Pfarrer Ferdinand Hempelmann, Dülmen Pfarrer Ferdinand Hempelmann, Dülmen 

Unser Sonntag: Seid Ihr noch zu retten?

In seiner Betrachtung zum Evangelium an diesem Pfingstfest meint Pfarrer Hempelmann, dass man vielleicht einfach mal machen sollte - auch in der Kirche. Zu viele Christen sind gleichgültig - doch Ostern beginnt mit Erfahrung und Zeugnis: Im Hier und Jetzt können wir die Erfahrung Jesu Gegenwart machen.

Pfarrer Ferdinand Hempelmann, Dülmen

Joh 20, 19-23 

Liebe Schwestern und Brüder,

ich wünsche Ihnen ein frohes Pfingstfest
und grüße Sie alle herzlich aus Rom!
Ich bin in der Nähe des Petersplatzes.
Auf diesem Platz kommen immer viele Menschen zusammen.

Hier zum Nachhören

Das passt gut zu dem, was wir am Pfingstfest in der Apostelgeschichte hören: viele Menschen aus unterschiedlichen Orten sind in Jerusalem versammelt und genau in diese Menge begeben sich die Jünger Jesu, die sich zuvor aus Furcht hinter verschlossenen Türen versammelt hatten.
Dass die Jünger sich eingeschlossen haben, davon berichtet auch der Evangelist Johannes.

Die Jünger unter Schock

Sie waren geschockt, denn durch Jesu Tod waren ihre Pläne und Vorstellungen gescheitert. Einen Traum hatten sie geträumt, der nicht wahr geworden ist. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie von Angst, Ratlosigkeit und von Erschöpfung überwältig wurden und sich darum zurückgezogen haben. Und dann tritt plötzlich Jesus auf. Seine Worte erreichen die Jünger durch die verschlossenen Türen.
Jesu Worte reichen sogar bis zu uns in die heutige Zeit und führen dazu, dass Christen „einfach mal machen“ und so Kirche leben.

„Einfach mal machen und so die Kirche verändern“

Diese Formulierung las ich kürzlich als Untertitel eines Buches: „Einfach mal machen und so die Kirche verändern“.
Der Titel des Buches provoziert noch mehr: „Seid ihr noch zu retten?!“
Welch eine Vorstellung: Jesus kommt in den Raum, in dem sich seine Jünger eingeschlossen haben, und er sagt nicht: „Friede sei mit euch.“, sondern „Seid ihr noch zu retten?“ Wer so etwas sagt, will wachrütteln und ermahnen. Wer so etwas sagt, hat Angst um die anderen.
„Seid ihr noch zu retten?!“

„Man könnte ihn von hier in Richtung Vatikan rufen. Vom Vatikan aus in Richtung Welt. Von Rom aus in Richtung Deutschland und umgekehrt: „Seid ihr noch zu retten?!“

Vielleicht ist Ihnen dieser Satz auch schon über die Lippen gekommen und Sie erinnern sich noch, in welcher Situation das war.
Man könnte ihn von hier in Richtung Vatikan rufen. Vom Vatikan aus in Richtung Welt. Von Rom aus in Richtung Deutschland und umgekehrt:
„Seid ihr noch zu retten?!“
Nicht wenige haben Angst um die Kirche bzw. um ihre Kirche, so wie sie sie kennen und lieben gelernt haben, oder wie sie nach deren Vorstellungen zu sein hat; haben Angst vor Veränderungen, oder davor, dass sich nichts ändert, und sie in die Bedeutungslosigkeit abrutscht.
Somit wird in alle kirchlichen Himmelsrichtungen mahnend und warnend gerufen: „Seid ihr noch zu retten?!“

Verunsicherung der Gläubigen

Vor einigen Wochen habe ich im Sonntagsgottesdienst Gemeindemitglieder gebeten, einfach mal nach vorne zu kommen, um von ihren Gedanken und Gefühlen in Bezug auf Kirche und Glauben zu sprechen.
Ich selbst habe mich dabei unter die Gottesdienstbesucher gemischt und in die Bank gesetzt. Ich war erstaunt, wie viele auftraten, um zu erzählen. Erwachsene Menschen, die teilweise Tränen in den Augen hatten, weil sie viele Dinge einfach nicht mehr verstehen. Sie fühlen sich verunsichert.

Zwischen allen Stühlen

Sie verstehen die Bischöfe nicht und verstehen aber auch die nicht, denen Kirche gleichgültig geworden ist, sie verstehen aber den Frust und die Verletzung derjenigen, die sich von Kirche ausgegrenzt und nicht wahrgenommen fühlen.
Sie fühlen sich zwischen allen Stühlen und haben kaum Worte dafür. Ich bin gerne Priester und das mit Leib und Seele.

Aber auch mir geht langsam die Luft aus. Ich bin konfrontiert mit der Enttäuschung, dem Unverständnis und auch der Wut von Gläubigen;
mit den lähmenden und teilweise hilflosen Reaktionen von Bischöfen, sowie mit bürokratischen Stellungnahmen aus Rom zu wichtigen Lebensfragen – ohne jegliches pastorales Feingespür.

Gleichgültigkeit vieler Christen

Ich bin in Medien und Büchern konfrontiert mit Meinungen von Theologen, die sich für die Abschaffung des Zölibats aussprechen und mit Meinungen von Theologen, die biblisch begründen können, dass alles so bleiben muss, wie es ist.
Konfrontiert bin ich aber auch mit der Gleichgültigkeit vieler Christen, die noch ganz andere Ursachen hat.
Manchmal weiß ich nicht, wer noch zu retten ist.
„Einfach mal machen und so die Kirche verändern“. Ohne das Buch gelesen zu haben, war schon die Überschrift für mich ein Impuls.
Mit der Überschrift wurde mir klar: es braucht Erfahrung und Zeugnis.

Es braucht Erfahrung und Zeugnis

Ostern beginnt mit Erfahrung und Zeugnis. Und ich glaube, genau das will Johannes mit seinem Evangelium erreichen.
Glaube kommt nicht von oben, sondern von unten, so wie auch Jesus nicht von oben herab in die Mitte seiner Jünger gekommen ist, sondern von unten aus dem Grab.
Im Hier und Jetzt können wir die Erfahrung seiner Gegenwart machen, mitten im Leben, das vom Tod umgeben ist.
„Friede sei mit euch. Wie mich der Vater gesendet hat, so sende ich euch.“

„Warum nicht einfach den Worten Jesu Glauben schenken“

Warum nicht einfach den Worten Jesu Glauben schenken. Und so kommen mir Worte Jesu in den Sinn, die er zu seinen Jüngern gesprochen hat:
„was sorgt ihr euch um eure Kleidung? Lernt von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen: Sie arbeiten nicht und spinnen nicht.“ (Mt 6,28)
Und dann weiter: 
„Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen? Denn nach alldem streben die Heiden. Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht. Sucht aber zuerst sein Reich und seine Gerechtigkeit; dann wird euch alles andere dazugegeben.“ (Mt 6,31-33)

Die Denkweise Gottes

Und dann die Worte aus dem Lukasevangelium:
„Er sandte sie aus, das Reich Gottes zu verkünden und die Kranken gesund zu machen. 3 Er sagte zu ihnen: Nehmt nichts mit auf den Weg, keinen Wanderstab und keine Vorratstasche, kein Brot, kein Geld und kein zweites Hemd!“ (Lk 9,2-3)
Das ist die Denkweise Gottes. Die provoziert.
Darum sagte auch der verstorbene ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Mit der Bergpredigt ist keine Politik zu machen.“
„Seid ihr noch zu retten?!“

„Wir sind noch zu retten, wenn es uns zuerst um „das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ geht“

Ja (das sind wir), wenn es uns zuerst um „das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit“ geht.
Wenn wir uns einlassen auf Jesus und seine Worte: „Selig sind, die nicht sehen und dennoch glauben.“
Wenn wir uns der Denkweise Gottes überlassen.
Wenn wir sein Licht bezeugen.
Wenn wir uns senden lassen.
„Einfach machen und so die Kirche verändern“.
Das wünsche ich der Kirche und der Welt.
In den Augen vieler mögen wir verrückt sein. Aber werden dadurch nicht viele Dinge in dieser Welt wieder zurechtgerückt?
Und darum rufe ich in alle kirchlichen Himmelsrichtungen:
„Einfach mal machen und so die Kirche verändern“.
Einfach machen und so Kirche leben.

Literatur:
„Seid ihr noch zu retten?! Einfach mal machen und so Kirche verändern“ von Rainer Maria Schießler und Stephan Maria Alof, bene! Verlag
Perikopen.de

(radio vatikan - redaktion claudia kaminski) 

 

 

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04. Juni 2022, 10:59