„Jugend Eine Welt“: Lieferkettengesetz wichtiger Meilenstein
Christine Seuss - Vatikanstadt
Radio Vatikan: Herr Heiserer, das EU-Parlament hat am Mittwoch dem Lieferkettengesetz zugestimmt. Dieses Gesetz verpflichtet nach Inkrafttreten europäische Unternehmen dazu, Menschenrechts- und Umweltstandards in ihren Lieferketten einzuhalten und zu überprüfen. Wie haben Sie als Geschäftsführer von „Jugend Eine Welt” diese Nachricht aufgenommen?
Reinhard Heiserer (Geschäftsführer „Jugend Eine Welt"): Erst einmal mit Erleichterung darüber, dass es endlich so weit ist, dass jetzt diese Hürde genommen wurde, nachdem es ja in der Vergangenheit auch starke Widerstände dagegen gegeben hatte. Für uns handelt es sich dabei um einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zu gerechteren Wirtschaftsverhältnissen. Von daher: im ersten Moment Erleichterung, wenn auch mit ein paar Wermutstropfen, weil das Gesetz jetzt nicht in der ursprünglichen Schärfe ausformuliert und zur Abstimmung gebracht wurde. Aber ich glaube, es ist ein ganz wichtiger Schritt für uns hier in Europa und vor allem auch für die Menschen im globalen Süden.
Meilenstein auf dem Weg zu einer gerechteren Wirtschaft
Radio Vatikan: Es wurde ja nach dem ersten Scheitern des Gesetzes im Ständigen Ausschuss der EU-Mitgliedsstaaten, das war im Februar, nochmals „nachgebessert“. Was sind denn jetzt die wichtigsten Änderungen gegenüber dem ersten Vorschlag?
Reinhard Heiserer: Ja, Sie verwenden das Wort „nachgebessert“. Für uns ist es aber praktisch eine Verschlechterung aus Sicht der Konsumenten und der betroffenen Menschen. Weil einerseits sind die Grenzwerte oder die Zahlen der Mitarbeiter und des Umsatzes der Unternehmen, für die dieses Gesetz gültig ist, nach oben geschraubt worden. Das heißt, es sind davon jetzt weniger Unternehmen betroffen. Und da hätten wir uns natürlich gewünscht, dass dieses Thema für mehrere Unternehmen bereits jetzt gültig wäre. So haben wir Übergangszeiten und es dauert halt länger, bis wir eine größere Flächendeckung erreichen.
Radio Vatikan: Was ändert sich denn jetzt konkret in Europa für die Firmen, die am Ende betroffen sein werden?
Reinhard Heiserer: Na ja, insgesamt bedeutet es für die Firmen auf der einen Seite natürlich jetzt ein Schärfen ihres Blickes auf die Herkunft der Produkte, die sie erwerben. Das ist etwas, was mehr Aufmerksamkeit erfordert, eine Dokumentation, die notwendig ist, ein vielleicht intensiverer Kontakt mit den Konsumenten… Das ist etwas, was sich auf Seite der Produzenten oder der Importeure ändern wird. Und auf der anderen Seite liegt es natürlich jetzt für uns als Nichtregierungsoragnisationen (NGOs), die wir uns dafür einsetzen, daran, dass wir die Sache ganz stark weiter im Auge behalten, weil wahrscheinlich werden ja nicht alle Unternehmen das buchstabengetreu umsetzen. Es wird Schlupflöcher geben.
Man muss also schauen, dass es auch beim Konsumenten ankommt. Von daher ist es auf Seite der Unternehmen und der NGOs, die hier einen Blick drauf haben, sicher jetzt erst einmal ein Abtasten der Situation und wir hoffen, dass es dann mit einem entsprechenden Ehrgeiz und mit einer Geschwindigkeit vorangeht, so dass die, um die es wirklich geht, nämlich einerseits der Konsument in Österreich oder Deutschland oder Schweiz und zum anderen auch die Menschen im Globalen Süden, die oft am Beginn der Lieferkette stehen, dann auch einen Nutzen davon haben.
Weniger Gewinn, mehr Schutz von Menschenrechten
Radio Vatikan: Sie haben die Länder im Globalen Süden angesprochen, in denen ja besonders häufig Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden durch westliche Unternehmen verursacht werden, die letztlich davon profitieren. Was bedeutet dieses Lieferkettengesetz jetzt für diese Adressaten?
Reinhard Heiserer: Aus unserer Sicht bedeutet es langfristig, dass die Betroffenen am Ende des Tages gesicherte Arbeitsverhältnisse und bessere Lebensbedingungen haben. Was heißt das? Wir hoffen, dass die Preise, sprich die Gehälter, die bezahlt werden, steigen, dass die Ausbeutung zurückgeht, dass auch von außen, aus der Sicht Europas, mehr Wert daraufgelegt wird - und Wert gelegt werden muss - dass die Umweltzerstörung nicht so rasch voranschreitet. Stichwort Pestizide, Giftstoffe, die oft in Herstellungsprozessen verwendet werden. Und damit sollte auch sichergestellt sein, dass der Lebensstandard der Menschen, die für uns arbeiten, steigt und mit einem steigenden Lebensstandard auch Themen einhergehen wie Bildung für die Kinder, gesicherte Arbeit und eine Perspektive für die Zukunft, weniger Angst… also viele Dinge, die dazu beitragen, dass das Wohlbefinden nicht nur bei uns herrscht, sondern auch bei den Menschen, die für uns arbeiten. Und ich glaube, das ist ein großes Thema, das damit ja verknüpft ist.
Gleichzeitig setzt es einen Gegentrend, wo momentan ja hier in Österreich und Europa stark die Meinung herrscht, Wohlstand sichern zu müssen aufgrund der wirtschaftlichen Lage. Also, dass wir alles tun müssen, um den Wohlstand bei uns zu sichern. Und man vergisst dann sehr oft, dass dieser Wohlstand mitgeschaffen wird durch Menschen in fernen Ländern, die für uns arbeiten. Und dann sollte das Mindeste sein, dass es eine gerechte Entlohnung gibt und die Umwelt dort, wo diese Produkte hergestellt werden und diese Menschen leben müssen, geschützt wird. Deshalb glauben wir, dass dieses Lieferkettengesetz einen wichtigen Beitrag zu diesen verbesserten Lebensbedingungen leistet. Und ich sage immer, dieses Leben in Würde, das gute Leben für alle, dem kommen wir einen Schritt näher.
Vorbilder müssen gelobt werden
Radio Vatikan: Das Gesetz war ja nicht unumstritten. Es wurde auch sehr darum gerungen, unter anderem innerhalb der deutschen Regierung, auch in Österreich... Wo hakt es Ihrer Meinung nach?
Reinhard Heiserer: Allgemein gesprochen bringt die Wirtschaft – also Importeure, Produzenten, und so weiter - als Argument den erhöhten Verwaltungsaufwand, dass es gar nicht möglich sei, diese ganze Zuliefererketten zu kontrollieren. Man kann auch davon ausgehen, dass vielleicht dann ein Gewinn kleiner wird. Und vielfach glaube ich, dass in der Wirtschaft noch immer der Gedanke der Gewinnmaximierung obenan steht und ein Lieferkettengesetz oder ein Verbot von Kinderarbeit oder erhöhte Umweltauflagen sind hier kurzfristig gesehen quasi einschränkend, verhindernd... Und das ist etwas, was den Verbänden, die sich so stark dagegen eingesetzt haben, wohl zuwiderläuft.
Gleichzeitig muss man sagen, es gab ja Gott sei Dank in der Vergangenheit schon viele Unternehmen, die sich freiwillig an diese Richtlinien gehalten haben und ich glaube, die gehören gelobt und müssen erwähnt werden. Und es darf nicht sein, dass Unternehmen, die sich nicht an Umweltstandards und Menschenrechtsstandards halten, besser abschneiden als Unternehmen, die das tun. Das Lieferkettengesetz bringt jetzt einen gewissen Ausgleich und ermöglicht quasi den Kampf mit gleichen Waffen. Und das ist meiner Meinung nach ein Schritt in eine gerechtere Wirtschaft, die wir uns alle wünschen.
Kampf mit gleichen Waffen
Radio Vatikan: Formell muss das Gesetz ja noch im Rat der Europäischen Union angenommen werden. Erwarten Sie sich auf dem Weg dahin noch Probleme?
Reinhard Heiserer: Grundsätzlich nicht. Es war ja auch so, dass es bereits auf dem Weg zu der ersten Abstimmung diese Widerstände gegeben hat. Und die Gespräche und die Dialoge, die stattgefunden haben, haben, glaube ich, schon das meiste aus dem Weg geräumt. Mich persönlich würde es also sehr überraschen, wenn es jetzt zu einer Ablehnung käme. Hier in Österreich haben sich ja verschiedenste Netzwerke und Gruppen dafür eingesetzt, unter anderem das Netzwerk Soziale Verantwortung, bei dem Jugend Eine Welt vertreten ist. Sie haben Gespräche geführt, Öffentlichkeitsarbeit gemacht, die Stimmen des Globalen Südens nach Österreich gebracht und sich dafür eingesetzt, dass dieses Gesetz verabschiedet wird. Und wir gehen davon aus, dass das hier durch den Rat beschlossen wird und auch zur Anwendung kommt.
Und für uns ist das ja auch ein Punkt, der darauf aufmerksam macht, dass in der Vergangenheit die guten Produkte ausgezeichnet worden sind mit Fairtrade-Siegel und ähnlichen Gütesiegeln und dass das Lieferkettengesetz jetzt einen ganz wichtigen Beitrag dafür leistet, dass der Konsument in Österreich, in Deutschland, in Europa immer sicherer sein kann, dass die Produkte, die er erwirbt, kinderarbeitsfrei, ausbeutungsfrei und mit nachhaltigen Sozial- und Umweltstandards produziert werden. Und so ist das Lieferkettengesetz quasi ein Umkehrschritt, wo der Konsument Sicherheit bekommt und nicht in die Rechercheposition gezwungen wird. Und von daher glaube ich, dass das, wenn es jetzt abgesegnet wird, für alle Europäer und Europäerinnen ein ganz wichtiger Schritt ist, um quasi den Wohlstand, den wir genießen, auch mit ruhigem Gewissen genießen können, weil wir wissen, dass dafür mittelfristig Menschen nicht ausgebeutet werden und keine Umwelt zerstört wird.
Hintergrund
Das europäische Lieferkettengesetz wurde an diesem Mittwoch durch das EU-Parlament verabschiedet. Vorausgegangen waren intensive Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten, die letztlich zur Anhebung der Mitarbeitergrenze von 500 auf 1000 und des minimalen Umsatzes von 150 Millionen auf 450 Millionen für die Unternehmen geführt hat. So sind also weniger Unternehmen von den Regelungen betroffen, als ursprünglich vorgesehen. Innerhalb von zwei Jahren müssen die Mitgliedsstaaten die Vorgaben in nationale Gesetzgebung überführen. Die Bestimmungen werden dann schrittweise in die Praxis überführt, beginnend mit den größten Firmen. Ihnen drohen bei Verletzungen Geldstrafen von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes. Das Gesetz muss nun noch formell vom EU-Ministerrat angenommen werden.
Die österreichische Entwicklungsorganisation „Jugend Eine Welt“ ist Teil des Netzwerks Soziale Verantwortung (NeSoVe). Gemeinsam mit über 100 NGOs und Gewerkschaften aus ganz Europa mobilisierten zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften im Zug der Kampagne „Gerechtigkeit geht alle an!“ (Justice is Everybody's Business) für ein EU-Lieferkettengesetz, das Menschen- und Arbeitsrechte, die Umwelt und das Klima effektiv schützt. Gleichzeitig engagierte sich „Jugend eine Welt" auch in weiteren Bündnissen wie der Initiative „Kinderarbeit stoppen“, Österreich auf ausbeuterische Kinderarbeit im Globalen Süden aufmerksam zu machen und ein Bewusstsein für faire Lieferketten zu schaffen.
Ein Fokus der Arbeit des Hilfswerkes liegt dabei nicht nur auf dem Einsatz für den Import von nachhaltigen Produkten, sondern auch auf der Bewusstseinsbildung dafür, dass der Westen seinerseits ausrangierte Produkte wie nicht mehr voll funktionstüchtige Autos oder alte Kleidung in den Globalen Süden zurückschickt, wo sie zur Umwelt- und Luftverschmutzung beitragen und die Bemühungen, die Auswirkungen des Klimawandels abzuschwächen, maßgeblich behindern.
Weiterführende Informationen zum Thema Kinderarbeit unter www.jugendeinewelt.at/kinderarbeit
Netzwerk Soziale Verantwortung: www.nesove.at
Initiative „Kinderarbeit stoppen“: www.kinderarbeitstoppen.at
(vatican news)
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