Papst zu Wissenschaftlern: Wissenschaft muss dem Wohl der Menschen dienen
Christina Höfferer - Vatikanstadt
„Eine gewisse Unsicherheit und Angst machen sich bemerkbar in Hinblick auf eine mögliche Entwicklung von Wissenschaft und Technologie ohne Kontrolle und fern vom Wohl der Einzelnen und der Völker“, so der Papst zu den Teilnehmern an der Audienz. Wohl sei es wahr, dass Wissenschaft und Technologie die Gesellschaft beeinflussen, aber auch Menschen mit ihren Werten und Bräuchen beeinflussten die Wissenschaft. „Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für die Grundwerte, die den Beziehungen zwischen Menschen, Gesellschaft und Wissenschaft zugrunde liegen," schrieb der Papst den Wissenschaftlern ins Stammbuch.
Offener Dialog
Ein offener Dialog und sorgfältige Unterscheidung seien unerlässlich, gerade wenn die Wissenschaft komplexer werde und entscheidende Herausforderungen für die Zukunft der Menschheit hervorbringe. Es sei insofern wichtig, dass die Päpstliche Akademie der Wissenschaften darüber nachdenke, wie diese Veränderungen ein kluges und verantwortungsbewusstes Engagement der gesamten Wissenschaftsgemeinde erforderten. „Die schöne Sicherheit des Elfenbeinturms der Frühneuzeit ist in vielen Fällen einer gesunden Unruhe gewichen, so dass sich der Wissenschaftler von heute leichter für religiöse Werte öffnet und über die Errungenschaften der Wissenschaft hinaus den Reichtum der geistigen Welt der Völker und das Licht der göttlichen Transzendenz erblickt“, stellte der Papst fest. Die wissenschaftliche Gemeinschaft sei Teil der Gesellschaft und sollte nicht als eigenständig und unabhängig betrachtet werden, sondern werde aufgerufen, der Menschheitsfamilie und ihrer ganzheitlichen Entwicklung zu dienen.
Dienstmission
Die möglichen Früchte dieser Dienstmission seien unzählig. „Ich möchte hier einige kurze Anmerkungen machen. Erstens die immense Krise des Klimawandels und die nukleare Bedrohung. Ich bitte, wie die Heiligen Paul VI. und Johannes Paul II. , Wissenschaftler um aktive Zusammenarbeit, um die Regierenden von der ethischen Unzulänglichkeit aller Atomwaffen wegen des irreparablen Schadens, den sie der Menschheit und dem Planeten zufügen, zu überzeugen. Deshalb möchte ich auch noch einmal auf die Notwendigkeit der Abrüstung hinweisen, die heute nicht mehr an den Tischen der wichtigsten Entscheidungsträger diskutiert zu werden scheint,“ verlieh der Papst seinem Wunsch Ausdruck, dass auch er, wie der heilige Johannes Paul II. dies in seinem Testament getan hatte, eines Tages dafür danken könne, dass der Welt in seinem Pontifikat die immense Tragödie eines Atomkrieges erspart geblieben sei.
Die Plagen der heutigen Gesellschaft
Globale Veränderungen würden zunehmend durch menschliches Handeln beeinflusst. „Daher sind auch angemessene Maßnahmen erforderlich, um die Gesundheit des Planeten und der Bevölkerung zu schützen“, meinte Franziskus. Die Gesundheit sei durch all jene menschlichen Aktivitäten gefährdet, die fossile Brennstoffe verwenden und den Planeten entwalden. Die Wissenschaft, die bei der Identifizierung dieser Risiken große Fortschritte gemacht habe, sei nun aufgerufen, tragfähige Lösungen zu finden und Unternehmen und ihre Führungskräfte davon zu überzeugen, diese auch umzusetzen. Franziskus begrüßte auch die Tatsache, dass sich die Akademie auf das neue Wissen konzentriere, das für den Umgang mit den Plagen der heutigen Gesellschaft erforderlich sei. Der Papst dankte der Akademie der Wissenschaften für ihre unschätzbare Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, konkret den Menschenhandel zum Zweck der Zwangsarbeit, der Prostitution und des Organhandels.
Papst fordert integrale und nachhaltige Entwicklung
Bis zu einer integralen und nachhaltigen Entwicklung, so der Papst, sei es noch ein langer Weg: „Die Überwindung von Hunger und Durst, Sterblichkeit und Armut, insbesondere unter den achthundert Millionen Bedürftigen und Ausgeschlossenen auf der Erde, wird ohne eine Änderung der Lebensweise nicht erreicht werden können.“ In der Enzyklika Laudato Si hatte der Papst eine Reihe von wichtigen Vorschlägen zur Erreichung dieses Ziels vorgelegt. Franziskus zeigte sich überzeugt, dass es an politischem Willen und Entschlossenheit mangle, Wettrüsten und Kriege zu beenden und auf erneuerbare Energien umzusteigen. Ebenso mangle es an dem Willen, Programme zur Sicherung von Wasser, Nahrung und Gesundheit für alle zu entwickeln und das gewaltige Kapital, das inaktiv in Steueroasen geparkt sei, zum Wohle der Allgemeinheit zu investieren.
Ethik ist ein unschätzbares Erbe der Menschheit
Die Kirche erwarte nicht, dass die Wissenschaft nur den Prinzipien der Ethik folge, die ein unschätzbares Erbe der Menschheit seien. Sie erwarte jedoch einen positiven Dienst, der nach Paul VI. die „Liebe zum Wissen“ genannt werden könne. Den Wissenschaftlern und Freunden der Wissenschaft seien nun die Schlüssel zum Wissen anvertraut worden. Der Papst wolle hierbei der Anwalt der Völker sein, denen die Vorteile des umfangreichen menschlichen Wissens und seiner Errungenschaften nur von weitem und selten zuteil würden, insbesonders in den Bereichen Ernährung, Gesundheit, Bildung, Vernetzung, Wohlbefinden und Frieden. Im Namen der Völker sagte der Papst: „Die Forschung kann allen zugute kommen, damit die Völker der Erde ernährt, ihr Durst mit Wasser gelöscht und sie geheilt und geformt werden können. Politik und Wirtschaft werden daraus Anregungen schöpfen, um mit größerer Sicherheit zum Wohle der Allgemeinheit, insbesondere zum Wohle der Armen und Bedürftigen, und zur Achtung des Planeten vorzugehen.“ Dies sei das umfassende Panorama, das sich Männern und Frauen der Wissenschaft eröffnet, wenn sie den Erwartungen der Völker gegenüberstehen: Erwartungen, die von selbstbewusster Hoffnung, aber auch von Unruhe und Angst erfüllt sind.
Hintergrund
Die Päpstliche Akademie der Wissenschaften hält derzeit ihre Jahrestagung unter dem Thema „Transformative Rollen von Wissenschaft in der Gesellschaft". Das Treffen von Montag bis Mittwoch im Vatikan untersucht laut Programm mögliche Beiträge neuer Grundwissenschaften für besseres Leben.
Dabei geht es um eine engere Vernetzung der Wissenschaftszweige und Lösungsansätze für globale Herausforderungen, aber auch um den gesellschaftlichen Vertrauensverlust in Wissenschaften, Wissenschaftsförderung und Kooperationen von Forschung und Religion. Unter den Teilnehmern befinden sich mehrere Nobelpreisträger, so der Schweizer Mikrobiologe Werner Arber und die deutschen Physiker Theodor Hänsch und Klaus von Klitzing, der US-amerikanische Chemiker Eric Betzig und der frühere US-Energieminister Steven Chu.
Ferner referieren der Wissenschaftstheoretiker Jürgen Mittelstraß, Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber, der Sozialwissenschaftler Wolfgang Lutz und die britische Stammzellforscherin Helene Blau. Als wissenschaftspolitischer Vertreter nimmt der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Georg Schütte, teil. Die Wissenschaftsakademie erinnert auch an ihre im vergangenen Jahr verstorbenen Mitglieder, unter anderem an den britischen Astrophysiker Stephen Hawking.
(vatican news/kna)
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