Erinnerungsfeier in Südisrael zum Jahrestag des Hamas-Anschlags Erinnerungsfeier in Südisrael zum Jahrestag des Hamas-Anschlags  (AFP or licensors)

Dialog trotz Krise: Wie Juden und Muslime für Verständigung kämpfen

Ein Jahr danach: Der Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hat das interreligiöse Klima weltweit belastet, auch in Deutschland. Ahmad Mansour und Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, zeigen in ihrem neuen Buch „Spannungsfelder: Leben in Deutschland“, dass der Dialog zwischen Juden und Muslimen dennoch möglich ist – auch unter schwierigsten Bedingungen. Unsere Kollegen vom Domradio sprachen mit Mansour darüber.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Welt für viele Menschen verändert. Der brutale Anschlag der Hamas auf Israel hat nicht nur den Nahostkonflikt neu entfacht, sondern auch weltweit interreligiöse Beziehungen erschüttert. Besonders in Deutschland, wo die Zahl antisemitischer Straftaten seitdem sprunghaft gestiegen ist, sind die Spannungen spürbar. Doch der arabische Israeli Ahmad Mansour und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, zeigen in ihrem neuen Buch, dass ein Dialog zwischen Juden und Muslimen auch in Zeiten größter Krise möglich ist.

Zum Nachhören - was Mansour im Gespräch mit dem Domradio sagt

„Ich habe mich für die Menschlichkeit, gegen Terror und für ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern entschieden. Ich stehe dazu, aber tagtäglich begegnen mir Menschen, die mir vorschreiben wollen, was ich zu denken habe.“

Ahmad Mansour ist ein Mann, der beide Welten kennt. Als in Israel geborener Araber mit palästinensischem Hintergrund hat er den Nahostkonflikt hautnah miterlebt. Seine Jugend war geprägt von Vorurteilen und Feindbildern, die durch die Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern tief in der Gesellschaft verankert waren. Doch für Mansour ist es heute nicht die Vergangenheit, die zählt, sondern die Zukunft: „Ich habe mich für die Menschlichkeit, gegen Terror und für ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden und Palästinensern entschieden. Ich stehe dazu, aber tagtäglich begegnen mir Menschen, die mir vorschreiben wollen, was ich zu denken habe“, erzählt Mansour in einem Interview mit dem Kölner Domradio. Seine Überzeugung, dass nur durch Dialog und gegenseitiges Verständnis Frieden möglich ist, hat ihn zu einem der prominentesten Stimmen im interreligiösen Austausch gemacht.

Ein Jahr nach dem Hamas-Anschlag... Gedenkfeier in Paris
Ein Jahr nach dem Hamas-Anschlag... Gedenkfeier in Paris

„Spannungsfelder“ 

Josef Schuster, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, teilt diese Überzeugung. Zusammen mit Mansour und der Publizistin Shelly Kupferberg hat er an „Spannungsfelder“ gearbeitet, einem Buch, das ursprünglich den Schwerpunkt auf das Zusammenleben von Juden und Muslimen in Deutschland legen sollte. Doch der Anschlag im Oktober 2023 hat den Fokus der Autoren verschoben. „Dieser 7. Oktober hat unser beider Leben massiv verändert“, sagt Mansour. „Auf beiden Seiten gibt es Trauer, Verunsicherung und Angst. Und so ergeht es vielen Menschen, egal ob sie Muslime, Juden, Israelis, Deutsche oder Palästinenser sind.“

„Auf beiden Seiten gibt es Trauer, Verunsicherung und Angst.“

Die Lage ist angespannt. Vor allem Mansour spürt die Konsequenzen, die das öffentliche Eintreten für einen friedlichen Dialog mit sich bringt. Als Kritiker des politischen Islam lebt er seit Jahren unter Personenschutz. Doch seit dem Anschlag ist die Bedrohung für ihn noch größer geworden. „Ich lebe tagtäglich mit der Angst um mein Leben und das meiner Familie“, berichtet er offen. „Das ist etwas, was mich massiv überfordert, weil ich solche Zustände in Deutschland nicht für möglich gehalten hätte.“ Mansour erzählt, dass der kollektive Druck innerhalb der muslimischen Gemeinschaft nach dem Anschlag enorm gewachsen sei: „Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 ist es den Menschen fast unmöglich, eine persönliche individuelle Haltung zu entwickeln. Es werden Meinungen vorgegeben, von Menschen, die glauben, die Situation der Palästinenser besser zu kennen als wir selbst.“

Keine einfachen Antworten

Trotz dieser Herausforderungen setzen Mansour und Schuster auf Dialog, auch wenn dieser oft schwierig ist. Das Buch „Spannungsfelder“ will keine einfachen Antworten geben. Es beleuchtet die vielfältigen Spannungen, denen Muslime und Juden in Deutschland ausgesetzt sind, und zeigt, dass Verständigung nur durch das Aufbrechen von Feindbildern möglich ist. Beide Autoren fordern eine intensivere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, nicht nur in Bezug auf den Holocaust, sondern auch im Hinblick auf die Gründung des Staates Israel und die damit einhergehenden Konflikte. Schuster betont: „Es geht nicht nur um die Vergangenheit, sondern auch um die Verantwortung für die Zukunft unserer Demokratie - und die betrifft alle.“

„In Tel Aviv zu studieren und dem 'Feind' tagtäglich zu begegnen, hat dazu geführt, dass ich tagtäglich herausgefordert war, mich und meine Vorurteile in Frage zu stellen.“

Für Mansour war es vor allem die persönliche Begegnung mit Israelis, die ihn zum Umdenken bewegte. Als junger Mann hatte er sich in seinem Heimatdorf in Israel der antijüdischen Propaganda angeschlossen, sogar den Muslimbrüdern. Doch als er nach Tel Aviv zog, begann sich sein Bild zu wandeln: „In Tel Aviv zu studieren und dem 'Feind' tagtäglich zu begegnen, hat dazu geführt, dass ich tagtäglich herausgefordert war, mich und meine Vorurteile in Frage zu stellen“, berichtet er. Die Begegnungen und der Austausch mit Juden führten dazu, dass Mansour einen neuen Weg einschlug – einen Weg, der geprägt ist von Empathie und dem Willen, Brücken zu bauen, anstatt Mauern zu errichten.

Das Buch „Spannungsfelder“ ist ein Plädoyer für den Dialog und eine Einladung an alle, die sich auf das Abenteuer Verständigung einlassen wollen. Denn eines steht für Mansour und Schuster fest: Frieden ist nur möglich, wenn man bereit ist, den anderen zu hören und gemeinsam neue Wege zu beschreiten – auch in Zeiten größter Krise.

(domradio - mg)

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07. Oktober 2024, 10:42