D: „Meet a Jew“
Das erfuhr das Kölner Domradio jetzt bei einem Interview mit Mascha Schmerling , der Koordinatorin von „Meet a Jew“. Das Projekt existiert seit 2020 und ist aus zwei ähnlichen Projekten hervorgegangen, die sich zusammengeschlossen haben. Die Idee hinter dem Projekt: Jüdisches Leben in Deutschland durch die Begegnung mit jüdischen Gläubigen kennenlernen, nicht abstrakt, sondern konkret. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt in Schulen, Universitäten und Sportvereinen, aber auch Begegnungen in anderen Einrichtungen wie einer JVA hat es schon gegeben.
Interview
Seit 2020 organisiert der Zentralrat der Juden in Deutschland das Projekt „Meet a Jew“. Wie funktioniert es?
„Bei ‚Meet a Jew‘ machen über 500 jüdische Ehrenamtliche ab 14 Jahren mit. Sie gehen zu zweit in Begegnungen an Schulen, in Sportvereinen, an Universitäten, in Kirchengruppen, in Gruppen der Erwachsenenbildung etc. und erzählen in einem lockeren Gespräch, in einem Stuhlkreis aus ihrem Alltag. Was bedeutet es heute überhaupt, jüdisch zu sein? Welche Themen beschäftigen sie? Und vor allem beantworten sie auch alle möglichen Fragen der Gruppen. Wir sagen auch ganz bewusst: Man darf alle Fragen stellen bei ‚Meet a Jew‘, das ist uns ganz wichtig. Uns geht es um den Dialog, um den Austausch auf Augenhöhe. Und darum, dass nichtjüdische Menschen überhaupt Jüdinnen und Juden persönlich kennenlernen und sich mit ihnen austauschen können.“
Wie haben die Hamas-Angriffe vom 7. Oktober Ihre Arbeit verändert?
„Das war natürlich auch für unser Projekt erst einmal ein großer Schock, weil natürlich auch unsere Ehrenamtlichen als Jüdinnen und Juden und Menschen, die vielleicht selbst Freunde und Verwandte in Israel haben, betroffen sind. Wir mussten uns erst einmal sortieren und besprechen, wie wir weitermachen können. Es ist uns sehr wichtig, weiterzumachen. Wir haben dann auch beschlossen, dass wir auf jeden Fall weitermachen wollen in der aktuellen Situation. Aber wir haben auch beschlossen, dass wir jetzt noch genauer hinschauen, in welche Gruppen wir gehen und was sind die gegenseitigen Erwartungen sind. So dass es für alle Seiten wirklich eine gewinnbringende Begegnung, eine gute Begegnung wird.“
Sie erleben, dass die Nachfrage nach Ihren ‚Meet a Jew‘-Begegnungen aktuell noch größer geworden ist…
„Tatsächlich ist es so, dass wir im Moment sehr viele Anfragen bekommen, noch deutlich mehr als ohnehin schon in dieser Jahreszeit. Denn im November und Dezember wird unser Angebot in der Regel stark nachgefragt. Und in der aktuellen Lage jetzt eben umso mehr. Das zeigt, dass die Menschen, die sich engagieren wollen – wofür wir sehr dankbar sind – also Lehrkräfte vor allem, nach Möglichkeiten suchen, wie sie mit der aktuellen Situation umgehen können. Und da wenden sie sich häufig an uns.“
Ihre Aufgabe ist es, Präventionsarbeit zu leisten. Wie ist das dann, wenn Sie jetzt angefragt werden, um sozusagen Feuer zu löschen?
„Ich glaube, das ist eine strukturelle Herausforderung. Wir sind ein Projekt, das in erster Linie jüdisches Leben in Deutschland vorstellt und versucht, damit auch Vorurteilen vorzubeugen und aufzuklären. Wir sind kein Projekt, das intervenieren kann. Das heißt, wenn jetzt in einer Klasse aufgrund des aktuellen Krieges die Stimmung sehr aufgeheizt ist, dann können wir nicht, wie Sie sagen, Feuer löschen und ganz detailliert über den Konflikt reden oder ihn gar lösen. Das wäre schön, wenn wir das in einer Doppelstunde in der Schule hinbekommen könnten. Das ist nicht der Ansatz unseres Projekts. Nichtsdestotrotz versuchen wir dann natürlich, an andere Projekte zu vermitteln, an Projekte, die Interventionen machen, die sich für den jüdisch- muslimischen Dialog engagieren. zum Beispiel machen. Wir schauen, was die Schulen in der aktuellen Situation brauchen.“
Was erzählen denn die Ehrenamtlichen, die jetzt in die Begegnungen gehen?
„Das aktuelle Aufflammen im Nahostkonflikt ist natürlich Thema. Das wird angesprochen und das darf es bei uns auch. Es ist uns sehr wichtig, dass nichts ausgeklammert wird, weil wir ein authentisches, ehrliches Gespräch wollen. Wir machen aber auch gleichzeitig deutlich, dass Jüdinnen und Juden nicht gleich Repräsentanten der Politik eines Staates sind, also in dem Fall des Staates Israel. Und dass auch nicht alle Jüdinnen und Juden Experten sind für die Nahostpolitik.
Wir vermitteln, dass es wichtig ist, zu differenzieren. Genauso wie sich ja auch nicht alle muslimischen Menschen mit allen Konflikten auskennen, die in muslimisch oder arabisch geprägten Regionen stattfinden und nicht automatisch jeder von ihnen zu einem bestimmten Konflikt Stellung beziehen kann. Gleichzeitig ist es uns wichtig, dass wir natürlich an einer friedlichen Lösung für alle Seiten interessiert sind und dass uns menschliches Leid, egal auf welcher Seite, sehr nahe geht. Und schließlich, dass wir uns mit unserem Projekt für den Dialog einsetzen und dafür, dass dieser Konflikt nicht auch noch in deutschen Klassenzimmern in der deutschen Gesellschaft ausgetragen wird und zu noch mehr Hass führt.“
Inwieweit lassen sich in einem Klima aufgeheizter Gefühle überhaupt grundsätzliche Missverständnisse klären und Fake News zurechtrücken?
„In der Bildungspolitik sind wir manchmal gefühlt schon fast an der Abfahrt ‚Prävention‘ vorbeigefahren. Wir haben es viele Jahre versäumt, Bildungsarbeit zum Nahostkonflikt zu machen, der schließlich viele Schülerinnen und Schüler beschäftigt. Aber auch im Bereich Medienbildung: Wie checke ich meine Quellen? Wie erkenne ich, ob es sich um eine seriöse Quelle handelt?
Jugendliche sind im Moment ganz vielen ungefilterten Informationen über TikTok oder andere Social-Media-Kanäle ausgesetzt. Es braucht Menschen, die das mit ihnen gemeinsam einordnen, die Räume schaffen, zum Beispiel in der Schule, um das zu besprechen. Das ist gerade sehr akut und da besteht ein sehr großer Bedarf. Wir haben nicht genügend Ressourcen dafür.“
Wie optimistisch sind Sie, dass Sie mit Ihrer Arbeit wirklich etwas erreichen?
„Wir waren in den letzten vier Jahren sehr oft im Gespräch, wir haben mittlerweile über 30.000 Menschen erreicht. Und wir haben erlebt, dass, wenn wir erst einmal ins Gespräch kommen sind, die Gespräche auch gut werden. Ich werde immer wieder gefragt, wie es denn speziell mit muslimischen Gruppen läuft. Und auch da sage ich immer wieder, dass wir wirklich gute Gespräche haben, weil wir über Gemeinsamkeiten sprechen können. Und wenn wir den Raum dafür schaffen, ist das sehr positiv.
Nichtsdestotrotz sind wir uns auch bewusst, dass wir eine sehr kleine Minderheit sind. In den jüdischen Gemeinden gibt es in Deutschland um die 100.000 Mitglieder und im Projekt ‚Meet a Jew‘ machen 500 Ehrenamtliche mit, das ist sehr viel für ein jüdisches Projekt. Aber auf das ganze Land gesehen, ist das natürlich trotzdem nicht viel. Deswegen brauchen wir auch die Unterstützung der Mehrheitsgesellschaft. Aber wir brauchen andere Projekte, und es gibt auch ganz andere tolle Projekte. Es gibt ganz viele nicht-jüdische Menschen und auch aus der muslimischen Community, die sich gegen Antisemitismus einsetzen. Aber wir brauchen das wirklich auf einer breiteren Basis und auch nachhaltig.“
(domradio – sk)
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