Der Schutz des Gemeinsamen Hauses: Die Enzyklika Laudato si´
P Bernd Hagenkord - Vatikanstadt
Zusammenschau
„Welche Art von Welt wollen wir denen überlassen, die nach uns kommen, den Kindern, die gerade aufwachsen?“ (160). Diese Frage steht im Zentrum von Laudato Si’, der lange erwarteten Enzyklika Papst Franziskus’ über die Sorge für das gemeinsame Haus. Er fährt fort: „Diese Frage betrifft nicht nur die Umwelt in isolierter Weise, denn es ist unmöglich, das Problem fragmentarisch anzugehen“ (160). Das stellt die Frage nach dem Sinn unserer Existenz und ihrer Werte als Grundlage des sozialen Lebens: „Wozu gehen wir durch diese Welt, wozu sind wir in dieses Leben gekommen, wozu arbeiten wir und mühen uns ab, wozu braucht uns diese Erde?…Wenn diese grundlegende Frage nicht im Hintergrund mitschwingt, glaube ich nicht, dass unsere ökologischen Bemühungen bedeutende Wirkungen erzielen können“ (160).
Ihren Namen bekommt die Enzyklika von einem Gebet des heiligen Franz von Assisi „Gepriesen seist du, Herr“, der im so genannten Sonnengesang daran erinnert, dass die Erde, unser gemeinsames Haus, „wie eine Schwester ist, mit der wir das Leben teilen, und wie eine schöne Mutter, die uns in ihre Arme schließt“ (1). Wie selber sind Erde (vgl Gen 2:7), „unser eigener Körper ist aus den Elementen des Planeten gebildet; seine Luft ist es, die uns den Atem gibt, und sein Wasser belebt und erquickt uns“ (2).
Heute klagt diese misshandelte und ausgeplünderte Erde (2), und ihr Stöhnen vereint sich mit dem aller Vernachlässigten dieser Welt. Papst Franziskus lädt dazu ein, zuzuhören und sich antreiben zu lassen - jeder und jede, Familien, Gemeinden, Nationen und die internationale Gemeinschaft - zu einer „ökologischen Umkehr“, wie es der heilige Johannes Paul II. ausgedrückt hat, also zu einem Kurswechsel und zur Annahme der Verantwortung für das gemeinsame Haus. Zugleich erkennt Papst Franziskus aber auch an, dass „eine steigende Sensibilität für die Umwelt und die Pflege der Natur zu beobachten [ist], und es wächst eine ehrliche, schmerzliche Besorgnis um das, was mit unserem Planeten geschieht“ (19). Er rechtfertigt damit die Perspektive der Hoffnung, welche die gesamte Enzyklika prägt. Der Papst will nämlich eine klare Botschaft der Hoffnung senden: „Die Menschheit besitzt noch die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, um unser gemeinsames Haus aufzubauen“ (13), und positive Beispiele bestätigen, „dass der Mensch noch fähig ist, positiv einzuschreiten“ (58). Es ist also „nicht alles verloren, denn die Menschen, die fähig sind, sich bis zum Äußersten herabzuwürdigen, können sich auch beherrschen, sich wieder für das Gute entscheiden und sich bessern“ (205).
Papst Franziskus wendet sich natürlich zunächst an die Gläubigen, indem er die Worte des heiligen Johannes Paul II. aufgreift: „Die Christen insbesondere stellen fest, dass ihre Aufgaben im Bereich der Schöpfung, ihre Pflichten der Natur und dem Schöpfer gegenüber Bestandteil ihres Glaubens sind“ (64). Aber gleichzeitig betont der argentinische Papst auch: „In dieser Enzyklika möchte ich in Bezug auf unser gemeinsames Haus in besonderer Weise mit allen ins Gespräch kommen“ (3). Das Thema Dialog zieht sich durch den gesamten Text, Kapitel fünf beschreibt ihn als das wichtigste Instrument zur Lösung der Probleme. Von Beginn an erinnert Papst Franziskus daran, dass zum Thema Ökologie „andere Kirchen und christliche Gemeinschaften - wie auch andere Religionen - eine weitgehende Sorge und eine wertvolle Reflexion über diese Themen ... entwickelt haben“ (7). Er greift ihren Beitrag ausdrücklich in seiner Enzyklika auf, besonders den des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., den er ausführlich in den Nummern 8-9 zitiert. Wiederholt dankt der Papst allen, die sich an dieser Aufgabe beteiligen - Einzelne, Gemeinschaften und Institutionen - und erkennt an, dass „die Überlegungen unzähliger Wissenschaftler, Philosophen, Theologen und sozialer Organisationen“ das Denken der Kirche über diese Frage bereichert haben (7). Der Papst lädt dazu ein, „den Reichtum, den die Religionen für eine ganzheitliche Ökologie und eine volle Entwicklung der Menschheit bieten können“, anzuerkennen (62).
Nr. 16 ist sozusagen der Schlüssel-Paragraph: Er zeichnet den Weg vor, den die Gedanken der Enzyklika nehmen. Franziskus beginnt damit, auf die Situation heute zu schauen, indem er sich auf die neuesten Ergebnisse der Wissenschaft stützt (Kapitel 1). Dann geht es um die Perspektive der Bibel und der jüdisch-christlichen Tradition (Kapitel 2). Der Text fährt dann fort, indem er die Wurzel der Probleme benennt (Kapitel 3), sie lägen in der Technokratie und in einer exzessiven Selbstbezogenheit des Menschen. Der Vorschlag der Enzyklika (Kapitel 4) ist der einer „ganzheitlichen Ökologie..., welche die menschlichen und sozialen Dimensionen klar mit einbezieht“ (137), denn diese sind nach Überzeugung des Papstes untrennbar verbunden mit der Umweltfrage. Dazu schlägt Franziskus einen Dialog auf allen Ebenen des sozialen, ökonomischen und politischen Lebens vor, der zu transparenten Entscheidungsprozessen kommt (Kapitel 5). Er erinnert zusätzlich daran (Kapitel 6), dass kein Projekt erfolgreich sein kann, wenn es nicht von einem informierten und gebildeten Gewissen getragen wird. Dazu werden Vorschläge für die Weiterentwicklung und das Wachsen auf diesem Gebiet unterbreitet, und zwar in den Bereichen Bildung, Spiritualität, in Kirche, Politik und Theologie. Die Enzyklika endet - auch das ist eine Premiere - mit zwei Gebeten; das erste für diejenigen, die „an den einen Gott glauben, der allmächtiger Schöpfer ist“ (246), das andere für alle, die an Christus glauben. Dieses Gebet schließt mit dem Refrain „Gelobt seist du“, mit dem die Enzyklika auch begonnen hat.
Eine ganze Reihe von Themen ziehen sich durch den gesamten Text und werden im Lauf der Enzyklika von verschiedenen Perspektiven her beleuchtet. Diese geben dem Text einen starken Zusammenhalt: „die enge Beziehung zwischen den Armen und der Anfälligkeit des Planeten, die Überzeugung, dass in der Welt alles miteinander verbunden ist, die Kritik am neuen Machtmodell und den Formen der Macht, die aus der Technik abgeleitet sind, die Einladung, nach einem anderen Verständnis von Wirtschaft und Fortschritt zu suchen, der Eigenwert eines jeden Geschöpfes, der menschliche Sinn der Ökologie, die Notwendigkeit aufrichtiger und ehrlicher Debatten, die schwere Verantwortung der internationalen und lokalen Politik, die Wegwerfkultur und der Vorschlag eines neuen Lebensstils“ (16).
Kapitel 1: Was unserem Haus widerfährt
Das Anfangskapitel stellt die Ergebnisse der jüngsten wissenschaftlichen Untersuchungen zu Umweltfragen als einen Weg vor, auf die Schreie der Schöpfung zu hören und „es in persönliches Leiden zu verwandeln, welches der Beitrag ist, den jeder Einzelne leisten kann“ (19). Es geht um die „aktuelle ökologische Krise“ (15).
Klimawandel: „Die Klimaänderung ist ein globales Problem mit schwerwiegenden Umwelt-Aspekten und ernsten sozialen, wirtschaftlichen, distributiven und politischen Dimensionen; sie stellt eine der wichtigsten aktuellen Herausforderungen an die Menschheit dar“ (25). Das Klima ist „ein gemeinschaftliches Gut von allen und für alle“ (23), aber die negativen Auswirkungen des Klimawandels fallen vor allem auf die Ärmsten zurück. Viele, „die mehr Ressourcen oder ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen“ (26). „Der Mangel an Reaktionen angesichts dieser Dramen unserer Brüder und Schwestern ist ein Zeichen für den Verlust jenes Verantwortungsgefühls für unsere Mitmenschen, auf das sich jede zivile Gesellschaft gründet“ (25).
Die Wasserfrage: Der Papst stellt ganz deutlich fest, dass „der Zugang zu sicherem Trinkwasser ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht [ist], weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist“ (30). Den Armen den Zugang zu Wasser vorzuenthalten bedeutet, „ihnen das Recht auf Leben zu verweigern, das in ihrer unveräußerlichen Würde verankert ist“ (30).
Schutz der Biodiversität: „Jedes Jahr verschwinden Tausende Pflanzen- und Tierarten, die wir nicht mehr kennen können, die unsere Kinder nicht mehr sehen können, verloren für immer“ (33). Sie sind nicht nur eine auszubeutende „Ressource“, sondern haben ihre eigene Würde. „Lobenswert und manchmal bewundernswert sind die Anstrengungen der Wissenschaftler und Techniker, die versuchen, Lösungen für die vom Menschen verursachten Probleme zu schaffen“ (34). Wenn aber das menschliche Eingreifen nur der Welt der Finanzen und des Konsum dient, dann führt das dazu, „dass die Erde, auf der wir leben, in Wirklichkeit weniger reich und schön wird, immer begrenzter und trüber“ (34).
Die ökologische Schuld: Im Rahmen einer Ethik der internationalen Beziehungen spricht die Enzyklika über eine „ökologische Schuld“ (51) in der Welt, die vor allem zwischen Nord- und Südhalbkugel besteht. Im Angesicht des Klimawandels gibt es „diversifizierte Verantwortlichkeiten“ (52), und die Verantwortlichkeit der entwickelten Länder ist eindeutig größer.
Der Papst sieht die Unterschiede in der Beurteilung der Fragen, aber nennt auch die Auffälligkeit der „Schwäche der internationalen politischen Reaktion“ (54) auf die Dramen, die sich bei so vielen Völkern abspielen. Auch wenn es eine ganze Reihe von positiven Beispielen gibt (58), sieht er doch eine „gewisse Schläfrigkeit und eine leichtfertige Verantwortungslosigkeit“ (59). Es fehle die angemessene Kultur des Umgangs mit dem Problem (53) und der Wille, Lebensstile, Produktionsweisen und Konsum zu ändern (59). Es brauche ein „Rechtssystem […], dass den Schutz der Ökosysteme gewährleistet“ (53).
Kapitel 2: Das Evangelium von der Schöpfung
Um die im vorhergehenden Kapitel benannten Probleme lösen zu können, liest Papst Franziskus die biblischen Texte und bietet eine umfassende Perspektive, die von der jüdisch-christlichen Tradition gespeist wird und welche die „unermessliche Verantwortlichkeit“ (90), welche die Menschen für die Schöpfung haben, die Beziehung aller Geschöpfe untereinander und die Tatsache ausdrückt, dass „die Umwelt ein kollektives Gut, ein Erbe der gesamten Menschheit und eine Verantwortung für alle“ ist (95).
„In der Bibel ist der Gott, der befreit und rettet, derselbe, der das Universum erschuf ... in ihm sind liebevolle Zuneigung und Kraft miteinander verbunden“ (73). Die Schöpfungsgeschichte steht im Zentrum der Betrachtung über die Beziehung zwischen den Menschen und den übrigen Geschöpfen sowie über die Sünde, die das Gleichgewicht der Schöpfung als Einheit zerbricht: „Diese Erzählungen deuten an, dass sich das menschliche Dasein auf drei fundamentale, eng miteinander verbundene Beziehungen gründet: die Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zur Erde. Der Bibel zufolge sind diese drei lebenswichtigen Beziehungen zerbrochen, nicht nur äußerlich, sondern auch in unserem Innern. Dieser Bruch ist die Sünde“ (66).
Auch wenn „es stimmt, dass wir Christen die Schriften manchmal falsch interpretiert haben, müssen wir heute mit Nachdruck zurückweisen, dass aus der Tatsache, als Abbild Gottes erschaffen zu sein, und dem Auftrag, die Erde zu beherrschen, eine absolute Herrschaft über die anderen Geschöpfe gefolgert wird“ (67). Die Menschen haben den Auftrag, den Garten der Welt (vgl Gen 2:15) zu „bebauen und zu hüten“ (67), und zwar im Wissen darum, dass der Zweck der anderen Geschöpfe nicht etwa der Mensch ist. „Alle gehen mit uns und durch uns voran auf das gemeinsame Ziel zu, das Gott ist“ (83).
Dass der Mensch nicht Herr des Universums ist, bedeutet nicht, „alle Lebewesen gleichzustellen und dem Menschen jenen besonderen Wert zu nehmen“ (90), der ihn charakterisiert. In dieser Perspektive zitiert der Papst den Weltkatechismus (Nr. 2418): „Jede Grausamkeit gegenüber irgendeinem Geschöpf ‚widerspricht der Würde des Menschen‘“ (92). Trotzdem gilt: „ein Empfinden inniger Verbundenheit mit den anderen Wesen in der Natur kann nicht echt sein, wenn nicht zugleich im Herzen eine Zärtlichkeit, ein Mitleid und eine Sorge um die Menschen vorhanden ist“ (91). Es braucht ein Bewusstsein für ein universales Zusammengehören. „Das gibt Anlass zur der Überzeugung, das sämtliche Geschöpfe des Universums, die von ein und demselben Vater erschaffen wurden, durch unsichtbare Bande verbunden sind, (..) die uns zu einem heiligen, liebevollen und demütigen Respekt“ bewegen (89).
Der Papst endet dieses Kapitel mit dem Kern der christlichen Offenbarung: der „irdische Jesus und seine so konkrete und liebevolle Beziehung zur Welt“ ist der Auferstandene und Verherrlichte, „der mit seiner allumfassenden Herrschaft in der gesamten Schöpfung gegenwärtig ist“ (100).
Kapitel 3: Die menschliche Wurzel der ökologischen Krise
Dieses Kapitel bietet eine Analyse der aktuellen Situation, „so dass wir nicht nur die Symptome betrachten, sondern auch die tiefsten Ursachen“ (15), und zwar im Dialog mit Philosophie und den Humanwissenschaften. Es beginnt mit einem Nachdenken über die Technologien, die „denen, welche die Kenntnis und vor allem die wirtschaftliche Macht besitzen, sie einzusetzen, eine beeindruckende Gewalt über die gesamte Menschheit und die ganze Welt“ geben (104). Es ist genau diese Mentalität der Beherrschung durch Technik, die zur Zerstörung der Natur und zur Ausbeutung von Menschen und hier besonders der Schwächsten führt. „Das technokratische Paradigma tendiert auch dazu, die Wirtschaft und die Politik zu beherrschen“ (109) und uns davon abzuhalten, zu erkennen, dass „der Markt von sich aus (…) nicht die ganzheitliche Entwicklung des Menschen und die soziale Inklusion“ gewährleistet (109).
Im Kern des Problems liegt ein exzessiver Anthropozentrismus (116): Menschen erkennen nicht mehr ihren wirklichen Ort in der Welt, sondern denken selbstbezogen und sehen nur sich selbst und die eigenen Möglichkeiten. Das mündet in eine Kultur von „gebrauchen und wegwerfen“, die jede Form von Verschwendung von Natur oder Menschen rechtfertigt, weil sie sowohl den Anderen wie auch die Natur nur als Objekte wahrnimmt und so zu unendlich vielen Formen von Unterwerfung führt. Diese Mentalität führt zur Ausbeutung von Kindern, zur Vereinsamung älterer und allein gelassener Menschen, zur Sklaverei, zur Überbewertung der Fähigkeit des Markes, sich selber zu regulieren; sie führt zu Menschenhandel und dem Handel mit Fellen vom Aussterben bedrohter Tiere und mit Blutdiamanten. Es ist die Logik derer, die Organe von armen Menschen verkaufen, die mit Drogen handeln, und derer, die Kinder „wegwerfen“, weil sie nicht den Wünschen der Eltern entsprechen (123).
Der Papst wendet sich hierbei zwei wichtigen Themen zu, zunächst dem der Arbeit: „Bei jedem Ansatz zu einer ganzheitlichen Ökologie, die den Menschen nicht ausschließen darf, ist es unerlässlich, den Wert der Arbeit einzubeziehen“ (124); deswegen dürfe man keineswegs „aufhören, in den Menschen zu investieren, um einen größeren Sofortertrag zu erzielen“, denn das wirke sich schlecht aus für die Gesellschaft (128). Das zweite Thema bezieht sich auf die Grenzen des wissenschaftlichen Fortschritts, mit deutlichem Bezug auf die genetisch veränderten Pflanzen (132-136), eine sehr komplexe Frage (135). „In einigen Regionen hat ihre Verwendung ein wirtschaftliches Wachstum hervor gerufen, das die Probleme zu lösen half“, aber es gibt „bedeutende Schwierigkeiten, die nicht relativiert werden dürfen“ (134). Papst Franziskus denkt vor allem an Kleinbauern, an die Biodiversität und das Ökosystem als ein Netzwerk. Deswegen braucht es „eine verantwortungsbewusste und breite wissenschaftliche und gesellschaftliche Debatte (..), die in der Lage ist, alle verfügbaren Informationen in Betracht zu ziehen und die Dinge beim Namen zu nennen“, angefangen mit unabhängigen und interdisziplinären Untersuchungen (135).
Kapitel 4: Eine ganzheitliche Ökologie
Der Kern dessen, was die Enzyklika vorschlägt, ist eine ganzheitliche Ökologie als neues Paradigma von Gerechtigkeit; eine Ökologie, „die in ihren verschiedenen Dimensionen den besonderen Ort des Menschen in dieser Welt und seine Beziehungen zu der ihn umgebenden Wirklichkeit einbezieht“ (15). Wir können nicht einfach „Natur als etwas von uns Verschiedenes oder als einen schlichten Raum unseres Lebens“ verstehen (139). Dieser Satz trifft auf alle Gebiete zu, in die wir involviert sind: Ökonomie und Politik, die verschiedenen Kulturen - vor allem die gefährdeten - und jeder Augenblick unseres Alltags.
Eine ganzheitliche Perspektive bringt auch eine Ökologie der Institutionen ins Spiel: „Wenn zwischen allen Dingen Beziehungen bestehen, bringt auch der Gesundheitszustand der Institutionen einer Gesellschaft Folgen für die Umwelt und die menschliche Lebensqualität mit sich, ‚jede Verletzung der bürgerlichen Solidarität und Freundschaft ruft Umweltschäden hervor‘“, zitiert der Papst seinen Vorgänger (142).
Der Papst erläutert sein Denken mit vielen konkreten Beispielen: Die Frage der Umwelt und die sozialen und menschlichen Fragen gehören zusammen und dürfen nicht auseinanderdividiert werden. „Heute ist die Analyse der Umweltprobleme nicht zu trennen von einer Prüfung des menschlichen Umfelds, des familiären Kontextes, der Arbeitsbedingungen und der urbanen Verhältnisse sowie der Beziehung jedes Menschen zu sich selbst“ (141). „Es gibt nicht zwei Krisen nebeneinander, eine der Umwelt und eine der Gesellschaft, sondern eine einzige und komplexe sozio-ökologische Krise“ (139).
Eine ganzheitliche Ökologie ist untrennbar mit dem Gedanken des Gemeinwohls verbunden (156), verstanden auf ganz konkrete Weise in der Gesellschaft weltweit, „in der es so viel soziale Ungerechtigkeit gibt und immer mehr Menschen ausgeschlossen und ihrer grundlegenden Menschenrechte beraubt werden“ (158). Sich für das Gemeinwohl einsetzen bedeutet, eine vorrangige Option für die Armen zu treffen (158). Und das ist zugleich auch die richtige Weise, eine zukunftsfähige Welt an die kommenden Generationen zu übergeben; nicht durch Reden, sondern durch eine Sorge für die Armen von heute, wie das bereits Benedikt XVI. betont hat: „deshalb muss ‚neben einer aufrichtigen Generationen übergreifenden Solidarität […] die dringende moralische Notwendigkeit einer erneuerten Solidarität innerhalb einer Generation betont werden‘“ (162).
Eine ganzheitliche Ökologie bezieht auch den Alltag mit ein. Die Enzyklika spricht besonders über das städtische Leben. Der Mensch hat eine große Fähigkeit der Anpassung, „bewundernswert sind die Kreativität und die Großherzigkeit von Personen und Gruppen, die fähig sind, die Einschränkungen der Umwelt aufzuheben, [..] und ihr Leben inmitten der Unordnung und der Unsicherheit einzurichten“ (148). Trotzdem braucht es für eine authentische Entwicklung eine ganzheitliche Verbesserung der Lebensqualität: öffentliche Orte, Gebäude, Transport und Verkehr etc. (150-154).
Auch gilt, dass „unser Körper uns in eine direkte Beziehung zu der Umwelt und anderen Lebewesen stellt. Das Akzeptieren des eigenen Körpers als Gabe Gottes ist notwendig, um die ganze Welt als Geschenk des himmlischen Vaters und als gemeinsames Haus zu empfangen und zu akzeptieren, während eine Logik der Herrschaft über den eigenen Körper sich in eine manchmal subtile Logik der Herrschaft über die Schöpfung verwandelt“ (155).
Kapitel 5: Einige Leitlinien zum richtigen Handeln
In diesem Kapitel geht es darum, was getan werden kann und muss. Analysen reichen nach Ansicht des Papstes nicht aus, es braucht „ausführliche Leitlinien für Dialog und Aktion, die sowohl jeden von uns als auch die internationale Politik betreffen“ (15), „die uns helfen sollen, aus der Spirale der Selbstzerstörung herauszukommen, in der wir untergehen“ (163). Für Franziskus ist es entscheidend, dass man die neuen Wege nicht auf ideologische, oberflächliche oder reduktionistische Weise sucht. Es brauche den Dialog als wesentliches Element, und deswegen kommt dieser Begriff ‚Dialog‘ in jeder Zwischenüberschrift des Kapitels vor: „Es gibt Diskussionen über Umweltfragen, in denen es schwierig ist, einen Konsens zu erreichen“. Die Kirche beansprucht keineswegs, „die wissenschaftlichen Fragen zu lösen, noch die Politik zu ersetzen, doch ich fordere zu einer ehrlichen und transparenten Debatte auf, damit Sonderbedürfnisse oder Ideologien nicht das Gemeinwohl schädigen“ (188).
Papst Franziskus scheut nicht vor harten Urteilen über die internationale Entwicklung auf diesem Gebiet zurück: „Die Umwelt-Gipfeltreffen der letzten Jahre [haben] nicht den Erwartungen entsprochen, denn aus Mangel an politischer Entscheidung haben sie keine wirklich bedeutungsvollen und wirksamen globalen Umweltvereinbarungen erreicht“ (166). Der Papst fragt sich, „warum man heute eine Macht bewahren [möchte], die in die Erinnerung eingehen wird wegen ihrer Unfähigkeit einzugreifen, als es dringend und notwendig war?“ (57). Es braucht stattdessen, wie seit Pacem in Terris(Johannes XXIII.) die Päpste immer wieder betont haben, Instrumente und Formen einer ‚politischen Weltautorität‘ (175): „Wir brauchen also letztlich eine Vereinbarung über die Regelungen der Ordnungs- und Strukturpolitik für den gesamten Bereich des sogenannten ‚globalen Gemeinwohls‘“ (174), denn der Umweltschutz kann „nicht nur auf der Grundlage einer finanziellen Kostennutzenrechnung gewährleistet werden. Die Umwelt ist eines jener Güter, die die Mechanismen des Marks nicht in der angemessenen Form schützen oder fördern können“ (190, das neue Kompendium der katholischen Soziallehre zitierend).
In diesem Kapitel besteht der Papst auf der Entwicklung ehrlicher und transparenter Entscheidungsprozesse, um unterscheiden zu können, welche Entscheidungen und welche wirtschaftlichen Initiativen wirklich eine ganzheitliche Entwicklung hervorbringen (185). So braucht es etwa Studien zur Umweltverträglichkeit von Projekten, die „transparente politische Prozesse“ einschließen, „die dem Dialog unterworfen sind, während die Korruption, welche die wirkliche Umweltbelastung eines Projektes um gewisser Vergünstigungen willen verheimlicht, gewöhnlich zu unlauteren Vereinbarungen führt, die sich Auskünften und eingehenden Erörterungen entziehen“ (182).
Besonders wichtig ist dem Papst der Appell an die politisch Verantwortlichen, dass sie sich der heute dominierenden, auf „Effizienz und Unmittelbarkeit ausgerichteten Logik“ (181) entziehen: „Wenn er [Anm: der Verantwortungsträger] es zu tun wagt, wird er wieder die Würde erkennen, die Gott ihm als Menschen gegeben hat und nach seinem Weg durch diese Geschichte ein Zeugnis großzügiger Verantwortlichkeit hinterlassen“ (181).
Kapitel 6: Ökologische Erziehung und Spiritualität
Das abschließende Kapitel lädt zur „ökologischen Umkehr“ ein: Hier sind wir beim Kern der Enzyklika. Die Wurzeln der kulturellen Krise reichen tief, und es ist nicht leicht, Verhalten und Gewohnheiten zu ändern. Die Hauptherausforderung ist deswegen die Bildung: Weil „für jede Veränderung Beweggründe und ein erzieherischer Weg nötig sind“ (15), sind alle Bereiche der Bildung betroffen, vor allem „die Schule, die Familie, die Kommunikationsmittel, die Katechese“ (213).
Der Papst beginnt damit, „auf einen anderen Lebensstil [zu] setzen“ (203-208), der die Möglichkeit eröffnet, „einen heilsamen Druck auf diejenigen auszuüben, die politische, wirtschaftliche und soziale Macht besitzen“ (206). Genau das wird durch das Verhalten von Verbrauchern erreicht, die „durch den Boykott gewisser Produkte auf das Verhalten der Unternehmen ändernd einwirken und sie zwingen, die Umweltbelastung und die Produktionsmuster zu überdenken“ (206).
Die Bedeutung von Umwelt-Erziehung darf nicht unterbewertet werden. Sie beeinflusst Handlungen und alltägliche Gewohnheiten wie die Reduktion von Wasserverbrauch, das Trennen von Müll bis hin zum Abschalten von Licht, wenn es nicht gebraucht wird (211): „Eine ganzheitliche Ökologie ist auch aus einfachen alltäglichen Gesten gemacht, die die Logik der Gewalt, der Ausnutzung, des Egoismus durchbrechen“ (230). Alles wird einfacher, wenn man es mit den Augen des Glaubens betrachtet: „Der Glaubende betrachtet die Welt nicht von außen, sondern von innen her und erkennt die Bande, durch die der himmlische Vater uns mit allen Wesen verbunden hat. Da die ökologische Umkehr die besonderen Fähigkeiten, die Gott ihm verliehen hat, wachsen lässt, bringt sie den Glaubenden außerdem dazu, seine Kreativität zu entfalten und seine Begeisterung zu steigern“ (220). Der Papst greift einen Gedanken aus seinem Apostolischen Schreiben Evangelii Gaudium von 2013 wieder auf: „Die Genügsamkeit, die unbefangen und bewusst gelebt wird, ist befreiend“ (223), „das Glück erfordert, dass wir verstehen, einige Bedürfnisse, die uns betäuben, einzuschränken, und so ansprechbar bleiben für die vielen Möglichkeiten, die das Leben bietet“ (223). So wird es möglich, dass wir „wieder spüren, dass wir einander brauchen, dass wir eine Verantwortung für die anderen und für die Welt haben und dass es sich lohnt, gut und ehrlich zu sein“ (229).
Die Heiligen begleiten auf diesem Weg. Der mehrmals erwähnte und zitierte heilige Franz von Assisi ist „das Beispiel schlechthin für die Achtsamkeit gegenüber dem Schwachen und für eine froh und authentisch gelebte ganzheitliche Ökologie“ (10). An ihm wird sichtbar, dass „die Sorge um die Natur, die Gerechtigkeit gegenüber den Armen, das Engagement für die Gesellschaft und der innere Friede untrennbar miteinander verbunden sind“ (10). Die Enzyklika erinnert auch an den heiligen Benedikt, die heilige Thérèse de Lisieux und den seligen Charles de Foucauld.
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