Unser Sonntag: Schüler sein!?
Prof. Dr. Dr. Peter Beer
19. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
Joh 6,41-51
Es ist schon ein eigenartiges Kunstwerk, dieses Wort „murren“. Das, was es bedeuten soll, das, was es beschreibt, bringt es lautmalerisch zum Ausdruck. Es ist ein nicht ganz verständliches Grummeln, eine mehr oder weniger stille Unmutsäußerung, deren Worte undeutlich zwischen den Lippen heraus tröpfeln.
Wer murrt, hat schlechte Stimmung, hat eine abwartend-abwehrende Haltung eingenommen, ohne sich zunächst auf eine offene Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber einzulassen. Murren ist der passive Protest gegen etwas, das einem nicht passt. Und auf jeden Fall ist es das Gegenteil von dem, was man mit den Adjektiven kooperativ, freudig, zustimmend, unterstützend, offen beschreiben könnte.
Murren ist passiver Protest
Genau dieses Murren steht gleich am Anfang des heutigen Evangeliums. Es ist das Vorzeichen für die Begegnung zwischen den Menschen und Jesus. Sie können und wollen nicht akzeptieren, dass sich in diesem Menschen Jesus etwas anderes zeigt als der Sohn Josefs, dessen Eltern sie kennen. Es ist schon etwas mehr als bloße Skepsis, wenn sie fragen „Wie kann er jetzt sagen: ich bin vom Himmel herabgekommen?“ Jesus erscheint ihnen als zu wenig spektakulär, zu wenig besonders, zu wenig exotisch, als dass sich durch ihn und mit ihm und in ihm Gott offenbart, als dass er Gottes Sohn ist.
Der allmächtige Gott als Mensch wie Du und ich, als Mensch von nebenan, als jemand konkretes, ansprechbares? Nein, das kann doch nicht sein! Dieser Gott muss sich schon anders, ganz anders zeigen – größer, mächtiger, mit Engelscharen, Posaunenklängen, in grellem Licht, unnahbar. Und jetzt – nur ein Brötchen?
Zugegeben, diese letzte Frage war jetzt ein bisschen polemisch. Aber sie bringt das auf den Punkt, um was es hier geht. Es treffen zwei völlig unterschiedliche Gottesbilder aufeinander. Auf der einen Seite jenes, der im heutigen Evangelium auftretenden Menschen, das des unnahbaren, geheimnisvollen, herrschaftlichen Gottes.
Jesus ist das Brot des Lebens
Auf der anderen Seite das von Jesus: der inkarnierte, der menschgewordene Gott, der sein Leben mit den Menschen teilt, ihnen nahe ist, sich zum Heil der Menschen an diese verschenkt. Dieses Gottesbild findet seinen Ausdruck in der Rede Jesu vom Brot des Lebens, mit dem er sich identifiziert. Er ist das Brot, das Leben schenkt, nicht irgendeines, sondern das ewige Leben. Es ist ewig, weil es auf der Liebe Gottes zu den Menschen gründet, die nicht vergeht. Es ist ewig, weil Gott dieses Leben und diese Liebe ist.
Ein solches Gottesbild kann anstrengend sein
Ein solches Gottesbild kann für die Menschen anstrengend sein. Es ist eine Absage an Selbstsucht, Selbstdarstellung, Wichtigteuerei und Machtstreben genauso wie an Lethargie, Gleichgültigkeit und Belanglosigkeit. Wer sich vor dem Hintergrund des Gottesbildes Jesu als gläubig verstehen will, der kann nicht anders, als das von Gott geschenkte Leben nach dessen Grundprinzip der Liebe zu Gott und seinen Nächsten zu leben – und das heißt unter anderem zum Beispiel Verantwortung zu übernehmen, Position zu beziehen, aufeinander zu achten. Ob die Menschen im heutigen Evangelium vielleicht deshalb murren, weil sie ahnen, was das Gottesbild, das Jesus verkörpert, bedeutet?
Alle müssen Schüler Gottes sein
Wir wissen es nicht mit Sicherheit, aber eines ist klar. Um sich dem nähern zu können, was Jesus verkörpert, um es verstehen und seiner Bedeutung nach erfassen zu können, gibt es eine wesentliche Voraussetzung, auf die Jesus im heutigen Evangelium selbst hinweist: Alle müssen Schüler Gottes sein. Zum Schüler sein gehören einige zentrale Merkmale: die Bereitschaft sich von anderen etwas sagen zu lassen; das Vertrauen in jemanden, um ihn oder sie als Modell und Vorbild für das eigene Handeln zu nehmen; die Freude an der Entdeckung von Neuem; die Offenheit für Veränderung und Wachstum; die Anerkenntnis der eigenen Begrenzungen, die man überwinden kann; die Akzeptanz gegenüber kritisch-konstruktiver Begleitung; die Energie zum Nachfragen und – wer wüßte es nicht – zum Durchhalten, wenn es einmal schwierig wird und man trotz noch so großer Anstrengung beim Lernen nicht so richtig weiterkommt.
Schülerdasein ist kräftefordernd
Die Liste der Merkmale eines Schülers, einer Schülerin ließe sich wahrscheinlich noch eine Zeitlang weiterführen. Die bisherigen Hinweise reichen aber eigentlich, um eines deutlich zu machen. Schüler und Schülerin zu sein, heißt nicht, nur da zu sitzen, sich etwas anzuhören und es dann einfach 1:1 wiederzugeben oder besser gesagt wiederzukäuen. Das Schüler- und Schülerinsein ist etwas aktives, kräfteforderndes. Was das wohl für eine Schülerschaft im Blick auf Gott bedeuten mag? Geht das überhaupt? Oder ist das zu kräftefordernd? Übersteigt das die Möglichkeiten des Menschen, Schüler Gottes zu sein?
Angesichts der Größe und Unendlichkeit Gottes in gewisser Weise wahrscheinlich ja. Nicht umsonst sagt Jesus im heutigen Evangeliumstext: „Niemand kann zu mir kommen, wenn nicht der Vater, der mich gesandt hat, ihn zieht.“ Doch was heißt das? Wie zieht der Vater? Um sich selbst nicht untreu zu werden, wird es nicht anders gehen, als dass dieses sein Tun, dieses Ziehen seinem Wesen entspricht. Wenn Gott Liebe ist, dann geht es gar nicht anders, als dass dieses Ziehen liebevoll geschieht. Es ist kein Zerren und es ist kein Reißen. Es ist eher ein Überzeugen- und Gewinnenwollen in der direkten und konkreten Hinwendung des Vaters zu seinen Kindern. Folgt man dem heutigen Evangelium, dann zeichnen sich zwei Weisen ab, wie dies möglich ist.
Gott geht den Menschen immer wieder nach
Zum einen sagt Jesus, „jeder der auf den Vater hört und seine Lehre annimmt, wird zu mir kommen“. Im Grunde hebt Jesus damit darauf ab, wie Gott sich bisher in der Geschichte mit den Menschen offenbart hat. Immer wieder ist Gott den Menschen nachgegangen, hat diesen verziehen, wenn sie sich von ihm abgewandt haben und hat ihnen immer wieder neu Zukunft eröffnet. Diese Grundbewegung in der Geschichte Gottes mit den Menschen findet in Jesus seinen Höhepunkt. Das, was sich schon vorher an Liebe Gottes zu den Menschen abgezeichnet hat, wird mit Jesus unüberbietbar deutlich. Man muss nur einen Blick in die Geschichte werfen, den von Gott gespurten Pfaden des Heils nachgehen, das dahinterliegende Muster und die Zusammenhänge erkennen und es ist klar. Alles läuft auf Jesus zu und auf das, was mit ihm über Gott ausgedrückt wird.
Die Nähe Jesu zum Vater
Zum anderen sagt Jesus im heutigen Evangelium: „niemand hat den Vater gesehen außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen.” Jesus hebt damit auf seine außerordentliche Nähe zu Gott Vater ab. Durch ihn, durch Jesus Christus, kann man ihm in besonderer Weise nahe sein. Aber wie es halt hier auf Erden nun einmal so ist: wenn man jemanden nicht nur kennen und verstehen lernen möchte, sondern dieser Person auch im Sinne eines Gleichklangs der Seelen nahe sein und ein Gespür für sie haben möchte, dann muss man zumindest zu einem gewissen Maße das Leben miteinander teilen.
Gott zieht uns
Da braucht es das gemeinsame Aufeinanderhören, das Teilen von lebensentscheidenden Ereignissen, das Miteinander-auf-dem-Weg-Sein, die Erfahrungen des Angenommenseins und der Zuverlässigkeit. Dies alles und mehr bietet Jesus seiner Jüngerschaft und letztlich auch uns vermittelt durch Tradition, Schrift und Sakramente an. Wenn wir uns auf ihn einlassen, dann wird auch das Verständnis und das Empfinden dafür, wer Christus und damit letztlich Gott ist, immer grösser, immer tiefer.
Also: Gott zieht uns, zieht uns zu sich und zu Jesus Christus. Er zeigt sich uns als der, der er ist. Liebend, sich den Menschen schenkend und Gemeinschaft stiftend. Vor diesem Hintergrund wird dann auch klar, dass es nicht egal ist, welchem Gottesbild wir anhängen, welchem Gottesbild wir vertrauen und uns und unser Leben danach ausrichten. Es geht um das Hier und Jetzt. Es geht aber auch und vor allem um das ewige Leben.
(radio vatikan - redaktion claudia kaminski)
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