„Top bei Missbrauchs-Prävention, schwach bei Aufarbeitung“
Der Jesuit äußerte sich am Mittwoch bei einem von der Klasnic-Kommission veranstalteten Vortrag in Wien. Als ein positives Beispiel für Aufarbeitung bewertete Zollner das Vorgehen der Kirche in Österreich. Vom Umgang mit den Fällen von Gewalt und Missbrauch hänge nicht zuletzt die Glaubwürdigkeit der Botschaft der Kirche insgesamt ab, so der Theologe und Psychologe.
Trotz aller weiter bestehenden Versäumnisse halte er die Kirche für die „größte und effizienteste Kinderschutzorganisation der Welt“, sagte Zollner, der sich seit 2012 an der Päpstlichen Universität Gregoriana dem Thema kirchlicher Missbrauch widmet und dort auch ein wissenschaftliches Fachzentrum für Safeguarding leitet.
„Ein einziger Fall zerstört tausende Stunden Präventionsarbeit“
„Keine Institution, kein Staat, keine NGO und keine Religion oder Konfession hat so viel in Leitlinien, verpflichtende Schulungen und Ausbildungen investiert wie es die Kirche flächendeckend für ihr Personal tut, bis hin zu den Jugendleitern und ehrenamtlichen Kommunionhelfern, Tischmüttern und Firmbegleitern“, unterstrich der Experte, der Bischofskonferenzen und Kirchenmitarbeiter in aller Welt in Präventionsfragen schult.
Ganz anders verhalte es sich bei der Aufarbeitung von geschehenem Missbrauch, so sehr dieser auch oft schon Jahrzehnte zurückliege. „Ein einziger Fall, schlechtes Kommunizieren oder die Unfähigkeit, öffentlich auf Krisen und Skandale zu reagieren, zerstört tausende Stunden Präventionsarbeit wieder. Das demotiviert und demoralisiert die in diesem Bereich Tätigen, führt aber besonders dazu, dass die Glaubwürdigkeit der Kirche insgesamt leidet“, so Zollner.
Wenn die Botschaft nicht mehr ankommt
Als noch schlimmer als den Ansehens- und Vertrauensverlust der Kirche als Institution oder der Priester erachte er dabei, „dass unsere Botschaft bei den Gläubigen dann nicht mehr ankommt“, stehe doch Missbrauch den Prinzipien und dem Gottesbild des Christentums diametral entgegen.
Fast immer komme die Aufarbeitung in der Kirche zu spät, so Zollners langjährige Erfahrung in der Beratung von Bischofskonferenzen weltweit. Statt das Thema „rechtzeitig aufzugreifen, bevor es explodiert“ - etwa durch Maßnahmen, Schulungen des Personals und Bemühen um Gerechtigkeit für Betroffene -, hätten die Ortskirchen weltweit abgewartet und gehofft, das Thema werde an ihren vorbeigehen. Das sei aber nirgendwo der Fall, „alle werden vom Missbrauch eingeholt, und wenn der Skandal hochkommt, sind alle wie gelähmt, sind mut- und perspektivlos und geraten in Streit untereinander“, so der Jesuit.
Eine „gefährliche Illusion“
Als „vorbildlich“ lobte Zollner den 2010 von der Kirche in Österreich eingeschlagenen Weg. Mit der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft (Klasnic-Kommission), den diözesanen Ombudsstellen und Kommissionen sei eine Struktur geschaffen worden, um Missbrauchs-Betroffenen eine Anlaufstelle und Gehör zu bieten und ihr Leid anzuerkennen. Zollner hob hervor, dass es im Unterschied zu den meisten anderen Ländern gelungen sei, neben den Diözesen auch die Ordensgemeinschaften voll einzubinden.
Es sei allerdings eine „gefährliche Illusion“ anzunehmen, damit habe der Missbrauch in seinen vielen Variationen ein Ende gefunden. Die Gefahr bleibe trotz aller Prävention präsent, in der Kirche und in anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen. Auf vulnerable Gruppen - außer Kinder und Jugendliche auch Kranke, Behinderte, Bewohner von Pflegeheimen oder Menschen auf der Flucht - seien davon besonders betroffen, wofür es noch an Bewusstsein fehle.
Safeguarding als Ziel
Für die weitere Behandlung des Missbrauchs-Themas in der Kirche warb Zollner mit Nachdruck für den Begriff des „Safeguardings“, welcher der sich stellenden Aufgabe am ehesten gerecht werde. Mehr noch als bloß um Konzepte gegen Missbrauch gehe es dabei um das „Schaffen von Gutem“ durch eine von Wachsamkeit, Respekt und Transparenz geprägte Grundhaltung.
„Wir müssen Menschen Sicherheit geben, durch Beziehungen, Räume und Abläufe, auf die man sich verlassen kann. Personen an bestimmten Positionen müssen ihre Aufgabe erfüllen.“ Nicht bloß auf die Existenz von Leitlinien und Normen, sondern auf die Umsetzung komme es an, wobei Zollner auch in der Kirche die Einführung von Kontrollmechanismen dafür als „Aufgabe noch über viele Jahre“ bezeichnete.
„Integraler Teil aller kirchlichen Aktivitäten“
Wichtig sei vor allem, Safeguarding nicht als Exklusivaufgabe von Bischöfen oder damit beauftragten Spezialisten zu sehen, sondern als „integralen Teil aller kirchlichen Aktivitäten“, von Seelsorge und Bildungsbereich bis hin zur Administration, betonte Zollner, der hier von einer „prophetischen Aufgabe“ sprach. „Safeguarding gehört zur Sendung der Kirche und aller, die ihr angehören. Solange wir das nicht verstehen und ein anderes Kirchensein mit Achtung von der Würde jedes Einzelnen entwickeln, bleibt unser systemischer Mangel bestehen.“
Auch die Stimme der Betroffenen gelte es zu hören und neue niederschwellige, auch spirituelle Angebote und Formen der Begleitung für „Menschen, die verwundet sind“ zu entwickeln. Dabei sah Zollner nicht zuletzt die Ordensgemeinschaften gefragt.
(kap – sk)
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