Papstreise nach Myanmar ist „auch Botschaft an China"
Anne Preckel - Vatikanstadt
Diese Minderheitenpolitik ist dem Militär ein Dorn im Auge
Pater Cervellera erläutert die Gemengelage in der Region Rakhine im Westen Myanmars. Was sich vordergründig als religiös-ethnischer Konflikt abbildet, habe tatsächlich mit politischen und wirtschaftlichen Interessen zu tun, so der Asien-Experte.
Myanmars Staatsrätin und De Facto-Regierungschefin Aung hatte angekündigt, Vorschläge der Vereinten Nationen zur Befriedung und Entwicklung des Krisen-Teilstaates umsetzen zu wollen, der infolge der brutalen Vertreibungen der muslimischen Rohingya derzeit international in den Schlagzeilen ist. Diese Pläne seien Myanmars mächtiger Parallelregierung ein Dorn im Auge, so Cervellera: Dem Militär, das Grenzen, Handel und Wirtschaft kontrolliert.
„Die Minderheiten Myanmars leben alle in Gebieten, die reich an Rohstoffen und Wäldern sind. Diese Gebiete sind wirtschaftlich sehr begehrt. Das Militär hat bereits während der Militärdiktatur versucht, die Minderheiten aus ihren Gebieten zu vertreiben, um diese Reichtümer an sich zu bringen. Und das tun sie auch heute. Seit Aung San Suu Kyi Staatsrätin und Außenministerin ist, hat sie sich um Versöhnung der verschiedenen Gruppen bemüht. Dabei geht es auch darum, den Minderheiten größere Unabhängigkeit zu verschaffen und sie an den wirtschaftlichen Einnahmen zu beteiligen. Und das müsste dann auch für die Rohingya gelten.“
Auch China mischt mit
Rakhine ist ein Küstenstreifen am Golf von Bengalen, der mit seinem schmalen nördlichen Rand an Bangladesch grenzt. Wirtschaftliches Interesse an dem rohstoffreichen Gebiet hat auch China, der große Nachbar Myanmars. Geplant sind unter anderem ein Hafen für chinesische Schiffe und eine Erdöl-Leitung direkt in die Volksrepublik, erklärt Cervellera. Eine Neuausrichtung der Myanmarpolitik für den Teilstaat dürfte Peking also ebenso beunruhigen wie Myanmars Militär. In dieses Bild passt, dass China sich der internationalen Kritik an Myanmars Vertreibung der Rohingya nicht angeschlossen hat.
Es waren lokale Sicherheitskräfte, die in Rakhine gemeinsam mit radikalen Buddhisten gegen die Rohingya vorgingen, hielt ein Bericht der UN-Menschenrechtskommission in der vergangenen Woche fest; er spricht von „systematischen gewaltsamen Vertreibungen“ und „brutalen Angriffen“. Pater Cervellera betont, dass der Rakhine-Konflikt „kein Religionskrieg“ sei; allerdings träfen sich in der Vertreibung der Rohingya die Interessen birmanischer Nationalisten mit denen des Militärs: die einen wollten einen rein birmanischen Buddhismus verwirklichen, die anderen die Kontrolle über das Land behalten. Cervellera sieht das brutale Vorgehen gegen die Rohingya auch als Antwort auf die Forderungen der UNO, den Minderheiten in der Krisenregion mehr politische Rechte zuzugestehen: denn sollten die in Rakhine ansässigen, doch staatenlosen Rohingya tatsächlich die Staatsbürgerschaft erlangen, dürften sie in Myanmar bei vielen Fragen mehr Mitspracherecht haben.
Buddhistischer Nationalismus
Dass der Papst neben der birmanischen Regierung und Kirchenvertretern auch den Obersten Rat der buddhistischen Mönche trifft, sieht Pater Cervellera als weiteren Baustein im Projekt des Papstes, in Myanmar diejenigen Elemente der Gesellschaft zu stärken, die für Dialog und Frieden eintreten. „Dieser Rat ist in Myanmar fast als Kopie vatikanischer Strukturen errichtet worden, das ist eine Art höchstes buddhistisches Konsistorium. Der Rat hat die fundamentalistischen Positionen der buddhistischen Mönche kritisiert, die die muslimischen Rohingya angegriffen haben. Dieses Gremium, das der Papst besucht, will das Zusammenleben der Minderheiten.“
Die buddhistischen Klöster Myanmars mit ihren tausenden von Mönchen seien wichtige Kulturzentren, die zur Einheit des Landes beitrügen, so der Asien-Experte. Myanmars Weg der Demokratisierung habe wichtige Impulse von buddhistischer Seite erhalten. Zugleich sei heute allerdings in bestimmten buddhistischen Kreisen eine Radikalisierung zu beobachten, wie sie sich zuletzt eben in Rakhine gezeigt habe, so Pater Cervellera: „Der Punkt ist der: seit die Militärdiktatur an Macht verloren hat, hat diese Form des Fundamentalismus zugenommen. Einige Beobachter vermuten, dass es die Militärs selbst sind, die diesen Fundamentalismus verursachen.“
Im diesem Kontext kommt Pater Cervellera noch einmal auf die Vergabe der Staatsbürgerschaft an muslimische Rohingya zurück, wie sie etwa die Vereinten Nationen im Kontext ihres Projektes für Rakhine vorschlagen. Da gelte es genau zu prüfen: Schließlich seien auch unter den Rohingya Radikale zu finden, die die jüngste Gewaltwelle mit verursacht hätten. Kontakte dieser Radikalen zu Islamisten des IS oder von Al Kaida seien nicht auszuschließen. Hier sei auch Papst Franziskus bei seiner Darstellung der Konfliktlinien wohl „nicht gut informiert worden“, merkt der Chefredakteur von Asianews an. Franziskus hatte die staatliche Gewalt gegen die Rohingya mehrfach verurteilt, dabei aber nicht erwähnt, dass es unter den Rohingya eben auch Fundamentalisten gibt.
Dass Myanmars Regierung und Militär unterschiedliche Vorstellungen von der Lösung der Krise in Rakhine haben, zeigt auch die Frage einer möglichen Rückkehr der mehr als 500.000 Rohingya-Flüchtlinge aus Bangladesch. Während Aung San Suu Kyi letzte Woche ein Rückführungs- und Hilfsprogramm für diese Menschen ankündigte, lehnte der birmanische Armeechef und General Min Aung Hlaing ein solches Projekt ab. Die Rohingya seien „keine Einheimischen“ und gehörten nach Bangladesch, ließ der Militärführer in einer Facebook-Nachricht verlauten.
Kirche unterstützt Politik der nationalen Einheit
Myanmars Christen, mit kaum einem Prozent selbst eine absolute Minderheit und auf mehrere der insgesamt 135 Ethnien im Land verteilt, sehen Aung San Su Kyis Politik der nationalen Versöhnung positiv. Kardinal Charles Maung Bo trat vor einigen Tagen bei einem interreligiösen Gebetstreffen in Rangun auf, das die Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD) organisiert hatte. Der Erzbischof von Rangun verteidigte bei dieser Gelegenheit Aung San Su Kyis Umgang mit der Krise in Rakhine und lobte ihren Einsatz für Demokratie.
Der Papst werde in Myanmar einer „Minderheitenkirche mit kleinem Einfluss“ begegnen, die für die Minderheiten des Landes aber gleichwohl in vieler Hinsicht „die Rettung“ gewesen sei, so Cervellera: „Ich habe viele von diesen Minderheiten gesehen – ohne die Kirche hätte es für sie keine Schule gegeben, keine Alphabetisierung, keine Heilung von bestimmten Krankheiten, es hätte die finanzielle Unterstützung durch die Kooperativen nicht gegeben, auch in der Landwirtschaft und vieles mehr. Die Kirche hat also eine wichtige Bedeutung.“
Eine arme, missionarische Kirche
Gerade auch, weil es sich um eine Kirche handele, die selbst arm sei, unterstreicht Pater Cervellera weiter. Sie sei eine „arme Kirche für die Armen“, ganz so wie sie dem Papst vorschwebe. Und sie sei eine missionarische Kirche, hebt er einen zweiten Aspekt der Vision des Papstes hervor: Viel der Christen in Myanmar würden zu Missionaren – aus „Dankbarkeit“ für ihren Glauben: „Ich habe in Myanmar verheiratete Leute gesehen, die in andere Regionen gehen und dort hinziehen, um diese Gegenden zu evangelisieren! Die gehen dorthin mit ihren Familien und ohne Arbeit, bebauen die Erde und legen einen Garten an, leben jahrelang im Elend, um ihrer Mission nachzugehen – sensationell!“
Papst Franziskus werde in Myanmar auf eben jene Verständigung der ethnischen und religiösen Minderheiten pochen, darunter der Christen, die die aktuelle Regierung unter Aung San Suu Kyi fördern wolle. Auf diese Weise werde er auch eine Botschaft an das Nachbarland China senden, in das noch kein Papst ein Fuß setzte, zeigt sich Cervellera überzeugt: „Der Papst unterstreicht mit seinem Besuch dann, dass es Religionsfreiheit, ein Zusammenleben der Religionen gibt und zugleich betont er, dass es einen Staat gibt, der diese Religionsfreiheit garantiert, einen weltlichen Staat, der dem Zusammenleben der verschiedenen ethnischen Minderheiten hilft. Das ist meiner Ansicht nach eine Empfehlung an China. Denn China muss so sehen, welch großen Beitrag eine freie Kirche zur Entwicklung dieses Landes geleistet hat.“
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