Im vollen Wortlaut: Papstansprache beim Friedensgebet von Bari
„Liebe Brüder und Schwestern,
wir sind als Pilger nach Bari gekommen, das sich wie ein Fenster zum Nahen Osten hin öffnet. Im Herzen tragen wir unsere Kirchen, die Völker und die vielen Menschen, die in Situationen großen Leids leben. Ihnen sagen wir: „Wir sind euch nahe“. Liebe Brüder und Schwestern, ich danke euch von Herzen, dass ihr so gerne und bereitwillig gekommen seid. Und ich bin euch allen so dankbar, die ihr uns in dieser Stadt der Begegnung und der Gastfreundschaft willkommen heißt.
Mögen die Wunden heilen
Auf unserem gemeinsamen Weg werden wir von der Mutter Gottes unterstützt, die hier als Hodegitria verehrt wird: die den Weg weist. Hier ruhen die Reliquien des heiligen Nikolaus, des Bischofs aus dem Osten, dessen Verehrung über die Meere reicht und die Grenzen zwischen den Kirchen überschreitet. Möge der heilige Wundertäter bei Gott dafür eintreten, dass die Wunden heilen, die so viele in sich tragen. Wir schauen hier auf den Horizont und das Meer und verspüren den Drang, diesen Tag in unseren Gedanken und Herzen beim Nahen Osten zu verbringen, einem Kreuzungspunkt von Kulturen und der Wiege der großen monotheistischen Religionen.
Dort kam der Herr zu uns, das »aufstrahlende Licht aus der Höhe« (Lk 1,78). Von dort aus verbreitete sich das Licht des Glaubens in der ganzen Welt. Dort entsprangen die frischen Quellen der Spiritualität und des Mönchtums. Dort werden einzigartige alte Riten und unschätzbare Reichtümer der sakralen Kunst und der Theologie bewahrt, dort wohnt das Erbe großer Väter im Glauben. Diese Tradition ist ein Schatz, den wir mit aller Kraft wahren müssen, denn im Nahen Osten liegen die Wurzeln unserer eigenen Seelen.
Stillschweigen und Mitschuld vieler
Doch über diese wunderschöne Region hat sich besonders in den letzten Jahren eine dicke Decke der Dunkelheit gebreitet: Krieg, Gewalt und Zerstörung, Besetzungen und Formen des Fundamentalismus, zwangsmäßige Migration und Flucht. All das geschah unter dem Stillschweigen und der Mitschuld vieler. Der Nahe Osten ist zu einem Land von Menschen geworden, die ihre Heimat verlassen. Und es besteht die Gefahr, dass die Präsenz unserer Brüder und Schwestern im Glauben ausgelöscht wird. Dies würde das Gesicht der Region selbst entstellen, denn ein Naher Osten ohne Christen wäre nicht mehr der Nahe Osten.
Eine Flamme der Hoffnung entzünden
Dieser Tag beginnt mit dem Gebet, damit das göttliche Licht die Dunkelheit der Welt vertreibt. Wir haben bereits vor dem heiligen Nikolaus das „einflammige Licht“, Symbol der einen Kirche, angezündet. Gemeinsam wollen wir heute eine Flamme der Hoffnung entzünden. Die Kerzen, die wir aufstellen werden, seien Zeichen für ein Licht, das noch in der Nacht weiterleuchtet. Die Christen sind in der Tat Licht der Welt (vgl. Mt 5,14), nicht nur, wenn alles um sie herum strahlt, sondern auch dann, wenn sie sich in den dunklen Momenten der Geschichte nicht mit der Dunkelheit ringsum abfinden und den Docht der Hoffnung mit dem Öl des Gebetes und der Liebe nähren. Denn wenn man im Gebet die Hände zum Himmel erhebt und wenn man dem Bruder und der Schwester die Hand reicht, ohne dabei eigene Interessen zu verfolgen, brennt und leuchtet das Feuer des Heiligen Geistes, der der Geist der Einheit, der Geist des Friedens ist.
Lasst uns gemeinsam beten, um vom Herrn des Himmels den Frieden zu erbitten, den die Mächtigen auf Erden noch nicht gefunden haben. Vom Nil bis zum Jordantal und weiter über den Orontes bis zum Tigris und Euphrat ertöne der Ruf des Psalms: »In dir sei Friede« (122,8). Für die leidenden Brüder und Schwestern und für die Freunde jedes Volkes und jeden Glaubensbekenntnisses wiederholen wir: In dir sei Friede! Mit dem Psalmisten bitten wir darum besonders für Jerusalem, die Heilige Stadt, die von Gott geliebt und von Menschen verletzt wird, über die der Herr immer noch weint: In dir sei Friede!
Es sei Frieden: Das ist der Schrei vieler Menschen
Es sei Frieden: Das ist der Schrei vieler Menschen, der Abels von heute, der zum Thron Gottes aufsteigt. Um ihretwillen können wir es uns – im Nahen Osten wie auch sonst überall auf der Welt – nicht mehr erlauben zu sagen: »Bin ich der Hüter meines Bruders? (Gen 4,9). Gleichgültigkeit tötet, und wir wollen eine Stimme gegen diese todbringende Gleichgültigkeit sein. Wir wollen denen eine Stimme geben, die keine Stimme haben, denen, die nur Tränen schlucken können, weil der Nahe Osten heute weint, leidet und schweigt, während andere auf der Suche nach Macht und Reichtum auf ihm herumtrampeln. Für die Kleinen, die Einfachen, die Verwundeten, für die, auf deren Seite Gott steht, bitten wir: Es sei Frieden! Möge der »Gott allen Trostes« (2 Kor 1,3), der die gebrochenen Herzen heilt und die Wunden verbindet (vgl. Ps 147,3), unser Gebet erhören.“
(vatican news – sk)
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