Die Papstansprache im katholischen Dom von Riga im Wortlaut
Ansprache des Heiligen Vaters
Besuch der katholischen Kathedrale St. Jakobus
Riga, 24. September 2018
Liebe Schwestern und Brüder,
ich danke dem Erzbischof für seine Worte und für seine sorgfältige Analyse der Situation. Eure Anwesenheit, ältere Brüder und Schwestern, erinnert mich an zwei Aussagen aus dem Brief des Apostels Jakobus, dem diese Kathedrale geweiht ist. Am Anfang und am Ende des Briefes lädt er uns ein, beständig zu sein, aber mit zwei verschiedenen Ausdrücken. Ich bin sicher, dass wir die Stimme des „Herrenbruders“ hören können, der heute zu uns sprechen will.
Ihr, die ihr hier anwesend seid, wurdet allen möglichen Prüfungen unterzogen: dem Schrecken des Krieges und dann der politischen Unterdrückung, der Verfolgung und dem Exil, wie es euer Erzbischof gut beschrieben hat. Und ihr wart beständig, ihr habt im Glauben ausgeharrt. Weder das NS-Regime noch jenes sowjetische haben den Glauben in euren Herzen ausgelöscht. Einige von euch konnte man trotz Lebensgefahr nicht davon abbringen, als Priester- und Ordensleute, als Katecheten und in vielen anderen kirchlichen Diensten zu wirken; ihr habt den guten Kampf gekämpft, ihr seid dabei, den Lauf zu vollenden, und ihr habt die Treue bewahrt (vgl. 2 Tim 4,7).
Aber der Apostel Jakobus besteht darauf, dass diese Geduld die Prüfung des Glaubens übertrifft und vollkommene Werke hervorbringt (vgl. 1,2-4). Euer Wirken wird damals vollkommen gewesen sein, und es sollte auch unter den neuen Umständen nach Perfektion streben. Ihr, die ihr Leib und Seele aufgerieben und euer Leben eingesetzt habt für die Erlangung der Freiheit eures Landes, fühlt euch oft vergessen. So paradox es klingen mag, heute überlassen freie Menschen die Älteren im Namen der Freiheit der Einsamkeit, der Verlassenheit, der Hilflosigkeit und der Ausgrenzung, ja sogar der Armut. Wenn das so ist, dann hat der sogenannte „Zug der Freiheit und des Fortschritts“ diejenigen, die für diese Rechte gekämpft haben, in den letzten Wagen abgeschoben, wo sie zu Zuschauern eines Festes wurden, das andere feiern. Sie werden zwar geehrt und ausgezeichnet, aber im täglichen Leben vergessen (vgl. Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium, 234).
Der Apostel Jakobus lädt uns ein, beständig zu sein und nicht aufzugeben. »Auf diesem Weg ist das Wachstum im Guten, in der geistlichen Reife und der Liebe das beste Gegengewicht zum Bösen« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 163). Gebt nicht der Enttäuschung und der Traurigkeit nach, verliert nicht die Milde und noch weniger die Hoffnung.
Am Ende seines Briefes lädt der heilige Jakobus noch einmal zur Geduld ein (5,7), aber er benutzt ein Wort, das zwei Bedeutungen hat: geduldig ertragen und geduldig erhoffen. Ich ermutige euch, dass auch ihr inmitten eurer Familien und eurer Heimat ein Beispiel für diese beiden Haltungen seid: das Ertragen und das Hoffen, beides durchtränkt von Geduld. So könnt ihr weiterhin zum Aufbau eures Volkes beitragen. Ihr, die ihr schon viele Zeiten durchlaufen habt, seid ein lebendiges Zeugnis für Beständigkeit unter widrigen Umständen, aber auch für die Gabe der Prophetie, welche die jungen Generationen daran erinnert, dass die Fürsorge und der Schutz derer, die vor uns kamen, Gott wohlgefällig ist, und dass es zum Himmel schreit, wenn solches verwehrt wird. Ihr, die ihr viele Zeiten durchlaufen habt, vergesst nicht, dass ihr Wurzeln eines Volkes seid, Wurzeln junger Triebe, die blühen und Früchte tragen sollen; bewahrt diese Wurzeln, haltet sie am Leben, damit die Kinder und jungen Menschen sich daran veredeln können und damit sie verstehen: »Was der Baum an Blüten trägt / lebt von dem, was er unter der Erde hat« (F. L. BERNÁRDEZ, Sonett Si para recobrar lo recobrado).
Die Inschrift auf der Kanzel dieses Gotteshauses lautet: »Würdet ihr doch heute auf seine Stimme hören! Verhärtet euer Herz nicht« (Ps 95,7-8). Das verhärtete Herz ist jenes verkrustete, welches die Freude an der Neuheit Gottes verloren hat, sich der Jugendlichkeit des Geistes verschließt und es ablehnt zu kosten und zu sehen, wie gut der Herr ist, immer, zu aller Zeit und bis zum Ende (vgl. Ps 34,9).
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