Unser Sonntag: Jesus suchen
Prof. Dr. Dr. Peter Beer
18. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Joh 6,24-35
Es ist ein kleines, auf den ersten Blick nahezu unscheinbares Wort im heutigen Evangelium, das sich dort versteckt. Man kann es leicht übersehen und einfach darüber hinweglesen.
Aber lassen wir uns davon nicht täuschen. Es ist gerade in unseren Tagen ein wichtiges, ein bedeutungsvolles Wort. Ich meine das Wörtchen „suchen“.
Wir sind auf der Suche
Suchbewegungen gibt es auf Grund der Umstände zurzeit viele. Menschen suchen angesichts des Krieges und der gewaltsamen Auseinandersetzungen in und um den Gazastreifen nach Frieden und Gerechtigkeit. Sie suchen angesichts von unterschiedlichen Migrationsbewegungen und den damit verbundenen Herausforderungen nach Sicherheit und Stabilität. Sie suchen angesichts eines vielfältigen und immer schneller vonstattengehenden gesellschaftlichen Wandels nach Orientierung und Beständigkeit. Sie suchen im ganz großen Maßstab nach der Zukunft der Menschheit im Blick auf einen kaum aufzuhaltenden Klimawechsel und die Herausforderungen künstlicher Intelligenz. Überall Fragen, überall die Suche nach Antworten.
Kann es da einen wirklich verwundern, wenn es auch innerhalb der Kirche, innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden Suchbewegungen gibt? Vor dem Hintegrund einer sich stark verändernden Welt zerbrechen auch in Glaubensdingen alte Gewissheiten, verschwinden Stück für Stück lange gepflegte Traditionen, gelingt die Glaubensweitergabe an die junge Generation immer schwerer, verstehen viele nicht mehr das, was als Glaubensgut der Kirche gilt, wenden sich davon ab, haben kein Interesse mehr daran.
Hat Jesus den Menschen von heute noch etwas zu sagen?
Wie damit umgehen? Wie dem eigenen Sendungsauftrag nachkommen und die frohe Botschaft Jesu vom anbrechenden Reich Gottes in unserer Zeit weitertragen? Die Verunsicherung ist allenthalben groß und manchmal stellt sich sogar die Frage: Hat dieser Jesus den Menschen von heute überhaupt noch etwas zu sagen und wenn ja, was? Wo ist er in dieser schweren Zeit, wo er doch gesagt hat, dass er bei seiner Kirche bleiben wird bis an das Ende der Tage?
Im Grunde befinden wir uns in einer ähnlichen Lage wie die Menschen im heutigen Evangelium: als die Menschen sahen – oder zumindest glaubten –, dass Jesus nicht da war, suchten sie ihn. Interessant ist, was dann passiert. Die Menschen finden Jesus, aber er hält ihnen gleich den Spiegel vor Augen. Direkt auf den Kopf zu sagt er es ihnen: „Amen, amen, ich sage euch: Ihr sucht mich, weil ihr von den Broten gegessen habt und satt geworden seid.”
Den Menschen geht es um die Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse
Jesus scheint sich bewusst zu sein, den Menschen geht es eigentlich gar nicht um ihn, sondern um die Deckung ihrer Bedarfe, die Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse. Fast könnte man denken, Jesus ist damit auch klar, dass, weil es eben nicht um ihn geht, die Menschen auch jeder anderen x-beliebigen Person hinterherlaufen würden. Hauptsache sie bekommen das, was sie gerade wollen.
Die Einsicht, dass es auch heutzutage bei der augenscheinlichen Suche nach Jesus nicht immer um ihn selbst geht, sondern oftmals um etwas ganz anderes, dürfte nicht ganz neu sein.
Als Beispiel lässt sich hier so einiges anführen: der Besuch des Gottesdienstes, weil es halt schon immer so war, aber ohne größere innere persönliche Beteiligung; das Betreten einer Kirche, weil dort schöne Musik angeboten wird, aber ohne die Bereitschaft über Gott, seine Offenbarung, sein Wort nachdenken zu wollen; das Gespräch und der Austausch mit Kirchenvertretern, weil man auf der Suche nach einer interessanten ehrenamtlichen Freizeitbeschäftigung ist, ohne das Thema Glauben auch nur ansprechen zu wollen. Oder noch ein anderes, nicht weniger eindrückliches Beispiel: selbst formulierte Fürbitten in Gottesdiensten, die mehr an einen Wunschzettel und an genaue Handlungsanweisungen für Gott zur Durchsetzung eigener sehr weltlicher Interessen erinnern, als an ein vertrauensvolles sich Hinwenden an Gott Vater durch Jesus Christus seinen Sohn. Hier wie bei den anderen Beispielen, spielt Jesus und die Frage, wer er eigentlich ist, wo er ist und wie er ist – im Moment jedenfalls – so gut wie keine, oder zumindest nur eine untergeordnete Rolle.
Suche nach Christus
Es versteht sich von selbst. Man sollte alleine schon im Wissen um eigene Schwächen und blinde Flecken eine gewisse Zurückhaltung üben in der Be- oder Verurteilung des Verhaltens anderer und somit auch deren Verhältnis zur Frage, wer Jesus Christus ist. Aber das ist auch hier nicht das Thema. Thema ist nicht ein Urteilen, sondern die Suche nach Jesus Christus und damit das Bedürfnis, ihm nahe zu sein, lebendig zu halten. Schauen wir daher nochmals auf das, was Jesus über sich selbst sagt, wer und was er ist, wie er wirkt.
Es geht nicht um "nice to have", sondern um "must"
Im heutigen Evangelium bezeichnet er sich als wahres Brot vom Himmel. Brot ist ein Grundnahrungsmittel, ist etwas Basales, Grundlegendes. Hier geht es nicht um ein „nice to have“, sondern um ein absolutes „must“. Insofern ist es nur schlüssig, wenn Jesus davon spricht, dass dieses wahre Brot vom Himmel, also er, der Welt das Leben gibt. Es geht dabei aber nicht nur um ein bloßes vor sich hinvegetieren oder vor sich hinleben, sondern um ein Leben, das das Alltägliche, Innerweltliche übersteigt und neue Dimensionen für dieses Leben eröffnet.
Stabile Basis für die Wechselfälle des Lebens
Es geht, wie Jesus im heutigen Evangelium sagt, um das ewige Leben. Dieses Brot des Himmels, er selbst, er ist eine Speise, die für das ewige Leben bleibt. Eine Speise stärkt, gibt Energie und Kraft, um sich den täglichen Herausforderungen stellen zu können. Jesus Christus gibt uns diese Energie, wenn wir uns sein Sprechen und Tun zu eigen machen. Sein Reden über Gottvater offenbart uns – nicht zuletzt beglaubigt durch sein heilendes Tun – das, was die Welt im Innersten zusammenhält, woher wir kommen und wohin wir gehen. Im glaubenden Vertrauen darauf erhalten wir Orientierung und eine stabile Basis für die Wechselfälle des Lebens.
Jesu Sieg über den Tod gibt uns Hoffnung und Perspektive über unser eigenes Sterben hinaus. Dies stärkt uns angesichts so mancher angstmachender Situation und vielfältiger Bedrohungen. Jesu Liebesgebot, das den Fremden und sogar den Feind miteinschließt und dessen Erfüllung er selbst so eindrücklich vorgelebt hat, zeigt uns, wo und was unsere Heimat ist, nämlich die Gemeinschaft der Menschen untereinander sowie diejenige der Menschen mit Gott.
Blicken wir nochmals kurz zurück. Jesus Christus als wahres Brot vom Himmel, als Speise, die für das ewige Leben bleibt, als Speise, die der Welt das Leben gibt, schenkt uns also Glaube, Hoffnung und Liebe. Dies entbindet uns nicht davon, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen, das uns Mögliche und von uns Geforderte selbst zu tun.
Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern
Dies lässt nicht einfach wie durch Zauberhand alles Schwierige, Belastende, Bedrückende, Angstmachende und Kraftzehrende verschwinden. Aber es hilft uns, dass wir uns dem stellen können, weil unsere Basis, auf der sich unser Leben abspielt, zuverlässig und nachhaltig ist. Insofern ist auch diese Aussage von Jesus im heutigen Evangelium nachvollziehbar: „Wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“.
Jesus zu suchen und ihn zu finden, zu Jesus zu kommen und an ihn zu glauben, scheint nicht ganz einfach zu sein. Es ist jedenfalls nicht einfach mal so nebenher zu erledigen. Die Menge im heutigen Evangelium muss das erst lernen. Jesus biedert sich dieser Menge nicht an. Es kommt ihm nicht darauf an, ob er gut ankommt und ob den Leuten das in den Kram passt, was er sagt.
Jesus bezieht klar Stellung
Jesus fährt alleine mit dem Boot ab; er bewegt sich frei, genau so, wie er frei spricht. Er übt Kritik, wo er sie für angebracht hält, und bezieht klar Stellung gegenüber denen, die ihn aufsuchen. Dabei wird im heutigen Evangelium auch zugleich deutlich, wie Jesus gefunden und verstanden werden kann. Es ist das Gespräch mit ihm und das der Menschen untereinander. Für jede und jeden uns Heutiger bedeutet dies, dass wir genau dieses Gespräch suchen sollten: im Gebet, im Bedenken der Heiligen Schrift, im Hören auf die Tradition der Kirche, in der Feier des Gottesdienstes, in der Beschäftigung mit den Gedanken, Überlegungen, Anliegen und Ideen derer, die ebenfalls auf der Suche sind nach diesem Jesus.
Hierbei geht es dann nicht darum, wer sich durchsetzt, wer recht hat, wer schlauer ist – es geht nur darum, ihn zu finden, ihn Jesus Christus unseren Herrn und Bruder. Genau hier setzt dann das ein, was wir unter einer synodalen Kirche verstehen können. Gemeinsam auf der Suche nach ihm, Jesus Christus, tragen alle dazu bei, dass niemand nur in seinen eigenen Vorstellungen stecken bleibt, dass der Blick auf Jesus Christus geschärft und die Nähe zu ihm größer wird. Aus der gemeinsam gewonnenen größeren Nähe zu ihm versucht man gemeinsam zu ergründen, was dies alles für das konkrete Leben in den verschiedenen Zeitläuften unter unterschiedlichen Bedingungen bedeuten mag. Es ist eine dauerhafte Aufgabe und es ist eine schöne Aufgabe. Wir stellen uns ihr gemeinsam mit Jesus Christus, mit ihm, der uns verheißen hat, dass er bei uns sein wird bis zum Ende der Tage.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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