70 Jahre Menschenrechte: Wie denkt der emeritierte Papst darüber?
Stefan von Kempis – Vatikanstadt
„Das erste und grundlegende aller Menschenrechte ist das Recht auf Gott“ – mit diesem Satz hat Ratzinger-Benedikt einmal klargemacht, wie eng das Thema Menschenrechte mit dem Thema Religion verbunden ist. Ohne dieses grundlegende Recht auf Gott sind für ihn „die anderen Rechte ungenügend“, weil sie den Menschen auf ein „bloßes Bedürfniswesen“ reduzieren. Religionsfreiheit wird so gesehen zu einem der wichtigsten Menschenrechte, weil es bei ihr um die „wichtigste menschliche Beziehung“ geht, nämlich die zu Gott.
„In der Geschichte sind Rechtsordnungen fast durchgehend religiös begründet worden: Vom Blick auf die Gottheit her wird entschieden, was unter Menschen rechtens ist.“ Das sagte der deutsche Papst 2011 bei seiner Rede im Deutschen Bundestag. Auch hier also wieder die Anbindung der Menschenrechte an die religiöse Sphäre.
Natur und Vernunft als Rechtsquellen
„Im Gegensatz zu anderen großen Religionen hat das Christentum dem Staat und der Gesellschaft nie ein Offenbarungsrecht, nie eine Rechtsordnung aus Offenbarung vorgegeben. Es hat stattdessen auf Natur und Vernunft als die wahren Rechtsquellen verwiesen…“ Das Christentum halte es von Anfang an mit der „abendländischen Rechtskultur“, die sich schon vor Christus gebildet habe, und zwar durch den Zusammenklang von griechischem Denken und römischem Recht.
„Von dieser vorchristlichen Verbindung von Recht und Philosophie geht der Weg über das christliche Mittelalter in die Rechtsentfaltung der Aufklärungszeit bis hin zur Erklärung der Menschenrechte…“ Eine „Entwicklung des Rechts und Entwicklung der Humanität“ nennt Benedikt XVI. das, und diese Entwicklung hält er für keineswegs abgeschlossen. Schon in seiner ersten Botschaft zum Weltfriedenstag als Papst formulierte er, die genauen Vorschriften, die sich aus den Menschenrechten ergäben, müssten immer wieder aktualisiert werden.
„Der Mensch macht sich nicht selbst“
Die Christen stehen nicht für ein „religiöses Recht“, sondern sie erkennen „Vernunft und Natur in ihrem Zueinander als die für alle gültige Rechtsquelle“ an. „Diesen Entscheid hatte schon Paulus im Brief an die Römer vollzogen, wenn er sagt: „Wenn Heiden, die das Gesetz (die Tora Israels) nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie… sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab…“ (Röm 2,14f).“ Benedikt XVI. findet in diesem Text die zwei „Grundbegriffe“ Natur und Vernunft wieder; denn was Paulus „Gewissen“ nennt, stehe für das Wort „Vernunft“.
Nur ist das mit der Natur so eine Sache: Gemeint ist damit nicht (nur) Ökologie. „Auch der Mensch hat eine Natur, die er achten muss und die er nicht beliebig manipulieren kann. Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur…“ Und diese Natur muss er „annehmen“: Er muss klar sehen, wer er ist und – vor allem – dass er sich „nicht selbst gemacht hat“. „Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“
Die Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom
Hinter dieser Natur des Menschen also sieht Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. die Vorstellung einer „schöpferischen Vernunft“, eines „Creator Spiritus“ aufblitzen. Hier, beim Begriff Natur, ist für ihn das Einfallstor der Transzendenz in den Bereich der Menschenrechte.
„Von der Überzeugung eines Schöpfergottes her ist die Idee der Menschenrechte, die Idee der Gleichheit aller Menschen vor dem Recht, die Erkenntnis der Unantastbarkeit der Menschenwürde in jedem einzelnen Menschen und das Wissen um die Verantwortung der Menschen für ihr Handeln entwickelt worden.“ Genau hier verortet der emeritierte Papst das „kulturelle Erbe Europas“, einschließlich dem Beitrag des Christentums.
„Diese Erkenntnisse der Vernunft bilden unser kulturelles Gedächtnis. Es zu ignorieren oder als bloße Vergangenheit zu betrachten, wäre eine Amputation unserer Kultur insgesamt und würde sie ihrer Ganzheit berauben. Die Kultur Europas ist aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom – aus der Begegnung zwischen dem Gottesglauben Israels, der philosophischen Vernunft der Griechen und dem Rechtsdenken Roms entstanden. Diese dreifache Begegnung bildet die innere Identität Europas.“
„Nicht einfach nur der Beschluss der Versammlung“
Sie hat letztlich die geistige Vorarbeit zur „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ geleistet, so Joseph Ratzinger – Benedikt XVI. „Sie hat im Bewusstsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen, Maßstäbe des Rechts gesetzt, die zu verteidigen uns in unserer historischen Stunde aufgegeben ist.“
Benedikt XVI. hat sich ausdrücklich zur „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ bekannt: Diese Rechte seien „nicht nur einfach der Beschluss der Versammlung“, sondern ergäben sich „aus der Natur des Menschen selbst“ und seiner ihm von Gott gegebenen Würde. Würde man sie lediglich als Rechte behandeln, die die UNO dem Menschen zugesprochen hätte, dann würde sich wohl „bald herausstellen, dass die internationalen Organe nicht über das nötige Ansehen verfügen, um ihre Rolle als Verteidiger der Grundrechte der Person und der Völker zu entfalten“.
Ganges und Himalaya
Dass zu Menschenrechten als Kehrseite auch Menschenpflichten gehören, ist für den emeritierten Papst „offensichtlich“. Dazu hat er mal einen Satz von Mahatma Gandhi zitiert: „Der Ganges der Rechte fließt vom Himalaya der Pflichten herab.“
(vatican news)
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