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Stern in der Geburtskirche von Betlehem Stern in der Geburtskirche von Betlehem 

„Neue Erkenntnisse zur Trennung von Juden- und Christentum“

„Teile unserer Geschichtsbücher müssen umgeschrieben werden“: In seltener Einigkeit haben Wissenschaftler - Theologen wie Judaisten - mit diesen Worten eine Neuerscheinung auf dem theologischen Büchermarkt gewürdigt.

Das Buch des Wiener Neutestamentlers Markus Tiwald mit dem Titel „Parting of the Ways“ zeichnet den komplexen und keineswegs geradlinig verlaufenden Prozess der Trennung von Judentum und Christentum nach. Ein Prozess, der „an unterschiedlichen Orten und mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ablief und nicht einmal durch die christologischen Fixierungen des vierten Jahrhunderts seinen endgültigen Abschluss fand“, wie Tiwald bei einer Buchpräsentation am Dienstag in Wien betonte.

Nach Ansicht des Bibelwissenschaftlers durchmischten sich religiöse Motive im Frühjudentum und beginnenden Christentum auf deutliche Weise. Das Wissen auch um die Geschichte des Judentums sei wichtig, um die Figur des Jesus von Nazareth ebenso wie Paulus, Petrus und andere Zentralgestalten des Christentums zu verstehen. „Jesus und seine ersten Nachfolger waren Juden - eine Glaubensgemeinschaft abseits des Judentums hatten sie nie intendiert“: Was inzwischen zu einem Stehsatz im Christentum geworden sei, werde erst durch die Zusammenschau neuerer Forschungen lebendig, so Tiwald.

Hat es die Synode nie gegeben?

Beispiele für eine aus seiner Sicht notwendige Revision einer Darstellung der christlichen Ursprünge seien etwa die „Synode von Javné“, die These, der Christusglaube bzw. das Christusbekenntnis habe die Trennung besiegelt, und die Rede von „jüdischen Christenverfolgungen“. Die These einer den biblischen Kanon des Judentums fixierenden und somit eine Trennung vom Christentum forcierenden „Synode von Javné“ zum Ende des ersten Jahrhunderts nach Christus sei nicht mehr haltbar, so Tiwald. Eine solche Synode und die angebliche dortige „Verfluchung der Christen durch die Synode“ habe historisch nie stattgefunden, sondern bleibe eine „Konstruktion“ aus dem 19. Jahrhundert.

Orthodoxe Juden in Jerusalem
Orthodoxe Juden in Jerusalem

Gleiches gelte für die These, das Christusbekenntnis habe den Bruch besiegelt: Im Frühjudentum seien zahlreiche „Zeichenpropheten mit messianischen Anklängen“ belegt, die zwar zu Meinungsverschiedenheiten, nicht aber zum Bruch geführt hätten. Auch die Annahme von „jüdischen Christenverfolgungen“ unter Verweis auf die Steinigung des Stephanus oder die Hinrichtung des Jakobus habe keine historische Basis. Vielmehr habe es sich vermutlich um „spontane Lynchjustiz, resultierend aus innerjüdischen Gruppenstreitigkeiten zwischen einer liberalen und einer konservativen Lesart des jüdischen Gesetzes“ gehandelt.

„Judentum ist mehr als Altes Testament“

Beim anschließenden Podiumsgespräch verwiesen die Judaisten Günter Stemberger und Gerhard Langer zudem darauf, dass mit einer verkürzten Wahrnehmung des Judentums in der christlichen Theologie aufgeräumt werden müsse: Das Judentum speise sich aus wesentlich mehr Quellen als aus den alttestamentlichen Schriften. Nur wenn man die vielen anderen Quellen hinzuziehe, werde sichtbar, dass Altes und Neues Testament eben nicht nahtlos ineinander übergingen. „Es gab keine punktuelle Trennung, sondern eine Pendelbewegung über Jahrhunderte hinweg“, sagte Stemberger.

Jerusalem
Jerusalem

Eine historisch genaue Rekonstruktion unter Berücksichtigung möglichst vieler Quellen bleibe dann auch für den christlich-jüdischen Dialog nicht folgenlos, zeigten sich die Diskutanten überzeugt. Von einem „dringend notwendigen Paradigmenwechsel“ in der christlichen Wahrnehmung des Judentums sprach etwa der Religionspädagoge und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Martin Jäggle. Und der evangelische Bibelwissenschaftler Markus Öhler ergänzte, dass nun weitere Schritte zur Verbreitung der Forschungsergebnisse gerade unter Theologinnen und Theologen sowie unter Priestern und Predigern notwendig seien.

Auch bei der Betrachtung neutestamentlicher, „auf uns heute antijüdisch wirkender Stellen“ etwa im Johannesevangelium oder in paulinischen Briefen könne eine dem Buch entlehnte genaue Relecture der historischen Quellen und Diskussionen der Zeit zu einem differenzierteren Blick beitragen - freilich ohne tatsächliche Antijudaismen auf diese Weise zu relativieren, so Stemberger.

(kap – sk)

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30. November 2022, 12:09