Flüchtlingsbischof Heße bei Ukraine-Flüchtlingen
„Unvergesslich waren für mich die Begegnungen mit den Geflüchteten“, sagte Heße in einem Interview mit Radio Vatikan. Er habe konkret einige Menschen vor Augen, die er jetzt „im Herzen und im Geist mit zurück nach Deutschland nehme“.
„Zum Beispiel eine geflüchtete ältere Dame, etwas über 70 vielleicht, die blind ist und die aus Charkiw nach Lviv (Lemberg) geflohen ist. Oder die Familie – wahrscheinlich Roma –mit sieben Kindern, die in einer besonders schwierigen Situation ist. Drittens sehe ich eine Frau mit zwei behinderten und zwei großen Jungs vor mir; einer davon hat aufgrund seiner Traumata die Sprache verloren und kann sich seitdem nicht mehr äußern…“
Heße zeigte sich beeindruckt von der Hilfe und Solidarität namentlich der polnischen Katholiken angesichts der Flüchtenden aus der Ukraine. In einem Vorratslager der Caritas habe er auch sehen können, dass die Solidarität mittlerweile weltumspannend sei:
„Da sind Pakete aus der ganzen Welt gewesen. Das waren Pakete aus Europa – man sieht das an den Schriftzügen, an der Sprache –, aber es waren eben auch Pakete aus den USA. Also, es gibt eine weltweite Solidarität, und ich glaube, das ist für die Menschen in der Ukraine eine ganz wichtige Botschaft: dass sie nicht vergessen sind.“
In der Hilfe und Solidarität jetzt nicht nachlassen
Auch die Kirche in Deutschland tue „sehr viel“ für die Geflüchteten. „Ich habe in meiner eigenen Diözese in Hamburg manche Aktionen; wir packen Hilfspakete, wir haben eine Kleiderkammer, ein Café, in dem Beratung angeboten wird; wir haben aber auch Hilfe in den Pfarreien, wo Menschen Wohnungen zur Verfügung stellen, und in den Schulen, wo ukrainische Kinder zu integrieren versucht werden.“ Außerdem gebe es sehr viel Hilfe, die von Deutschland aus in die Ukraine geschickt werde, so Heße.
„Wir haben zum Beispiel durch unsere Caritas in Hamburg schon seit vielen Jahren eine Partnerschaft in die Westukraine. Und die bewährt sich jetzt in dieser Krisenzeit, so dass von uns aus dort die Hilfslieferungen hinkommen. Ich habe bei meinen Begegnungen hier in der Ukraine eben auch Hilfsgüter aus Deutschland, aus unserem eigenen Bistum sehen können!“
In der Beurteilung der russischen Invasion in der Ukraine nimmt Erzbischof Heße kein Blatt vor den Mund. „Es ist eine vollkommen ungerechtfertigte und durch nichts zu entschuldigende Aggression. Ich glaube, wir müssen mit allen Mitteln deutlich machen, dass hier Unrecht geschieht und dass wir dieses Unrecht unter keinen Umständen tolerieren können und dürfen!“ Er glaube, dass der Krieg „nicht so schnell“ zu Ende gehen werde; darum sei es wichtig, „dass die Kräfte nicht nachlassen“.
Er habe „das wahre Gesicht des Krieges gesehen“, so Heße: „Ich habe Raketeneinschläge gesehen, zerstörte Städte und Häuser… Ich habe in Lviv die Garnisonkirche besucht; dort werden regelmäßig die Totenmesse für die verstorbenen Soldaten gehalten, und man hat in der Seitenkapelle die Fotos dieser Soldaten aufgestellt. Ich finde es gut, dass damit die Gesichter dieser Menschen wachgehalten werden. Dass der Krieg nicht anonymisiert und verallgemeinert wird. Dass auch die Toten ihr menschliches Gesicht behalten. Das ist schon etwas sehr Wichtiges…“
Mitten in der Nacht: Bombenalarm
Mitten in der Nacht hat der Besucher aus Deutschland auch einen Bombenalarm erlebt – das werde „sicher auch eine Erinnerung bleiben, die ich mitnehme“. Er könne jetzt „ein bisschen nachfühlen, wie es den Menschen geht, vor allem in den zerstörten Städten“.
In unserem Interview äußert sich Erzbischof Heße auch zur Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine. „Wir müssen reagieren“, sagt er. „Ich bedauere es, dass wir 2014 nach der Annexion der Krim zu wenig gemacht haben; aus heutiger Perspektive sagen ja manche, da hat Putin schon mal experimentiert, wie weit er gehen kann. Aber ich weiß auch aus Begegnungen mit den Politikern, dass es (das Liefern von Waffen) eine Gratwanderung ist.“
Waffen liefern - aber keinen Atomkrieg riskieren
Erzbischof Heße beschreibt ein Dilemma. „Ich glaube, wir müssen klar bleiben – aber wir dürfen auch nicht überdrehen, um einen nuklearen Krieg zu riskieren. Das wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte. Von daher wünsche ich den Politikern, den Parlamentariern, allen Regierenden, dass sie klar sind, dass sie entschlossen sind, aber dass sie auch das Maß finden, das jetzt das richtige ist.“
Die deutsche Regierung sei in einer „schwierigen Situation“; aus seiner Sicht finde sie immerhin „ihre Rolle“ und finde auch „in die Handlung rein, die wichtig ist“. „Und ich glaube, dass das auch vom deutschen Volk gewürdigt wird… Wichtig scheint mir nur, dass wir nicht nachlassen, dass wir die Energie behalten und dass wir uns nicht an diesen Krieg gewöhnen.“
Deutlich wendet sich Erzbischof Heße gegen jedwede Rechtfertigung des Krieges durch kirchlich Verantwortliche. „Die Haltung des Patriarchen befremdet mehr und mehr“, sagt er mit Blick auf den Moskauer Patriarchen Kyrill I., der als enger Weggefährte Putins gilt.
Sorge äußert der deutsche „Flüchtlings-Bischof“, was eine mögliche „massive neue Migrationswelle aufgrund von Hungersnöten in vielen Teilen der Welt“ betrifft - eine Folge ausbleibender Getreidelieferungen aus der Ukraine. „ Das wäre eine Katastrophe!“
(vatican news – sk)
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