D: Sozialpfarrer fordert Umverteilung in der Krise
Domradio: Wie sieht es in Ihrer Gemeinde aus? Können die Menschen ihre Lebenshaltungskosten noch bezahlen?
Pfarrer Franz Meurer (Pfarrei St. Theodor und St. Elisabeth Köln-Höhenberg/Vingst): Es ist bei uns natürlich so, dass es immer sehr eng ist. Der ganz normale Horror ist ja, dass die Leute den Strom abgestellt bekommen, dass gerade Alleinerziehende gar nicht wissen, wie sie es hinkriegen sollen und wir kriegen das dann auch vorgerechnet.
Zum Beispiel eine Alleinerziehende mit drei Töchtern. Die essen so gern Fischstäbchen. Die kosteten voriges Jahr noch 1,99 Euro und jetzt 2,85 Euro. Da ist natürlich ein Hammer, also gibt es keine Fischstäbchen mehr. Die Frau hat für die drei Töchter und sich, wenn alles abgezogen ist, 11,40 Euro am Tag zum Essen. Die kriegt das hin, die geht auch arbeiten. Aber das ist mal ein konkretes Beispiel, wie es auf Dauer nicht funktionieren kann.
Fonds für Arme
Es gibt ja auch Positives. Die RheinEnergie macht jetzt einen Fonds von einer Million auf, um arme Menschen zu unterstützen. Finde ich absolut richtig, denn im rheinischen Kapitalismus müssen wir zusammenhalten. Jürgen Becker wird in seinem neuen Buch, das gerade rausgekommen ist, richtig konservativ und sagt: Ohne Verzichten geht es nicht. Wir müssen, um die Zukunft hinzukriegen, einfach den Zusammenhalt machen. Der verzichtet ja seit sieben Jahren auf Flugreisen, fährt nur noch mit dem E-Auto und so weiter.
Ich selber bin ja positiv gepolt. Das heißt, die Tatsache, dass die Leute merken, wir müssen zusammenhalten, dass jetzt diskutiert wird, ob es eine Mehrwertsteuer auf diese Gaserhöhung gibt oder nicht. Ich denke, im Moment rückt die Gesellschaft zusammen, obwohl für die einzelnen die Not größer wird. Wir verteilen ja von der "Sack e.V." hier im Pfarrhaus leider an arme Leute auch diese Lebensmittelsäcke. Die sollen normalerweise dienstags zur Lebensmittelausgabe kommen. Aber es geht ja nicht anders. Wenn da eine Mutter mit zwei Kindern steht, würden sie auch was geben.
Domradio: Besteht denn für die Menschen bei Ihnen die Gefahr, dass sie im Winter im Kalten sitzen?
Meurer: Aber absolut! Wir haben ja so ein ganz kleines Jugendheim in der Eifel. Da habe ich gerade die Gasrechnung für so einen Tank bezahlt: dreimal so viel wie vor acht Jahren, doppelt so viel wie vor drei Jahren. Das heißt, wie das überhaupt werden soll, das ist ja nach vorne offen. Da müssen die Jobcenter, da müssen die Wohnungsämter ran.
Ich selber als positiv Denkender sage, das Problem ist ja klar: Wie soll das denn funktionieren, wenn du plötzlich eine Nachzahlung hast? Ich erlebe das ja dauernd beim Strom: Erst kommt eine Nachzahlungsforderung, dann wird der Strom abgestellt und dann sitzen die Familien da.
Domradio: Was muss denn passieren, damit die Einkommensschwachen mit diesen steigenden Gaspreisen klarkommen können? Wie könnte denn Unterstützung aussehen?
Meurer: Die Unterstützung ist ganz einfach. Es muss bundesweit dafür gesorgt werden, dass gerade die kleinen Einkommen besonders gefördert werden. Jürgen Becker sagt in seinem neuen Buch, dass wir wieder eine Reichensteuer auf 53 % wollen. Die gab es bei Helmut Kohl auch. Also würden die Leute das akzeptieren.
Das heißt, um das mal ganz klar mit der Soziallehre der Kirche auf den Punkt zu bringen, es wird ohne eine Umverteilung in Richtung auf die armen Menschen nicht gehen. Das hat ja gerade auch der Kölner Professor Butterwegge in seinem neuesten Buch beschrieben. Sonst wird es auch zu Unruhen kommen. Aber ich glaube, dass wir in der Gesellschaft die Kurve kriegen.
Domradio: Wie kann die Kirche unterstützen?
Meurer: Die Kirche kann wie immer auf drei Seiten unterstützen. Erstens Caritas konkret machen. Zweitens müssen wir, vor allem Professorinnen und Professoren, uns beteiligen. Kardinal Höffner hat sehr stark die dynamische Rente mitentwickelt. Da wäre mein Wunsch, dass die Beteiligten in der Wissenschaft mehr nach draußen kommen.
Dass es bei uns im Bistum den Herrn Dr. Weingarten gibt, der diese ökologische Seite betreibt, ist natürlich wunderbar. Denn ohne Sparen, ohne Verzichten, ohne Einschränkung, ohne dass wir die jetzige Situation auch mit Klima und Armut zusammendenken, so wie es der Papst in seiner Enzyklika "Laudato si" macht, kommen wir nicht voran. Hier müssen die Leute, die nicht händisch arbeiten müssen, sondern mit dem Kopf, die müssen auch Gas geben.
Das Interview führte Dagmar Peters
(domradio-sst)
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