Oberammergau-Regisseur Stückl: „Jesus hat uns wahnsinnig viel zu sagen"
Gudrun Sailer – Vatikanstadt
Sie haben zum 4. Mal Regie bei den Passionsspielen geführt – war die Premiere beim 4. Mal mit besonders viel Erleichterung nachher verbunden?
Christian Stückl: Jede Premiere ist voll von Anspannungen, und hinterher fällt alles von einem ab, und das war auch diesmal so.
Warum wollten Sie diesmal einen Jesus, der auch einmal laut wird? Ist es die Zeit zum Schreien?
Christian Stückl: Ich bin sehr überrascht nach den Aufführungen, vielen hat es gefallen, aber viele sind verwirrt über einen Jesus, der so laut ist. Sie haben alle das Jesusbild im Kopf vom liebenden, netten Jesus. Aber wenn man genauer liest, geht er konsequent seinen Weg, er hat sich völlig auf Gott ausgerichtet. Jesus ist wahnsinnig konsequent, in der Bibel oft laut und manchmal – habe ich das Gefühl, vielleicht ist das nur meine Interpretation – auch verzweifelt an der Welt.
Sie haben in der Passion 2022 den Frauen am Ende einen starken Auftritt gegeben. Warum?
Christian Stückl: Mein Gott, früher war das bei uns so, die letzten Worte hat schon auch die Maria Magdalena gesagt, aber dann hat die noch ein Prologsprecher, ein Mann, hintennach gesetzt. Und ich habe mir gedacht, es reicht ja, dass die Frau erklärt, dass Jesus auferstanden ist. Das muss ich nicht nochmal durch einen Mann beglaubigen. Dadurch ist vielleicht eine andere Gewichtung herausgekommen.
Warum wollen die Oberammergauer Passionsspiele Hunderttausende sehen? Kommen sie, weil das nur alle 10 Jahre, im Idealfall, gespielt wird? Will man sich ein wenig religiöse Bildung zurückerobern? Oder ist das Geschehen zwischen Palmsonntag und Auferstehung einfach eine packende Geschichte, in die man, wenn sie gut gespielt ist, einen halben Tag lang ein- und abtauchen kann?
Christian Stückl: Das ist schwer zu erklären! Es hat für manche Länder fast Tradition: Mancher Amerikaner kennt Oberammergau besser als mancher Deutsche, die kommen fast schon, weil Opa und Oma da waren. Ich glaube, viele kommen jetzt in der letzten Zeit, weil das etwas Unglaubliches ist, was da in Oberammergau jedes Mal passiert. Man spürt, dass ein ganzes Dorf sich um eine Sache versammelt, dass alle Kräfte zusammenspielen, dass wir es schaffen, mit 5.000 Einwohnern fast 5.000 Leute am Tag herzulocken. Manche kommen auch, um sich religiös zu erbauen, manche wegen dem Spektakel, aber ich glaube, viele merken, dass das, was hier geboten wird, etwas Einmaliges ist.
Sie sind selbst Oberammergauer, die Passionsgeschichte begleitet Sie also schon ihr ganzes Leben. 1990 haben Sie zum ersten Mal Regie geführt. Was ist für Sie seither das eine Element, das sich an der Passion am meisten geändert hat?
Christian Stückl: Wir haben, bevor ich das gemacht habe, fast 80 Jahre Stillstand gehabt. Wir haben den Text nicht mehr verändert, weil wir dachten, die Zuschauer wollen immer das Gleiche sehen, wir haben Kostüme nicht verändert. Was sich am meisten verändert hat, ist die Auffassung, dass wir jedes Mal neu drangehen müssen, dass wir uns jedes Mal neu bemühen müssen, die Geschichte zu erzählen. Die grundsätzliche Auffassung, wie man mit dem Passionsspiel umgeht.
Tatsächlich gilt ja Traditionsverbundenheit in der katholischen Kirche als Tugend, im Theater nicht. Sie machen Theater, klar, aber sie machen Theater mit der christlichen Erzählung schlechthin. Sehen Sie für den Spielleiter von Oberammergau – vielleicht auch in Zukunft - eine Verantwortung, die Ostergeschichte letztendlich treu zu erzählen?
Christian Stückl: Was ist denn treu? Ich glaube, die Kirche hat völlig verlernt, die Geschichte zu erzählen. Die Kirche beschäftigt sich zu sehr mit ihren Traditionen, zu sehr mit dem, was überkommen ist, aber sie haben verlernt, die Botschaft Jesu richtig zu erzählen. Deswegen treten immer mehr Menschen aus der Kirche aus. Und wir sind bemüht darum, uns auf die Botschaft zu konzentrieren. Bei uns sieht man mehr Bemühen als manchmal in der Kirche.
Sie haben von Mal zu Mal die Passion von antisemitischen Tönen befreit, waren auch im Heiligen Land unterwegs, um besser zu verstehen, haben an einem Pharisäer-Kongress in Rom teilgenommen. Würden Sie sagen, die Passion ist heute frei von Antisemitismus? Können wir das überhaupt sagen, als Nicht-Juden?
Christian Stückl: Ich habe mit mehreren jüdischen Kollegen geredet: wir werden nie einen Koscher-Stempel kriegen, „jetzt ist es frei von Antisemitismen“. Wir haben fast 2000 Jahre Antisemitismus getrieben innerhalb der Kirche und der Gläubigen, deshalb ist das nicht so schnell aus der Welt zu bringen. Wir bemühen uns, aber ganz herausbringen wird man es nicht, und wenn das nur im Gefühl von manchen Juden ist, die wissen, wie schrecklich zum Teil die Wirkungsgeschichte war, weil man ihnen vorgeworfen hat, sie hätten den Sohn Gottes umgebracht.
Die Passion Christi ist ein ganz oft beackerter Stoff. Es gibt wahrscheinlich Hunderte Jesusfilme, Pasolini, Mel Gibson, eher konventionell erzählt, Milo Rau vor einem Jahr war eher experimentell. Die ganze Bandbreite. Was reizt Sie als Regisseur noch immer an dieser Geschichte, noch dazu, wo das Setting Oberammergau ja keine größeren Abweichungen zulässt?
Christian Stückl: Ich glaube, dass wir mehr Freiheiten haben, als es nach außen hin vielleicht scheint. Wenn jemand denkt, in Oberammergau kriegt er Folklore geboten, davon sind wir weit entfernt. Ich habe hier mehr Freiheiten, über Jesus nachzudenken und zu erzählen als man sich denken kann. Mir macht es immer wieder Spaß. Es ist aber auch die Auseinandersetzung mit den Leuten hier im Dorf, das ist auch ein Grund, warum ich die Passionsspiele immer wieder mache.
Die Geschichte an sich: von Palmsonntag, dem Hosianna, bis zu Kreuzigung, Tod und Auferstehung – was ist daran reizvoll für einen Theaterregisseur, es nach 40 Jahren noch immer zu machen?
Christian Stückl: Es ist vielleicht weniger die Leidensgeschichte als die Lebensgeschichte von Jesus. Mir wird manchmal vorgeworfen, mir ist das Leiden zu unwichtig und das Leben wichtiger. Aber ich habe das Gefühl, Jesus hat uns wahnsinnig viel zu sagen. Vieles von dem, was er sagt, ist immer noch ein Ärgernis. Wenn dich jemand auf die linke Wange schlägt, halte ihm auch die rechte hin… das ist für viele unbegreiflich, die Botschaft von der Feindesliebe. Vieles ist noch immer nicht ganz durchdrungen, und vielleicht liegt es daran, dass wir immer noch Arme haben, die nichts zu fressen haben, dass wir immer noch Kriege haben, und diese Geschichte noch nie begriffen haben. Und deshalb bleibt diese Geschichte immer frisch.
(vatican news)
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