Als Katholik beim Zentralrat der Juden in Deutschland...
Herr Hegeler, Sie sind Kultur- und Religionswissenschaftler, Sie sind Katholik, leben in Berlin und arbeiten beim Zentralrat der Juden in Deutschland. Sie arbeiten dort in der interreligiösen „Denkfabrik Schalom Aleikum“. Wie ist die interreligiöse Denkfabrik entstanden und was sind ihre Aufgaben?
Die „Denkfabrik Schalom Aleikum“ ist aus einem jüdisch-muslimischen Dialogprojekt, das 2019 gegründet wurde, entstanden. Die Denkfabrik wurde in der Form 2022 gegründet und ist eine Initiative des Zentralrats der Juden in Deutschland. Mit dem Wandel von einem Dialogprojekt zu einer Denkfabrik ist die Institution etwas analytischer geworden, arbeitet mehr wissenschaftlich und erforscht jüdische, muslimische und christliche Identitäten und Lebensrealitäten aktuell in verschiedenen Kontexten. Sie hat zum Ziel, gegenseitige Vorurteile und Stereotype abzubauen, Begegnungen zu schaffen und so zum Zusammenhalt der Gesellschaft beizutragen. Die Denkfabrik macht das mit verschiedenen Formaten. Das eine ist die wissenschaftliche Forschung. Wir geben zu verschiedenen Themen Bücher heraus und politische Handreichungen. Das war im letzten Jahr zum Thema „Jüdische, muslimische und christliche Lebensrealitäten in Ostdeutschland“. Dieses Jahr dreht sich das Thema um Hassrede und religiöse Identitäten im Netz. Dazu werden wir wissenschaftlich und publizistisch arbeiten. Die Denkfabrik führt außerdem Bildungsworkshops durch. Vor allem in den letzten Monaten war uns der Bildungsbereich sehr wichtig, mit jungen Erwachsenen aus dem jüdischen, muslimischen und christlichen Umfeld gemeinsam zu sprechen, gemeinsame Begegnungen zu haben, um abseits der medialen Aufmerksamkeit gemeinsam über aktuelle Thematiken und Probleme zu sprechen und sich in dieser Form einfach kennenzulernen.
Sie arbeiten als katholischer Kultur- und Religionswissenschaftler in der interreligiösen Denkfabrik. Was war Ihre Intention dort zu arbeiten?
Ich habe mich in den letzten Jahren, insbesondere in meinem Studium der Religions- und Kulturwissenschaften, sehr intensiv mit interreligiösen Beziehungen beschäftigt. Mein Fokus lag dabei auf den jüdisch-christlichen Beziehungen und in diesem Kontext war es für mich spannend, diesen Einblick in eine jüdische Institution zu bekommen. Es gibt von Rabbiner Jonathan Sacks die Aussage „The hate that begins with Jews never ends with Jews”, also „der Hass, der mit Juden beginnt, endet nicht mit ihnen“, und insofern war für mich die jüdische Gemeinschaft vor allem in Deutschland immer auch ein Lackmustest für die Stimmung in Deutschland. Sich für Juden einzusetzen, für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland, heißt auch immer, sich für andere marginalisierte Gruppen einzusetzen und für eine gute Gesellschaft, für einen starken Zusammenhalt.
Sie arbeiten in der interreligiösen „Denkfabrik Schalom Aleikum“ zusammen mit Muslimen und Juden und sind quasi die christliche Komponente der Denkfabrik. Wie ist es für Sie, dort eine christliche Perspektive zu vertreten?
Es ist wahnsinnig spannend mit Personen verschiedener Religionen und verschiedener kultureller Hintergründe zu arbeiten. Es gibt für jede Religion, für jede religiöse Strömung gewissermaßen einen Experten direkt vor Ort. Ich brauche nur ins nächste Büro zu gehen und zu fragen und habe dort meine jüdischen Kollegen, meine muslimischen Kollegen und das ist einfach sehr hilfreich. Es ist eine sehr große Vielfalt und davon leben wir und davon lebt auch unsere Arbeit und davon profitieren wir enorm in unserer Arbeit.
Der brutale Angriff der islamistischen Terrorgruppe Hamas am 7. Oktober 2023 und die anschließende Gegenoffensive Israels hatten sicher auch Auswirkungen auf die Arbeit der Denkfabrik. Können Sie uns ein bisschen erzählen, ob oder wie sich Ihre Arbeit in den letzten Monaten verändert hat?
Es war auf jeden Fall sehr intensiv in den letzten Monaten. Es war sehr viel mehr los, es gab viele Anfragen, viel zu tun in diesem Bereich. Die interreligiöse Landschaft hat sich wahnsinnig stark verändert. Der Dialog ist schwieriger geworden. Wir hätten uns von muslimischen Verbänden eine stärkere Positionierung und Solidarität gewünscht. Wir merken, dass die Stimmung in diesem Bereich sehr viel rauer geworden ist. Wir erleben, dass in Berlin – wo wir beheimatet sind als Zentralrat der Juden in Deutschland – die Stimmung eine ganz andere ist. Das betrifft auch vermehrt linke Gruppen, die sich radikalisieren und sehr stark antiisraelisch und antisemitisch äußern. Und wir sehen fast täglich die Demonstrationen in Berlin und wir sehen die Aufrufe, die es täglich gibt. Da merkt man sehr stark, dass sich die Stimmung nicht nur zu einer antiisraelischen, sondern auch insgesamt zu einer antijüdischen Stimmung geändert hat. Und das hat natürlich einen riesigen Einfluss auf unsere Arbeit in einem dialogischen und trialogischen Umfeld.
Noch eine etwas persönliche Frage zum Schluss. Sie leben als Katholik in Berlin und sind gerade in Rom – wie erleben Sie die Stadt?
Katholischsein in Berlin ist sehr, sehr anders. Katholisch sein in Berlin heißt vor allem eine diasporische Kultur zu pflegen. Also eine Kultur, in der Katholischsein gewissermaßen nicht normal ist. Es ist eine Minderheitenposition, die gleichzeitig dazu führt, dass man Katholizismus sehr stolz lebt und auch sehr bewusst lebt. Das finde ich sehr spannend im Vergleich dazu hier in Rom zu sehen. Der Katholizismus ist hier sehr viel normaler, alltäglicher. Die Personen, die man auf der Straße sieht, da gibt es viel mehr Leute hier, die mit Priesterkragen herumlaufen, es gibt ganz viele Mönche und Nonnen, die man hier öffentlich erkennbar sieht. Das gibt es so in Berlin nicht. Also diese Alltäglichkeit erlebe ich hier sehr stark und ich schätze es sehr, wie präsent diese Themen hier sind.
Vielen Dank für Ihre Zeit und weiterhin gute Arbeit für Sie im Zentralrat der Juden in Deutschland!
Vielen Dank, dass ich hier sein durfte! Es hat mich sehr gefreut und ich freue mich auf meine Zeit hier in Rom.
Die Fragen stellte Valerie Nusser.
(vatican news – vn)
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