Unser Sonntag: Gott ist erfahrbar
Sr. Anna Mirijam Kaschner
2. Sonntag der Osterzeit
Joh 20, 19-31
Liebe Schwestern und Brüder,
neulich war ich in einer Schulklasse zum Religionsunterricht. Natürlich bin ich als Ordensschwester für die Kinder schon etwas Außergewöhnliches, das sie heutzutage leider nur selten zu Gesicht bekommen. Wir sprachen über David im Alten Testament und seine Geschichte.
Plötzlich zeigt ein Mädchen auf und fragt: „Glaubst du eigentlich an Gott?“ – Ich war etwas perplex, sagte dann : „Ja, ich glaube an Gott!“ Sie überlegte kurz und sagte: „Ich nicht. Ich kann nicht an etwas glauben, das ich nicht sehen kann.“
Und das ist doch bei Gott nicht anders: Wir können ihn nicht sehen. Der 1. Johannesbrief sagt es ganz deutlich: Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht. Was wir spüren und wahrnehmen können, sind die Auswirkungen Gottes in unserem Leben und in unserer Welt.
Aber wenn ich ganz ehrlich bin: Mir reicht das manchmal nicht. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte Gott sehen oder zumindest hören – so wie wir Menschen einander hören und sehen können. Wenn Menschen mich fragen, wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass ich ins Kloster gegangen bin, dann erwarten sie manchmal genau das: Dass ich eine Erfahrung gemacht habe, in der ich Gottes Ruf ganz deutlich hören konnte, dass ich sozusagen eine Stimme gehört hatte, die mir gesagt hat, was ich tun solle. Aber so einfach ist das nicht. Ich antworte dann gerne: Wenn ich eine Stimme gehört hätte, wäre ich wohl eher zum Psychologen als ins Kloster gegangen.
Der Wunsch, Jesus zu sehen
Ich kann mir vorstellen, dass es dem Apostel Thomas genauso gegangen ist. Er wollte sich nicht damit zufrieden geben, was die anderen gesehen und gehört haben. Er wollte selbst sehen und hören und fühlen: „Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.“
Das ist harter Tobak. Kann man so mit und über Jesus sprechen? Es ist ja fast wie eine Erpressung: Wenn ich dies oder jenes nicht bekomme, dann glaube ich nicht“.
Thomas sagt was er braucht
Ich muss gestehen, ich mag diesen Thomas sehr, einfach weil er mir so ähnlich ist. Er sagt klipp und klar was er braucht, um Glauben zu können. Er hat keine Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen, zu groß ist seine Sehnsucht danach, Jesus zu sehen. – Und nicht nur zu sehen, wie die anderen, nein, er will ihn anfassen, ihn berühren. ER will sich selbst überzeugen. Und das Erstaunliche an unserem Evangelium ist: Jesus lässt sich auf diese Bedingung ein.
Ich frage mich immer wieder, wieso Jesus das tut. Wieso er sich auf diese Forderung einlässt. Vielleicht, weil Jesus weiß, dass man von etwas überzeugt sein muss, um Zeugnis geben zu können. Nur wer weiß, wovon er spricht, kann auch verkünden. Nur jemand, der selbst glaubt, kann andere Menschen zum Glauben führen.
Und das ist wohl die ernste Botschaft, die im heutigen Evangelium steckt: Es reicht nicht aus, den Glauben von anderen zu übernehmen. Man kann Glauben auch nicht aus Büchern lernen oder sich anlesen. Wir erleben dies ja heute in erschreckender Weise: die Kirchenmitgliederzahlen gehen zurück, das Glaubenswissen verblasst. Seit 1986 ist laut einer Allensbachumfrage von 2021 der Glaube der Kirchenmitglieder an die Auferstehung Jesu in Westdeutschland von 38 auf 24 Prozent gefallen.
Der Glaube an Jesus Christus ist also nicht ein Führ-wahr-halten von Dingen, die man uns erzählt. Jeder und jede von uns muss in seinem Leben einmal die Erfahrung des Thomas gemacht haben – eine Begegnung mit Jesus Christus, die Erfahrung, dass er Jesus Christus „berühren“ konnte und vom IHM „berührt“ worden ist.
Gott wirklich bitten...
Eine solche Begegnung können wir nicht selbst machen. Wir können Gott aber bitten, sie uns zu schenken. Ich kann mich daran erinnern, dass ich vor vielen Jahren, als ich mich erstmals ganz ernsthaft mit dem Thema Glauben beschäftigt habe, täglich ein Gebet gesprochen habe: „Gott, wenn es dich gibt, dann lass mich dich erfahren, dann zeig mir, dass es dich gibt!“ Und glauben Sie mir, Gott lässt sich auf so ein Gebet ein. Er hat mir in der darauffolgenden Zeit immer wieder „Zeichen“ geschickt, Menschen, mit denen ich gesprochen habe, Bibelstellen, die mir plötzlich zu Herzen gingen, ein Wort im Gottesdienst, das mich getroffen hat. Ein solches Gebet, aus einer echten Sehnsucht heraus gesprochen, wird Gott nicht unbeantwortet lassen.
Etwas für die Sinne: Weihwasser und Kreuzzeichen
Und noch ein anderer Gedanke: In Kopenhagen arbeite ich mit Konvertiten und Taufkandidaten. Und eines, was diese Menschen oft über die katholische Kirche sagen, ist: Bei euch gibt es so viele Gesten und Symbole die nicht nur den Kopf ansprechen, sondern, die auch die Sinne ansprechen, Weihrauch z.B. oder das Kreuzzeichen mit Weihwasser am Eingang der Kirche.
Diese Nicht-katholiken spüren manchmal auch eine ganz intensive Gegenwart Gottes, wenn sie in eine katholische Kirche kommen.
Gott macht sich erfahrbar
Ein junger Mann erzählte mir, er sei auf der Suche nach einem ruhigen Ort, um nachdenken zu können, zufällig in einer katholischen Kirche gelandet sei. Dort fand gerade eine stille Anbetung statt und das Allerheiligste war ausgesetzt auf dem Altar. Dieser junge Mann setzte sich still in die letzte Bank und schloss die Augen. Er erzählte, dass er in diesem Augenblick eine so intensive Gegenwart und Nähe gespürt hätte, die ihn im innersten berührt habe. Es sei ein Gefühl gewesen, als sei er von Liebe und Wärme erfüllt und zugleich umhüllt. Als er nach einer Zeit die Augen wieder öffnete und auf die Uhr schaute, waren zwei Stunden vergangen. Weil Gott eben Gott ist, und keinen Leib hat wie wir, hat er auch viele Möglichkeiten, sich erfahrbar zu machen.
Wenn ich – wie Thomas – eine direkte Berührung mit Jesus brauche, um meinen Glauben erneut zu bekräftigen und zu festigen, dann gibt es für mich nichts Schöneres als das Sakrament der Eucharistie und das Sakrament der Versöhnung. Hier findet doch direkte Begegnung mit Jesus Christus statt. Wenn ich die Eucharistie empfange, dann kann ich gleichsam „hören“, wie Jesus auch zu mir sagt, was er den Aposteln gesagt hat: „Fasst mich doch an!“. Und in der Kommunion kommt Jesus mir so nah, wie mir kein Mensch jemals nah sein kann. Er kommt in mich hinein und durchdringt meinen ganzen Leib.
Jesus ist gegenwärtig
Wenn ich in einem persönlichen Beichtgespräch die Absolution erhalte und dies vielleicht sogar unter Handauflegung durch den Priester geschieht, dann kann ich wirklich spüren, wie Jesus gegenwärtig ist, mich berührt und mir zusagt: Deine Sünden sind dir vergeben.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir sollen Jesu Zeugen sein und ihn den Schwestern und Brüdern verkünden. Dazu müssen wir jedoch selbst über-zeugt sein. Wenn unser eigener Glaube schwächelt, wenn wir in der Dunkelheit sind, dann brauchen wir – wie Thomas – die Vergewisserung der Nähe Jesu. Beten wir darum, dass ER unseren Glauben stärken möge: Mein Herr und mein Gott – ich glaube, hilf meinem Unglauben.
(radio vatikan - claudia kaminski)
Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.