Das Thema Kirchensteuern ist wieder Thema des politischen Diskurses in Deutschland Das Thema Kirchensteuern ist wieder Thema des politischen Diskurses in Deutschland  (ANSA)

D: Pro und Contra Kirchensteuer – viele Argumente, viele Irrtümer

In den deutschen Medien wird aktuell - wieder einmal - über die Kirchensteuer diskutiert. Anlass ist eine jüngst veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur dpa. Dieser repräsentativen Umfrage zufolge sind etwa drei Viertel der Befragten der Auffassung, dass das Erheben von Kirchensteuern nicht mehr zeitgemäß sei. 13 Prozent sind dafür, dass es Kirchensteuern gibt. Hierzu unser Kollege Michael Hermann im Gespräch mit Radia Vatikan.

Michael Hermann: Wie auch nicht anders zu erwarten, werden die Daten der Meinungsforscher mit der Legitimationskrise der Kirchen in Deutschland in Verbindung gebracht, mit den aktuellen Zahlen zum Kirchenaustritt. Wir wissen ja, dass die Kirchensteuer auch ein Grund ist, aus den Kirchen auszutreten. In manchen Kommentaren wird diskutiert, welche Folgen ein Aus der Kirchensteuer in Deutschland auf die Finanzierung von Wohlfahrtspflege, von Kindergärten bis Krankenhäuser, hätte. Und einige Journalisten blicken auch in die europäische Nachbarschaft und fragen, wie dort die Arbeit von Kirchen und Religionsgemeinschaften finanziert wird. Mir fällt insgesamt auf, dass da auch einige Irrtümer und Missverständnisse auftauchen.

Radio Vatikan: Welche Irrtümer und Missverständnisse meinen Sie denn da?

Michael Hermann: Beispielsweise wird es mitunter so dargestellt, also ob es sich bei den Kirchensteuern um ein Privileg der katholischen und evangelischen Kirche handeln würde, eine Art Querfinanzierung vom Staat zu diesen. Dazu muss man aber eigentlich wissen, dass Kirchensteuern von jeder Religionsgemeinschaft erhoben werden dürfen, die Körperschaft des öffentlichen Rechts sind. Das sind viel mehr als die beiden großen Kirchen. Und man muss auch wissen, dass die Erhebung von Steuern durch die Kirchen in Zusammenhang mit den großen Einnahmeverlusten durch die Enteignungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt worden ist. Säkularisation ist das Stichwort. Es ist also keine staatliche Steuer, keine Querfinanzierung, sondern eine besondere Form, wie Mitgliedsbeiträge erhoben werden. Diese Dienstleistung lässt sich der Staat übrigens von den Kirchen auch bezahlen.

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Radio Vatikan: Welche Konsequenzen hätte es, wenn es Kirchensteuern nicht mehr gäbe?

Michael Hermann: Dann müssten sich die Kirchen und Religionsgemeinschaften, die ihre Steuern durch den Staat erheben lassen, etwas anderes einfallen lassen, wie sie an die Beiträge ihrer Mitglieder kommen.  Wenn die Kirchensteuern ersatzlos wegfallen würden, dann wäre dies ein riesiges Problem für die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Ein gewaltiges Loch in den Kassen würde sich auftun. Denn Kirchensteuern machen einen erheblichen Anteil an den Einnahmen insgesamt aus. Sie haben es vorhin angesprochen: In den Medien wird gerade viel über die möglichen Konsequenzen auf soziale Dienstleistungen von Kirche gesprochen. Diese werden unabhängig von den Kirchensteuern zu einem erheblichen Teil durch Transferzahlungen von Staat, Kommunen, Trägern der Sozialversicherung finanziert. Aber auch die Kirchensteuereinnahmen helfen mit, diese Arbeit machen zu können. Das wird mitunter auch nicht ganz richtig dargestellt.

Radio Vatikan: Wie entwickeln sich denn die Kirchensteuereinnahmen in Deutschland?

Michael Hermann: Das mag vielleicht zunächst überraschen: Trotz der zahlreichen Kirchenaustritte sind die Einnahmen in der Summe relativ stabil. Das hat mit den steigenden Nettolöhnen und auch der Progression bei den Steuersätzen zu tun. Inflationsbereinigt sieht das nicht mehr so schön für die beiden großen Kirchen aus.

Radio Vatikan: Gibt es die Debatte auch in anderen europäischen Ländern?

Michael Hermann: Die Einnahme eines Zwangsbeitrags bei den Kirchenmitgliedern ist insgesamt in Europa die Ausnahme. In den meisten Ländern erheben die Kirchen selbst die Mitgliedsbeiträge bei ihren Gläubigen. Oft sind sie auf freiwillige Spenden angewiesen. In Italien gibt es eine Besonderheit: Hier entscheidet jeder Steuerpflichtige selbst, wohin ein, allerdings sehr kleiner, Teil seiner Einkommenssteuer fließt. Die Kirche konkurriert hier in Italien auch mit weltanschaulich neutralen Institutionen.

Michael Hermann ist deutscher Staatskirchenrechtler und beschäftigt sich seit Jahren mit religionsverfassungsrechtlichen Fragestellungen.

(rv – mch)

 

 

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17. Juli 2023, 14:01