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Hildegard von Bingen Hildegard von Bingen 

10 Jahre Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen: „Erst jetzt als Theologin entdeckt"

Die Erhebung Hildegards von Bingen zur Kirchenlehrerin vor genau zehn Jahren hat den Anstoß dazu gegeben, die Heilige mehr als Theologin wahrzunehmen. Das sagt die Benediktinerin Maura Zátonyi, Vorsitzende der St. Hildegard-Akademie Eibingen im Gespräch mit uns.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Am 7. Oktober 2012 hat Papst Benedikt XVI. Hildegard von Bingen (1098-1179) amtlich zur Kirchenlehrerin erhoben – als eine von bisher nur vier Frauen, denen diese Ehre zuteil wurde. Schwester Maura Zátonyi hält am Jahrestag einen Festvortrag in Rom in der deutschen Kirche S. Maria dell’Anima.

Wir fragten die Hildegard-Forscherin, was sich in den zurückliegenden zehn Jahren getan hat, um die theologische Relevanz der Heiligen herauszuschärfen.

Sr. Maura Zátonyi: Die Erhebung zur Kirchenlehrerin war eigentlich der Anstoß, dass Hildegard überhaupt viel mehr als Theologin wahrgenommen worden ist. Vorher war sie eher in der Philosophie beachtet oder in den Geisteswissenschaften. Gleich nach der Erhebung haben wir einen internationalen Kongress veranstaltet über Hildegards Menschenbild und Kirchenverständnis, dann kamen theologischen Publikationen. Eine bleibende Einrichtung, die aus diesem Impuls von Hildegard als Kirchenlehrerin entstanden ist, ist die St. Hildegard-Akademie Eibingen als Zentrum für Wissenschaft, Forschung und europäische Spiritualität. Das war wichtig, um dieses Erbe der neuen Kirchenlehrerin ins Bewusstsein zu heben.

„Eine Theologin der Heilsgeschichte“

Welche theologischen Schwerpunkte setzte Hildegard?

Sr. Maura Zátonyi: Hildegard ist aus meiner Sicht eine Theologin der Heilsgeschichte. Für sie ist die Menschwerdung das größte Geheimnis und auch die größte Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Das ist eine großartige Botschaft bei ihr, dass sie zeigt, dass Gott eigentlich schon ohne den Sündenfall Mensch geworden wäre. Das zeigt, dass Gott den Menschen so sehr liebt, dass er schon immer Mensch werden sollte. Für Hildegard ist die Menschwerdung ein großer, unüberbietbar Ausdruck von Gottes Liebe zu uns.

 

Sie haben kürzlich das „große Hildegard von Bingen Lesebuch“ herausgegeben, Untertitel: Worte wie von Feuerzungen. Welche Hildegard lernen wir da kennen? Die Heilige hat ja auch gepredigt und sehr viel geschrieben.

Sr. Maura Zátonyi: Im Lesebuch geht es eigentlich darum, dass wir die Botschaft Hildegard heute entdecken, die uns anspricht. Ich habe Texte ausgewählt, die sich mit Fragen beschäftigen, die für uns heute wichtig sind: Wie können wir glücklich werden? Wie können wir unseren Glaubensweg gehen? Wie kann ich Gott überhaupt erfahren? 

Und noch ein weiterer Aspekt war mir wichtig. Ich habe schon so viele Hildegards-Seminare und Vorträge gehalten, und da waren immer wieder Texte, wo die Menschen Aha-Erlebnisse hatten. Diese Texte habe ich auch aufgenommen. Hildegards Texte sind voller Bilder. In einem beschreibt sie, wie sie eine Gestalt sieht, das ist für sie Gott, und diese Gestalt hat im Herzen einen Klumpen Lehm. Und Hildegard sagt: Gott trägt uns Menschen in seinem Herzen, egal wie wir sind. Da können wir noch so schmutzig sein, aber wir sind in Gottes Herzen. Wie sie das beschreibt, das berührt immer wieder auch die Herzen der Menschen.

Hier zum Hören:
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. - Archivfoto
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. - Archivfoto

Ihr Festvortrag an der Anima am Freitag trägt den Titel: „Die doppelte Bewunderung: Hildegard von Bingen und die Päpste“. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie bei diesem Thema gelangt? Wer bewunderte wen aus welchen Gründen?

Sr. Maura Zátonyi: Ja, die Päpste Hildegard natürlich! Zunächst: Wir verdanken diesen Festtag, den wir jetzt feiern dürfen, der Bewunderung eines Knaben. Das ist Papst Benedikt XVI., der schon als Kind eine Bewunderung für Hildegard gespürt hat. Damit werde ich anfangen und dann die Bewunderung der zeitgenössischen Päpste zeigen, also die Päpste, mit denen Hildegard zu tun gehabt hat. Und dabei werde ich auf die Ergebnisse des Projektes zurückgreifen, an dem ich in der Akademie der Akademie der Wissenschaften in Mainz arbeite. Wir bewerten die Briefe Hildegards völlig neu, und dadurch haben wir einen neuen Blick auf die Briefwechsel Hildegards mit den Päpsten.

Der allererste Brief in der wichtigsten Brief-Sammlung ist von Papst Eugen III. an Hildegard, und er beginnt mit zwei großen „Miramur“: Wir bewundern dich, oder wir wundern uns über die Gnade, die dir zuteil geworden ist. Das ist wie ein theologischer Paukenschlag zu Beginn dieser wichtigen Briefsammlung, die wir jetzt zum ersten Mal in unserem Projekte einem breiteren Publikum zur Verfügung stellen werden.

Kloster Eibingen
Kloster Eibingen

Die von Ihnen geleitete St. Hildegard-Akademie Eibingen möchte das geistig-geistliche Erbe Europas bewusst machen. Inwiefern sehen wir heute besser denn je, dass Hildegard von Bingen eine europäische Heilige ist?

Sr. Maura Zátonyi: Wir sehen jetzt, dass wir eigentlich nur durch unseren Zusammenhalt überhaupt etwas in der Welt bewegen und Gutes tun können. Nicht in einzelnen Nationalstaaten aufgeteilt. Hildegard und die führenden Persönlichkeiten ihrer Zeit haben sehr europäisch gedacht. Hildegards Briefwechsel zeigen, wie sie in ganz Europa Kontakte gehabt hat. Durch diese Vernetzung in Europa konnten sie ihre Projekte verwirklichen. Hildegard hatte Kontakte bis nach Frankreich, nach Italien, aber nach England – das sind unsere heutigen geographischen Bezeichnungen. Sie und andere in ihrer Zeit haben in europäischen Dimensionen gedacht und gehandelt. Und das ist auch für uns heute die einzige Chance, wenn wir für Frieden uns einsetzen möchten, auch jetzt für die Lösung unserer großen Krisen.

Vor einigen Jahren hat Radio Vatikan eine mehrteilige Radioakademie über die heilige Hildegard von Bingen gestaltet. Sie können sie auf CD gegen einen Unkostenbeitrag bei uns bestellen. 

(vatican news – gs)

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06. Oktober 2022, 13:57