Kardinal Müller würdigt Gutierrez: Ganz großer Theologe

Kardinal Gerhard Ludwig Müller kannte Gustavo Gutierrez persönlich gut. Er würdigt den verstorbenen Befreiungstheologen in einem Statement für Radio Vatikan.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller

Es ist auch ein persönlicher Verlust, wenn man auch persönlich miteinander so verbunden war.  Natürlich meine ich nicht Verlust in dem Sinn, dass wir keine Hoffnung haben. Wir wissen ja, dass wir bleibend verbunden sind, dass auch unsere irdischen Tage gezählt sind. Es überwiegt doch auch das Gefühl der Dankbarkeit, dass Gott ihn uns geschenkt hat und dass er jetzt auch weiterhin zu uns spricht - auch dann durch die Bücher, die er verfasst hat. Einige auch gemeinsam mit mir.

„Gefühl der Dankbarkeit, dass Gott ihn uns geschenkt hat“

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Bücher und betende Verbindung

Es gibt auch dies bleibende Bewusstsein der betenden Verbindung, das Sorgen für die Kirche, für die Menschen. Man nennt ihn ja zu Recht auch den Vater der Theologie der Befreiung. Bei ihm ist es ja so, dass er ein Theologe sein wollte und nicht ein Soziologe. Wenn er aber auf die politischen sozialen Verhältnisse reagiert und die theologische Frage ist ja, wie kann man von der Liebe Gottes sprechen, in Jesus Christus und gleichzeitig auch dann dieses Elend Und die Not des Volkes gerade in Lateinamerika in seinem Kontext dann sehen? Und wie können wir darauf auch reagieren? Jetzt nur mit Hilfe für die einzelnen Menschen im karitativen Sinn ? Oder geht es auch darum, die politischen und sozialen Verhältnisse so zu verändern und zu verbessern, dass die Menschen auch in Würde leben können?

Kardinal Müller im Interview mit Stefan von Kempis von Radio Vatikan (Archivbild)
Kardinal Müller im Interview mit Stefan von Kempis von Radio Vatikan (Archivbild)

„Dass die Soziallehre der Kirche noch einmal einen großen Anstoß erhalten hat, dass die Theologie im Sinne des Zweiten Vatikanums nun auch auf die Welt von heute angewendet wird, dafür können wir Gustavo Gutierrez sehr dankbar sein“

 

Es geht nicht um die Armut in einem romantischen Sinn des einfachen Lebens, sondern um die Armut, die die Menschen in Elend treibt, sodass sie nicht menschenwürdig leben können. Wir sind ja geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes - das nennt man dann auch die Würde des Menschen, dass wir eben genug zu essen und zu trinken haben, dass wir uns kleiden können, dass die Eltern ihre Kinder erziehen können, sie an eine Schule schicken können, dass die Heranwachsenden eine Berufsausbildung machen können oder ein Universitätsstudium absolvieren können, um dann als wertvolle Glieder der Gemeinschaft ihren Beitrag zu leisten im Aufbau der Gesellschaft, des kulturellen Lebens, des politischen Lebens. Dass sie daran auch teilhaben können, dass die Gesellschaft nicht einfach so geteilt ist in ein paar wenige, die das Geld haben, das Sagen haben, und die anderen, die nur als Objekte beurteilt werden. Das ist ja mit unserem christlichen Verständnis, mit unserer Soziallehre,der Kirche nicht vereinbar. Und in diesem Sinn hat Gustavo Gutierrez mit vielen anderen dann auch gewirkt. Das hat dann Auswirkungen gehabt auf die ganze Kirche, dass die Soziallehre der Kirche jetzt noch einmal einen großen Anstoß erhalten hat, dass die Theologie im Sinne des Zweiten Vatikanums nun auch auf die Welt von heute angewendet wird. Und dafür können wir Gustavo Gutierrez sehr dankbar sein.

„Ganz großer Theologe, auch in seiner Spiritualität ein gläubiger Mensch, ein vorbildlicher Christ, der in das Gedächtnis der Kirche eingeht“

Persönliche Erinnerungen 

Ich habe ihn auch persönlich sehr gut gekannt. 1988, zum ersten Mal, waren wir in Peru, in Lima, im von ihm gegründeten Institut Bartolomé de Las Casas. Da haben wir mit Theologen aus Deutschland und Österreich ein Seminar zusammen gehalten, um auch das zu vertiefen, was er in seiner Schrift „Theologie der Befreiung" - das ist sozusagen das Grundlagen-Buch - geschrieben hat, um das nun auch für unseren mehr europäischen Hintergrund verständlicher und zugänglicher zu machen. Seither hat sich ein freundschaftliches Verhältnis gebildet. Wir haben uns oft getroffen, in Lima oder an anderen Orten Perus, auch hier dann in Rom. Er war auch bei mir in Deutschland, in Regensburg. Er ist extra gekommen zur Bischofsweihe. Im Laufe der Zeit haben wir auch drei Bücher gemeinsam geschrieben, eins sogar mit einem Vorwort des Heiligen Vaters, Papst Franziskus.

„Er war auch bei mir in Deutschland, in Regensburg. Er ist extra gekommen zur Bischofsweihe“

Müller vermittelte Treffen mit Papst Franziskus

Durch meine Vermittlung ist dann auch gelungen, dass Papst Franziskus ihn empfangen hat und auch dann seinen großen Beitrag positiv gewürdigt hat. Das darf man auch keineswegs im Gegensatz sehen zum damaligen Kardinal Ratzinger und späteren Papst Benedikt XVI. Denn es ist ja auch früher nie bezweifelt worden, dass er rechtgläubig ist, sondern es gab eben einige Fragen zur Theologie der Befreiung, die Gustavo Gutierrez in späteren Veröffentlichungen dann auch geklärt hat. Das bezog sich ja nicht jetzt auf das Evangelium selbst, sondern auf die Analyse der Gesellschaft, die anfänglich ja hauptsächlich nur mit soziologischen Mitteln, auch mithilfe der der Marxistischen Gesellschaftsanalyse vollzogen worden ist, die aber dann später vertieft worden ist und die anthropologische als auch die die christliche Sicht in die Beschreibung des Menschen einbezogen worden ist. Was ist die Sünde? Die Sünde hat natürlich auch eine soziale Komponente, aber natürlich ist sie nicht nur eine Struktur, sondern sie hat auch etwas mit der Person, mit der individuellen Verantwortung des Menschen zu tun.

Fragen geklärt

Diese Dinge sind auch geklärt worden, so dass dann auch bei Papst Benedikt  von seiner Seite aus alle Bedenken überwunden worden sind - so dass Gustavo Gutierrez jetzt wirklich auch als ein ganz großer Theologe, aber auch in seiner Spiritualität als ein gläubiger Mensch, als ein vorbildlicher Christ, in das Gedächtnis der Kirche eingeht.

Das Statement holte Christine Seuss für Vatican News ein

(vatican news - cs/sst)

 

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23. Oktober 2024, 14:58