Bischof Meier: „Barometer für die Menschenrechte“
DOMRADIO.DE: Dass die katholische Kirche gerade den 26. Dezember als Gebetstag für verfolgte Christinnen und Christen begeht, ist natürlich kein Zufall.
Bertram Meier (Bischof von Augsburg und Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz): Auf keinen Fall ist das Zufall. Denn der zweite Weihnachtsfeiertag steht bereits unter dem Zeichen des ersten Märtyrers, nämlich des heiligen Stephanus. Und hier merken wir, dass Krippe und Kreuz aus demselben Holz geschnitzt sind.
Deshalb ist es gut, dass dieser zweite Weihnachtstag, der Stephanustag der Solidarität mit bedrängten und verfolgten Christen gewidmet ist.
Das ist er im Übrigen jetzt zum zehnten Mal, denn seit 2012 wird dieser Gebetstag am Fest des heiligen Stephanus in Deutschland begangen. Nicht nur mit zentralen Veranstaltungen – das soll auch gar nicht sein – , sondern flächendeckend in möglichst vielen Kirchengemeinden.
Gefährlichste Orte für Christen
DOMRADIO.DE: In verschiedenen Teilen der Welt werden Kirchen, christliche Gemeinschaften und einzelne Gläubige bedrängt und verfolgt. Wo ist es heutzutage am gefährlichsten für Christen und was sind die Motive dahinter?
Meier: Zunächst einmal müssen wir hier den ganzen Globus durchgehen. Ich möchte auch noch einmal an Katar erinnern, unlängst Austragungsort der Fußballweltmeisterschaft. Da ging es auch ganz stark um Menschenrechte. Aber das Herz der Menschenrechte ist die Religionsfreiheit. Wir wissen, dass es vor allem für Christinnen und Christen, die ihren Glauben bekennen wollen oder die gar vom Islam zum Christentum konvertieren, gefährlich oder zumindest diskriminierend ist. Manchmal kann sogar eine schwere Gefängnis- oder gar die Todesstrafe drohen. Also, das ist mal ein Fokus.
Aber ich glaube, wir müssen hier in diesem, wie ich es immer gerne nenne, Erstreckungsbegriff von Bedrängung und Verfolgung verschiedenste Themenfelder unterscheiden. Da haben wir zunächst religionsfeindliche politische Systeme. Dort, wo sichtbare Erfolge in der Zurückdrängung des Religiösen ausbleiben, versuchen Machthaber, die Religionen zu spalten. Denken wir zum Beispiel an China oder Vietnam.
Denunzierung von Religionen als Fremdkörper
Dann gibt es ein zweites Themenfeld: Denunzierung von Religionen als Fremdkörper, ein nationales Religionserbe etwa wird proklamiert und vor angeblich fremden beziehungsweise ausländischen Religionsgemeinschaften zu schützen versucht. Denken wir zum Beispiel an den Hindu-Nationalismus in Indien oder die Ausgrenzung der muslimischen Bürgerinnen und Bürger im mehrheitlich buddhistischen Myanmar, das, wenn Sie daran denken, vor fünf Jahren in der Krise 2017 gipfelte. Dann kennen wir soziale Ausgrenzung aus der Gesellschaft, etwa in Indonesien oder in Pakistan durch sogenannte Blasphemie-Gesetze, aber auch terroristische Vereinigungen wie Islamischer Staat oder Al Kaida in Ländern des Nahen Ostens sowie Boko Haram etwa in der Sahelzone.
Es gibt christlich motiviertes Engagement für gerechtere und bessere Lebensbedingungen. Hier müssen wir weit weg gehen, etwa in Länder in Lateinamerika, in denen christlich motiviertes Engagement für die Bergpredigt und damit für Gerechtigkeit und bessere Lebensbedingungen zugunsten von armen Menschen auch mit Repressalien belegt werden können. Jüngstes Beispiel ist Nicaragua. Das kennen wir auch.
Christen am meisten verfolgt
Langer Rede kurzer Sinn: Von der Diskriminierung, Ausgrenzung bis hin zur Verfolgung und Bedrängnis, ist es ein dehnbarer Begriff, unter dem sich sehr viel subsumieren lässt. Eines steht fest, dass die Christen auf dem ganzen Globus die Religionsgemeinschaft sind, die am meisten verfolgt werden ohne andere Gruppierungen, andere Religionen hiermit relativieren zu wollen.
DOMRADIO.DE: Was zeigt das denn über den Zustand der Welt, dass Mitglieder einer Religionsgemeinschaft teils so erbittert verfolgt werden?
Meier: Es ist ja so, dass ich den Weltkirchen-Bischof nicht nur von meinem Schreibtisch in Augsburg aus mache und hin und wieder von den Bonner Referentinnen und Referenten bestens gebrieft werde. Sondern ich bin auch viel auf Reisen, auf Solidaritätsreisen. Ich empfange auch Gäste.
Und da meine ich, dass das Thema Religionsfreiheit nicht nur Lobbyarbeit für uns als katholische Kirche ist, sondern die Religionsfreiheit ist das Herz der Menschenrechte. Sie ist im Übrigen auch reziprok zu sehen, nicht nur für uns Christen.
Deshalb glaube ich, wenn Religionen und vor allem Mitglieder der Religionen ihren Glauben nicht mehr praktizieren können, negativ wie positiv, dann ist dies ein Barometer, wie es um die Menschenrechte insgesamt steht.
Auch wenn Papst Johannes Paul II. gerne vom 21. Jahrhundert als dem Jahrhundert der Religionen gesprochen hat, er hat auch immer wieder davor gewarnt, dass Religionen durchaus das Potenzial haben, zu radikalisieren oder gar extrem zu werden. Da müssen wir uns auch wehren.
DOMRADIO.DE: Jetzt rufen Sie von der Deutschen Bischofskonferenz dazu auf, am Gedenktag des heiligen Stephanus für diese verfolgten Christen zu beten. Warum ist das so wichtig?
Meier: Weltkirche ist immer eine Solidargemeinschaft. Solidargemeinschaft bedeutet, dass wir das, was wir einbringen können, auch für andere Schwesterkirchen und nichtchristliche Religionsgemeinschaften investieren können.
Deshalb verstehen wir die Religionsfreiheit nicht nur als Schutzrecht für bestimmte Religionen, etwa für uns Christen. Im Gegenteil, in dieser Logik universaler Freiheitsrechte gilt unser Engagement der Glaubens- und Gewissensfreiheit für alle Menschen.
Wir wollen uns nicht in andere Religionen einmischen, aber wir wollen dafür beten und uns auch – soweit das möglich ist – dafür engagieren, dass die Religionsfreiheit auf dem ganzen Globus wieder zunimmt.
DOMRADIO.DE: Was können wir über das Gebet hinaus tun? Wie können wir unsere Solidarität zeigen und uns dafür engagieren?
Meier: Wir müssen vor allem Netzwerker sein, uns nicht nur in die Kirchen zurückziehen, sondern Knotenpunkte schaffen, etwa mit Vertreterinnen und Vertretern der politischen Szene. Es gibt zum Beispiel auch auf Bundesebene den sogenannten Stephanuskreis, der sich sehr für die Religionsfreiheit engagiert.
Ich selbst bin mit Frank Schwabe verbunden, der der Beauftragte unserer Ampelkoalition für die Religionsfreiheit ist. Sicher, in seiner Auffassung hat er die etwas eng geführte Sicht geweitet vom Christlichen her auf alle Religionsgemeinschaften. Mit ihm habe ich schon mehrere Gespräche geführt, mit ihm bin ich in Kontakt. Ich glaube, wir brauchen Bundesgenossen. Wir brauchen eine Koalition aller Willigen, die sich über die Tagespolitik und über ökonomische, politische Krisen hinaus für die Religionsfreiheit aller einsetzen. Denn – noch einmal gesagt – für mich ist die Religionsfreiheit das Herz aller Menschenrechte.
Das Interview führte Hilde Regeniter vom Kölner Domradio.
(domradio – pr)
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