählt?
Waskowycz: Wir kennen geschichtlich die Situation, dass der Papst in der Geschichte auch attackiert wurde dafür, dass er während des Naziregimes, während des Zweiten Weltkrieges nicht klar Position bezogen hat. Wir haben heute eine ähnliche Situation. Wir sind dankbar für die Unterstützung des Heiligen Stuhls in allen Bereichen der Stützung der ukrainischen Kirche. Aber wir würden uns natürlich wünschen, dass vom Vatikan klare Worte kommen.
DOMRADIO.DE: Nun haben wir 2014 erlebt, dass die Ukraine überfallen worden ist von Russland. Das war zuerst eine große Aufregung, aber dann haben wir uns alle irgendwie dran gewöhnt. Jetzt haben wir wieder einen Krieg. Die Medien berichten fast rund um die Uhr. Der Krieg wird aber leider voraussichtlich länger dauern. Besteht da auch die Gefahr, dass wir uns irgendwann daran gewöhnen und hier auch wieder in den Alltag zurückkommen?
Waskowycz: Die Gefahr besteht immer, selbst wenn der Krieg vor der Haustür stattfindet. Aber das Problem ist, dass man heute im Gegensatz zu 2014 die globalen Auswirkungen dieses Krieges gesehen hat. Der Krieg hat Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit auch der europäischen Staaten mit Erdöl und Gas. Der Krieg hat Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit in Europa, aber eigentlich auch global. Und wir haben eine enorme Migrationskrise, die auch politisch interpretiert werden kann, die westliche, stabile Staaten destabilisieren kann. Deswegen hat dieser Krieg eine ganz andere Dimension angenommen und deswegen wird die Aufmerksamkeit auch auf ihm bleiben.
DOMRADIO.DE: Wir wissen nicht, wie das ausgeht. Ein längerer Krieg wird wahrscheinlich sein. Für Putin gibt es scheinbar keine Exitstrategie, die man als sinnvoll erachten könnte. Wie sehen Sie in die Zukunft? Haben Sie noch Hoffnung?
Waskowycz: Ich habe große Hoffnung, weil ich auch den Widerstandswillen des ukrainischen Volkes sehe. Die Ukraine kämpft um ihr Überleben. Das ukrainische Volk kämpft um sein Überleben. Jeder Mensch in der Ukraine verteidigt seine Familie, sein Haus, seine Straße, seine Stadt und sein Land. In dieser Hierarchie wird dieser Krieg angegangen. Das heißt, es ist ein ganz persönlicher Krieg, weil die Menschen wissen, wenn sie sich nicht verteidigen, können sie vernichtet werden.
Das Interview führte Johannes Schröer.
(domradio.de - cs)
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