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Gedenken an die Opfer der Messer-Attacke in Solingen Gedenken an die Opfer der Messer-Attacke in Solingen  (ANSA)

Pfarrer von Solingen: Schock sitzt tief - Verarbeitung beginnt

Nach dem Attentat blicken auch die Kirchen in Solingen auf ein ungewöhnliches Wochenende zurück. Es sei geprägt gewesen von Fassungslosigkeit und tiefer Trauer, aber auch von starker Nachfrage und enormen Herausforderungen, berichtete der katholische leitende Pfarrer Michael Mohr. Der ökumenische Trauergottesdienst in der evangelischen Stadtkirche am Sonntag war so voll, dass die Sitzplätze nicht ausreichten.

Direkt nach der Bluttat vom Freitagabend seien zunächst Notfall- und Polizeiseelsorge stark gefragt gewesen, sagte Pfarrer Mohr der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Am Samstag dann habe man die Kirchen geöffnet, um den Menschen einen Raum zu geben zum Innehalten und Trauern, aber auch um zu beten oder eine Kerze anzuzünden. Außerdem, so Mohr, habe er mit Superintendentin Ilka Werner vom evangelischen Kirchenkreis Solingen den eigentlich zum Stadtfest geplanten ökumenischen Gottesdienst für Sonntag neu konzipiert als Gedenk- und Trauergottesdienst.

Kirche gefragt in Ausnahmesituationen

Weiter berichtete der Stadtdechant, er sei überrascht gewesen von der Anfrage an die Kirchen, auch die offizielle stille Gedenkfeier am Samstagabend zu leiten. Werner und er hätten dies aber gerne gemacht und als Zeichen dafür interpretiert, dass die Kirchen in solchen Ausnahmesituationen wichtige Aufgaben erfüllen könnten - für gläubige Christen, aber auch für Angehörige anderer Religionen und nicht-gläubige Menschen.

„Worte zu finden ist da fast unmöglich, doch auch Kerzen und andere stille Gesten können helfen“

„Die Stadt ist nicht mehr dieselbe", hatte Mohr bei der weitgehend stillen Gedenkveranstaltung gesagt: „Worte zu finden ist da fast unmöglich, doch auch Kerzen und andere stille Gesten können helfen." Der Versuch, das Unsagbare sichtbar zu machen, sei sehr gut angenommen worden: „Viele Menschen haben mir hinterher gesagt, es habe ihnen gut getan."Die Atmosphäre am Samstagabend sei sehr stark von Trauer und Ungewissheit geprägt gewesen. Am Sonntag nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters sei schon ein wenig Beruhigung und Erleichterung zu spüren gewesen, berichtete der Geistliche.

Trauergottesdienst übervoll

Der Gottesdienst in der übervollen Kirche sei sehr berührend gewesen. Auch hier hätten sich Superintendentin Werner, Pfarrerin Friederike Höroldt und er bemüht, nicht zu viele Worte zu verlieren: „Wir wollten Raum geben für Lieder von Trauer und Hoffnung, für Stille, Kerzen, Gedanken und Gebete." Und wie geht es weiter in Solingen? „Der Schock sitzt tief, doch ganz langsam beginnen die Menschen, ihn zu verarbeiten", beschreibt Mohr die Stimmung. „Bei vielen - auch bei mir - kommt das Ganze jetzt erst so richtig an, wenn ein wenig Ruhe einkehrt. Und wenn jetzt der Alltag wieder losgeht, wird das sicher nicht leicht."

Rund 500 Menschen waren in die evangelische Stadtkirche in Solingen gekommen, um zu trauern und für die Angehörigen der Anschlagsopfer zu beten. Etliche mussten stehen, weil im Saal kein Platz mehr war, berichtet das Kölner Domradio.

„Wir spüren unsere Hilflosigkeit und unsere Ohnmacht. Unser Vertrauen ist erschüttert", sagte demnach die Pfarrerin der Stadtkirche, Friederike Höroldt, bei der Begrüßung. Sie rang sichtlich um Worte. Im Gebet richtete sie sich an Gott: „Wir legen dir das zu Füßen, was uns belastet und bewegt". Es folgte eine kurze Stille. 

„Wir legen dir das zu Füßen, was uns belastet und bewegt“

In ihrer Predigt bezog sich Superintendentin Dr. Ilka Werner auf den Brudermord Abels im Alten Testament. „Mensch, wo bist du?" und „Mensch, wo ist dein Bruder?" seien die ersten Fragen gewesen, die Gott gestellt hat. Auch in den vergangenen zwei Tagen hätten sich die Bürger in der Stadt in Folge der schrecklichen Messerattacke nach dem Wohlergehen ihrer Angehörigen erkundigt. 

Nun komme die Frage hinzu: „Gott, wo bist du?" Der Kummer, die Trauer, das Entsetzen seien zu groß. Zwar sei es schwer auszuhalten, keine Antworten zu bekommen. Dennoch warnte Werner vor einfachen Lösungen. Dazu sei die Situation zu vertrackt. 

Des Weiteren betonte die Superintendentin, dass Gott den Menschen auch heute noch suche: „in Solingen in unserer Not und Fassungslosigkeit". Er sei auch im Leid der Angehörigen. Werner lud die Gläubigen ein, ihre Verzweiflung „Gott vor die Füße zu kippen". 

Kirchenchor rührt zu Tränen

Ein berührender Moment war das Vortragsstück „Prayer for the City". Das Lied hatte der Chor noch am gleichen Morgen eingeübt und sang es mehrstimmig von der Empore, begleitet von Klaviermusik. Darin heißt es unter anderem: „We pray for the city we live in. We pray for our children. We pray for our leaders. We pray for our families". Viele Besucher wirkten zutiefst bewegt. Später berichtete eine der Chorsängerinnen: „Das haben wir mit viel Herzblut, Kloß in der Stimme und Tränen in den Augen gesungen."  Während der Fürbitten wurden Kerzen angezündet und auf den Altar gestellt, „als Zeichen des stillen Gebets so vieler Menschen und als Licht, das trotz allem in der Welt ist", erklärte Stadtdechant Michael Mohr. Das Gebet schloss die Familien und Freunde der Getöteten ein, die Einsatzkräfte und alle, „bei denen sich die Bilder dieses Abends tief in die Seelen gegraben haben", so Höroldt.

„Als von Hoffnung und Zuversicht die Rede war, die Sonne durch die Kirchenfenster schien. Das war wie ein Zeichen“

Zusammenhalt und Gemeinschaften wichtig

Die reduzierte Liturgie und der Andachtscharakter kamen bei den Besuchern offensichtlich gut an. „Ich fand den Gottesdienst sehr bewegend", berichtet die 45-jährige Lena N., die sonntags regelmäßig in die Kirche geht. Eine andere Frau pflichtet ihr bei: „Als von Hoffnung und Zuversicht die Rede war, die Sonne durch die Kirchenfenster schien. Das war wie ein Zeichen".

Der Gottesdienst fand weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, um einen Moment der Stille und des Einkehrens zu ermöglichen. Viele Menschen kamen in Schwarz. Im Anschluss gab es Gelegenheit, mit einem Seelsorger zu sprechen. 

Sorge vor gesellschaftlicher Spaltung 

„Es war würdig, dass man der Trauer Raum geben konnte. Man merkt das tiefe Trauma, das in dieser Stadt vorhanden ist", sagte Thorsten Latzel, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, der mit seiner Frau ebenfalls zum Gottesdienst gekommen war, dem Domradio. Gemeinschaft könne helfen, dieses Trauma zu verarbeiten: „Es ist wichtig, dass wir zusammenstehen und zeigen, welche Werte uns wichtig sind".

„Wichtig, dass wir zusammenstehen und zeigen, welche Werte uns wichtig sind“

Ähnlich äußerte sich Vorsitzende des Solinger Katholikenrats Dr. Ulrike Spengler-Reffgen: „Ich habe große Sorge vor einer Spaltung in unserer Stadt, dass bestimmte politische Kreise sehr einfache Lösungen suchen und alle, die einen Migrationshintergrund haben, über einen Kamm geschert werden. Wir wollen ein friedliches Zusammenleben in dieser Stadt - mit allen, egal woher sie kommen."

(domradio/kna - sst)

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26. August 2024, 09:37